Populismus in Europa: Die radikalere Wortwahl gewinnt

, von  Jan Detering

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Populismus in Europa: Die radikalere Wortwahl gewinnt

Populistische Kräfte sind für ihre Vereinfachung komplizierter Sachverhalte bekannt – und bei den etablierten Kräften gefürchtet. Jan Detering meint: Damit kann man umgehen, wenn man ein Bewusstsein dafür schafft.

„Metaphern können töten“, sagte der Sprachwissenschaftler George Lakoff in einem Interview mit der ZEIT, in dem er die Bedeutung und Wirkung von Sprache sowie von sogenannten Metaphern erklärte. Eine drastische Aussage, die immer wieder auf aktuelle Themen bezogen werden kann. In einer Zeit, in der Populismus in vielen europäischen Ländern die Politik maßgeblich mitbestimmt und gesellschaftliche Debatten prägt, müssen wir uns fragen, inwiefern Populismus unser Verständnis von Sprache und Politik beeinflusst. Der Duden definiert den Begriff Populismus als „eine von Opportunismus geprägte, volksnahe und oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen“. Darüber hinaus könnte man ergänzen, dass Populismus komplexe Sachverhalte auf drastische Weise vereinfacht und Politik auf Hass gegenüber einer Minderheit aufbaut. In jeder politischen Richtung existiert Populismus, das bedeutet auf der rechten und linken Seite, aber eben auch in der sogenannten Mitte.

Populismus und Framing

George Lakoff, Sprachwissenschaftler und Professor an der Universität Berkeley (Kalifornien) stellt fest, dass Sprache einen fundamentalen Bezug auf unser Denken und Handeln haben kann. Seine Forschungserkenntnisse fasst Lakoff unter der Framing-Theorie - auch Metaphern-Theorie genannt - zusammen. Das zwischenmenschliche System der Sprache ermöglicht es, sogenannte Deutungsrahmen beziehungsweise Frames, anzuwenden und durch eine bewusste Sprachanwendung politische Inhalte und Wertvorstellungen zu platzieren. Das kann Wähler*innen als auch gesamte gesellschaftliche Diskussionen beeinflussen. Die Framing-Theorie geht davon aus, dass das menschliche Denken zu 98 Prozent unterbewusst stattfindet und so eine hohe Beeinflussbarkeit möglich ist. Sprechen wir nun von komplexen und hochpolitischen Themen wie zum Beispiel Migration oder sozialer Gerechtigkeit in Europa, dann sind gesellschaftliche Diskussionen immer emotional. Die Grundlage für Populismus bildet diese Emotionalität. Der Populismus macht es sich so zum Nutzen, dass ein Großteil der Menschen vom politischen Geschehen erschöpft ist und die komplexen Vorgänge in einer Demokratie nicht ausreichend versteht. Frustration ist ein Schritt, der dazu führt, dass Menschen die Reduzierung von Komplexität als willkommene Alternative annehmen und für Populismus deutlich empfänglicher sind.

Ist das Glas halb voll oder halb leer?

Framing basiert auf der menschlichen Beeinflussbarkeit und der Erkenntnis, dass Menschen nicht als rationale Wesen in ihrem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Umfeld agieren. Elisabeth Wehling, ebenfalls Sprachwissenschaftlerin, definiert Frames, indem sie „einzelnen Worten Bedeutung [geben und] diese in Zusammenhang mit unserem Weltwissen stellen“. Eine weiterer Bestandteil des Framings sind die sogenannten Metaphern. Um abstrakte Konzepte im gesellschaftlichen und sozialen Kontext bewältigen und verstehen zu können, benutzen Menschen Metaphern. Sie übertragen Konzepte und Strukturen in eine direkt erfahrbare Idee, die dem Gehirn bekannt ist und mit dem bisherigen Erfahrungsstand deckungsgleich sind. Gleichzeitig sind Metaphern ein selektives Instrument, das darüber entscheiden kann, auf welche Aspekte wir uns besonders konzentrieren und welche Informationen ignoriert werden. Metaphern strukturieren das menschliche Begreifen und können sogar das Handeln eines Individuums oder einer gesamten Gesellschaft beeinflussen. Es zeigt sich, dass Sprache und ihre Gestaltung mehr als nur ein Mittel zur Übertragung von Informationen ist, sondern die Möglichkeit bietet, politische Inhalte kurz- und langfristig im Gehirn der Zielperson oder -gruppe zu platzieren.

Lasst euch nicht blenden!

Die Entscheidung, welchen Frame oder welche Metapher Sprache aktiviert, ist also von zentraler Bedeutung für das Verständnis von politischer Sprache und das Verhältnis zwischen Politik und Wählerschaft. Menschen sind sich nicht oder nur sehr selten bewusst, dass politische Wahrheiten durch Metaphern geschaffen werden und so unser individuelles und gesellschaftliches Handeln bestimmt werden kann. Diese Feststellung wird zum Problem. Frames, die in der Politik zum Tragen kommen, sind grundsätzlich ideologisch und selektiv – und bergen die Gefahr, dass Menschen eben nicht sensibel genug sind, die unbewussten Funktionen von Sprache zu erkennen. So kann politische Sprache Wähler*innen blenden und zum Beispiel vernunft- orientierte Wahlentscheidung verhindern. Auch in diesem Zusammenhang trägt Populismus im wesentlichen Maße dazu bei, dass Sprache auf einem Level angewendet wird, das die Komplexität von Politik nachteilig beeinflusst. Auch mit Blick auf die kommenden EU- Wahlen 2019 braucht es also Kommunikationsstrategien, die die aktuellen Herausforderungen umfassend darstellen und den Wählerinnen Lösungen bieten. Framing kann starke Wirkungen entfalten, jedoch genauso Debatten wesentlich verfälschen. So sollten wir uns viel mehr bewusstmachen, was Sprache im menschlichen Gehirn bewirken kann. Sprache ist ein Instrument der politischen Meinungsbildung – sowohl im Guten als auch im Schlechten.

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