Pressefreiheit in Frankreich: Eine beunruhigende Bestandsaufnahme

, von  Eric Drevon-Mollard, übersetzt von Katja Friedewald

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Pressefreiheit in Frankreich: Eine beunruhigende Bestandsaufnahme
Fotoquelle: Flickr / Guilhem Vellut / CC BY 2.0

Die NGO Reporter ohne Grenzen, die sich weltweit für Pressefreiheit und die Rechte von Journalisten einsetzt, hat ihre jährliche Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht. Die Spitzenplätze belegen hierbei die Länder im Norden Europas, vor allem in Skandinavien. Frankreich hingegen liegt weit abgeschlagen.

Die Studie von Reporter ohne Grenzen

So findet sich Frankreich auf dem 33. Platz wieder, hinter Südafrika und weit ab von vielen seiner Partner in der Europäischen Union. Die Rangliste wird ausgehend von einem detaillierten Fragebogen erstellt, der von Journalisten, Medienexperten und Juristen in den jeweiligen Ländern beantwortet wird. Orientiert wird sich an sieben Themenschwerpunkten: Medienvielfalt, Unabhängigkeit der Medien, journalistisches Arbeitsumfeld und Selbstzensur, rechtliche Rahmenbedingungen, institutionelle Transparenz, Produktionsinfrastruktur, und schließlich als siebte und stärker als die vorigen gewichtete Kategorie, die Gewalttaten gegen Journalisten. Zwei Kritikpunkte an der Studie sind anzuführen: Erstens die Tatsache, dass die Organisation selbst diejenigen auswählt, die anschließend den Fragebogen ausfüllen. Einen Eindruck von den unterschiedlichen Graden der Pressefreiheit weltweit kann allerdings auch mit dieser Methode gewährleistet werden. Zweitens wird den gesetzlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Informationsfreiheit in dem Fragebogen keine ausreichende Gewichtung zuteil. Zwar ist es durchaus gerechtfertigt, dass die Anzahl der getöteten Journalisten schwer in der Beurteilungsskala gewichtet wird, allerdings sollten rechtliche Repressalien ebenso stark berücksichtig werden. In Frankreich gab es seit dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo keine Mordfälle an Journalisten, die Regierung verfügt jedoch über eine Reihe rechtlicher Taktiken gegen die Verbreitung von Hass, Diskriminierung und Rassismus, die zur Verurteilung von Medienkanälen oder Journalisten führen können. Natürlich muss gewährleistet sein, einen Bürger, der zu Mord, Kriminalität, oder Diffamierung Einzelner oder Personengruppen aufruft, sanktionieren zu können. Dies ist in allen demokratischen Staaten vorgesehen. Aber die französische Gesetzgebung geht hier zu weit, da sie theoretisch missbraucht werden könnte, um abweichende Meinungen zum Verstummen zu bringen.

Medien-Investoren und Interessenkonflikte

Die Nahaufnahme Frankreich von Reporter ohne Grenzen hebt die Bündelung von Medienkanälen in den Händen einer kleinen Gruppe von Investoren hervor, die demnach deren redaktionelle Ausrichtung bestimmen. Ein Beispiel hierfür ist der französische Investor Vincent Bolloré, Chef des Aufsichtsrates des größten französischen Medienkonzerns Vivendi. Ihm wird vorgeworfen, auf dem zur Gruppe gehörenden Bezahlfernsehsender Canal+ Werbung für das Land Togo gemacht zu haben, wo er massiv in die Konstruktion von Infrastrukturen, insbesondere den Hafen von Lomé investiert und überdies die afrikanischen Hafenkonzessionen wohl durch Bestechung erhalten hatte. Der Bericht führt weiterhin aus, dass sowohl die Vivendi-Gruppe, als auch ihre Partner-Holding-Gesellschaft Socfin in Luxemburg im Laufe der letzten Jahre unverhältnismäßig viele Klagen wegen übler Nachrede gegen konkurrierende Nachrichtenkanäle angestrengt habe.

Zunehmendes Medien-Bashing in der Politik

Ein weiteres Problem, das von Reporter ohne Grenzen hervorgehoben wird, ist die Verunglimpfung der Medien durch Politiker. Bediente sich der Front National seit jeher dieser Taktik, ist das Medien-Bashing seit den letzten Präsidentschaftswahlen auch bei anderen politischen Parteien Gang und Gäbe geworden. Jean-Luc Mélenchon, Kopf der von ihm gegründeten linkspopulistischen Partei La France insoumise, akkumulierte verbale Attacken gegen die Medien, die er beschuldigte, von Macrons Partei bezahlt zu werden um ihn selbst zu diskreditieren, und Laurent Wauquiez, Parteivorsitzender der Républicains, spricht von „bullshit", den er und seine Kollegen in den Medien ausschließlich preisgeben würden. Reporter ohne Grenzen kritisiert ebenfalls den Staatspräsidenten aufgrund der verstärkten Selektion der im Élysée-Palast zugelassenen Journalisten. Es werden nur noch jene empfangen, die ausgewiesene Spezialisten auf dem Fachgebiet des vorgesehenen Interviews sind. Außerdem wird von Journalisten bestimmter Medienorgane von verwehrtem Zugang zu Presseveranstaltungen berichtet, hier von RT France, der französischen Version des russischen Staatsfernsehens, die Macron als „Propagandainstrument“ einstufte und die nun ihrerseits einen Verstoß gegen die Pressefreiheit beklagt.

Die französische Medienaufsichtsbehörde – Gewährleisterin oder Gefährderin der Pressefreiheit?

Der Frankreich-Bericht von Reporter ohne Grenzen endet mit der Erwähnung eines folgenschweren Gesetzesentwurfs, der die Bekämpfung von Fake News, anstrebt. Das Gesetz sieht eine Kooperationspflicht der digitalen Akteure mit dem Staat vor, um in Wahlkampfperioden „Destabilisierungs-Kampagnen“ über Fake News zu verhindern, und außerdem die Verpflichtung zur transparenten Darstellung gesponserter Inhalte, inklusive expliziter Angabe ihrer Auftraggeber. Dieses Gesetz wird die Befugnisse des CSA (Conseil Supérieur de l’Audiovisuel) noch weiter ausbauen. Die Medienbehörde, deren Mitglieder zu gleichen Teilen vom Staatspräsidenten und von den Präsidenten des Senats und der Nationalversammlung ernannt werden, ist unter anderem befugt, Fernsehsender Bußgelder aufzuerlegen und die Ausstrahlung von Sendungen zu unterbinden, wenn diese gegen ihren „Verhaltenskodex“ handeln. Der CSA kann sich entweder selbst einschalten oder aufgrund von Meldungen der Fernsehzuschauer. Er nimmt alles in den Blick, was als nicht genügend progressiv oder politisch korrekt empfunden wird. Bald wird sich der Einflussbereich der Behörde, momentan auf das Fernsehen beschränkt, auf das Internet ausweiten, eine Maßnahme, die in so manchen autoritären Regimen den ersten Schritt zur Zensur bedeutete... Sogar die Inhalte der Nachrichtensendungen werden geprüft: Jean-Pierre Pernaut, Nachrichtensprecher bei TF1, wurde vergangenes Jahr zurechtgewiesen für seinen Kommentar zu mangelnden Quartieren für Obdachlose bei gleichzeitigem Ausbau von Flüchtlingsunterkünften. Die dargestellte Logik ist unzweifelhaft fragwürdig und die zugrundeliegende Idee zutiefst populistisch, dennoch ist es inakzeptabel, dass ein französischer Journalist von einer staatsgesteuerten Organisation zur Ordnung gerufen wird.

Hierzulande werden zwar keine Journalisten von der Regierung verhaftet oder getötet. Aber auch drohende finanzielle Sanktionen können deren freie Berufsausübung einschränken – sobald es Tabuthemen in der Öffentlichkeit gibt, ist der Journalismus bedroht. Karikaturen und Satire, seien sie noch so hämisch und stupide, haben nicht nur ihre Daseinsberechtigung in Printmedien mit verhältnismäßig geringer Auflage wie Charlie Hebdo. Mindestens genauso wichtig ist ihre Existenz im Massenmedium Fernsehen.

Die Konsequenz: Misstrauen der Franzosen gegenüber ihren Medien Die Konsequenz dieser versteckten Zensur: ein spürbares Misstrauen gegenüber Medien und Journalisten. Die Ergebnisse einer Studie, die Anfang diesen Jahres im Auftrag der Tageszeitung La Croix durchgeführt wurde, zeigen, dass lediglich 48% der Franzosen den Informationen aus dem Fernsehen Glauben schenken, 52% der Presse, und 56% dem Rundfunk. Ausschließlich 25% verlassen sich vollständig auf das Internet: entgegen so manchen Befürchtungen ist also nur eine Minderheit der Befragten geneigt, Fake News unkritisch hinzunehmen, auch wenn natürlich nicht auszuschließen ist, dass darunter einige durchaus anfällig für letztere sein können. Besonders frappierend: 68% der Franzosen sind der Meinung, die Berichterstattung in den Medien sei durch die politischen Parteien und die Regierung bestimmt, und lediglich 24% denken, die Journalisten könnten finanziellem Druck standhalten und unabhängig berichten. Kurzum, die Franzosen lassen sich nichts vormachen. Letztlich wird dieses Misstrauen allerdings fälschlicherweise auf den Journalismus an sich zurückgeführt. Dabei werden in den Medien systematisch oppositionelle Stimmen gegenüber den etablierten politischen Richtungen zurückgedrängt, was allerdings dem aufkommenden Extremismus nicht unbedingt zu schaden scheint. Diese Strategie richtet sich demnach gegen diejenigen, die sie verflogen. Die staatliche mediale Kontrolle, die zur Reduktion des Pluralismus beiträgt, gerät hingegen selten in die Kritik.

Und wie geht es weiter in Frankreich?

Aber das ist erst der Anfang: Der aktuelle Gesetzesentwurf, der Mitte Mai in der Nationalversammlung besprochen wird, soll noch weiter gehen. Der CSA wird danach befugt, einen Fernsehsender, „der unter dem Einfluss eines fremden Staates steht“ zu limitieren oder gar gänzlich zu verbieten. Hierbei wird ganz klar auf den russischen Sender RT abgezielt. Es bleibt offen, ob andere politische Organe ihren Einfluss geltend machen, allen voran das französische Verfassungsgericht. Sollte das Gesetz jedoch tatsächlich durchgebracht werden, bestünde für betroffene Sender die Möglichkeit, die Angelegenheit an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Letzteres würde das betroffene Medium allerdings bis zum Ende des Prozesses außer Gefecht setzen, sofern es sich nicht der aufgezwungenen Selbstzensur unterwerfen sollte.

Schließen wir mit einem Zitat, das fälschlicherweise Voltaire in den Mund gelegt wird – es stammt von Beatrice Hall, aus dem Buch „The Friends of Voltaire“, die hiermit in eigenen Worten die Einstellung des Philosophen der französischen Aufklärung zusammenfasst: „Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen“. Wir selbst sind es, die unsere Demokratie und unsere liberalen Werte gefährden, in Frankreich wie in anderen Ländern der Europäischen Union, im Westen wie im Osten, indem wir entgegen unserer Werte handeln, paradoxerweise mit dem Ziel, sie zu schützen. Es ist verlockend, Verschwörungstheorien, unangemessene Kommentare, und extremistische Äußerungen einfach auszuradieren. Auf diese Weise verraten wir jedoch die Demokratie. Jeder Bürger, Journalisten eingeschlossen, hat das Recht, seine Überzeugungen kundzutun, muss aber gleichzeitig damit rechnen, dass diese in Frage gestellt und kritisiert werden. Sollte das nicht mehr funktionieren besteht die Gefahr, dass sich unterdrückte Gedankengänge radikalisieren. Selbst wenn die Regierung aus fortschrittlichem Denken heraus handelt, wird sie bei Beibehaltung dieser Tendenz in Zukunft letztlich entweder ihre eigenen Vorstellungen verleugnen oder vom Extremismus abgelöst.

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