Prost, auf Europa! Aber wer sind wir eigentlich?

, von  Federico Permutti

Prost, auf Europa! Aber wer sind wir eigentlich?
Die Kolumne „Wir in Europa“ erscheint jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden. Foto: © European Commission / 2004

Wir wissen viel über andere europäische Länder, manchmal sogar auch etwas über unser eigenes Heimatland. Doch können wir behaupten, andere Europäer und europäische Kulturen wirklich zu kennen? Ein Hoch auf Wissensdurst!

Vor nicht allzu langer Zeit wurde mir von einem Bekannten gesagt, sogar in einer Großstadt wie Berlin würde das alltägliche Leben nicht immer Anlass zum Nachdenken über Europa bieten – oder, besser gesagt, zum Nachdenken über das, was Europa für einen selbst bedeute. Man könne sehr gut leben, ohne sich konkret mit der Frage zu befassen, sagte er. Zum Teil wollte ich meinem Gesprächspartner tatsächlich Recht geben. Schließlich habe ich manchmal auch das Gefühl, das Thema würde mich nur dann beschäftigen, wenn ich etwa erklären muss, dass mein Ausweis sehr wohl ein EU-Führerschein ist, obwohl es nicht in Deutschland ausgestellt wurde. Ich weise dann meistens auf das prominente, eindeutig europäische Fähnchen auf der rosafarbenen Plastikkarte hin und versuche, nicht zu auffällig den Kopf zu schütteln. Und das war’s. Thema „Europa und ich“: erstmal erledigt. So gesehen lag mein Bekannter eigentlich nicht falsch.

Andererseits stimmt das aber gar nicht, denn Denkanstöße sind immer vorhanden, egal wo man sich in Europa gerade aufhält. So wurde ich neulich von einer alten Freundin aus meiner Heimatstadt zu einem von ihr organisierten Dinner-Event mit etwa fünfzehn weiteren Personen eingeladen. Ich lerne immer gerne neue Leute kennen, für gutes Essen bin ich ohnehin immer zu haben. Also nichts wie hin! Neben einigen Deutschen sitzen auch weitere Gäste aus Italien und verschiedenen europäischen Ländern am Tisch. Dies alles verspricht einen interessanten Diskussionsabend. Mit großer Freude stelle ich außerdem fest, dass das Motto des Events „Karneval in Venedig“ lautet. Wir dürfen also verschiedene Spezialitäten aus der Lagunenstadt kosten – herrlich! Zwischen einem Gang und dem nächsten gibt es dann eine äußerst gelungene Marionetten-Show mit den Figuren des traditionellen venezianischen Maskentheaters.

Das macht alles unheimlich viel Spaß, doch wo ist der Zusammenhang mit Europa? Ich muss zunächst feststellen, dass die mir so vertrauten Speisen bei den anderen Gästen auf ein wenig Verwirrung stoßen. Sogar einige Italiener in der Runde scheinen nicht zu wissen, dass etwas dickere Spaghetti mit einer Zwiebel-Sardellen-Soße ein durch und durch venezianisches Gericht sind. Meine Landsleute kommen allerdings aus Rom, nicht aus dem Nordosten. Einigen Tischgenossen aus dem Ausland, die teilweise noch nie in Venedig waren (!), ist es hingegen nicht neu, dass man dort sowas isst. Ich gucke etwas erstaunt auf meinen Teller: Mit dieser Wissensverteilung hätte ich nicht unbedingt gerechnet.

Eine ähnliche Diskussion findet nach jedem Akt der Marionetten-Show statt. Ich trinke einen Schluck Weißwein und gebe mir selbst gegenüber zu, nicht alles über Italien zu wissen, geschweige denn über andere Länder. Spätestens wenn das Dessert serviert wird, wird mir klar: Wir wissen schon einiges über unsere Nachbarn, aber wir kennen uns nicht gut genug! Dabei sind wir mit einer enormen kulturellen Vielfalt in einem verhältnismäßig kleinen geografischen Raum gesegnet. Oft genügt eine kurze Fahrt mit dem Auto oder dem Zug, um in eine vollkommen andere Kultur zu gelangen. Per Flugzeug lässt sich jedes europäische Land binnen kürzester Zeit erreichen. Und trotzdem vergessen wir allzu oft, welcher Reichtum uns umgibt! Wir wissen nicht genug über die Kultur, die Geschichte, die Gastronomie anderer Länder. Oder, noch schlimmer: Wir wissen noch weniger über die regionale Vielgestaltigkeit unseres eigenen Landes.

Wir sollten uns also unbedingt verstärkt mit der kulturellen Vielfalt in unserer unmittelbaren Nähe beschäftigen. Dabei geht es weder um das Wissen an und für sich, noch muss diese Entdeckungsreise irgendein bestimmtes Ziel haben. Es geht vielmehr um die einfache Neugier, etwas mehr über andere Europäer zu erfahren. Wenn wir uns gegenseitig besser kennen lernen, dann fällt das Zusammenleben vielleicht einfacher. Und mit ein wenig Glück kann das auch zur Stärkung eines allgemein „europäischen“ Gefühls beitragen.

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