Rechtsruck in Polen: Sexuelle Minderheiten als Staatsfeind

, von  Melanie Ittner

Rechtsruck in Polen: Sexuelle Minderheiten als Staatsfeind
„Queer & stolz“. Foto: Unsplash / Delia Giandeini / Unsplash License

Es drohe die „Sexualisierung polnischer Kinder durch Pädophile“ – Mit solch einprägsamen Parolen warnten ranghohe Politiker*innen der polnischen national-konservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (kurz PiS; deutsch: Recht und Gerechtigkeit) im vergangenen Wahlkampf eindringlich vor der Gefahr, die sexuelle Minderheiten für das Land darstellen sollen. Sie setzten Homosexualität mit Kinderschändung gleich, versprachen im Falle eines Wahlsiegs die Einrichtung LGBTIQ*-freier Zonen im gesamten Land und richteten sich explizit gegen jegliche Diversität wertschätzende Bewegungen. Mit solchen Forderungen war die PiS erfolgreich: Sie fuhr bei den Parlamentswahlen mit 43,6 % der Stimmen einen historisch hohen Sieg ein.

Der beachtliche Erfolg der Partei wäre nicht möglich, würde es ihr nicht gelingen, die LGBTIQ*-Bewegung als „Ideologie“ darzustellen: Sexuelle Minderheiten werden in Polen nicht als das wahrgenommen, was sie sind – Menschen mit einer sexuellen Orientierung oder Identifikation jenseits von Heterosexualität und der binären Geschlechterunterteilung. Viel mehr deutet die PiS diese Identitätsmerkmale in eine politische und dem Westen entspringende Weltanschauung um, die es sich zum Ziel gemacht hat, das polnische Volk schrittweise zu unterwandern. Die Partei spricht insofern sogar von einer „Invasion“, also einem Einfall durch feindliche Gruppierungen von außen, dem sich das polnische Volk entgegen stellen muss. Ihr Verständnis bezüglich einer scheinbaren Bedrohung Polens kann die PiS-Regierung dank ihres großen medialen Einflusses weit verbreiten. In von ihr in Auftrag gegebenen Fernsehdokumentationen wird von aus dem Ausland kommenden illegalen Geldströmen berichtet, durch die die LGBTIQ*-Bewegung finanziert werde.

Nährboden dieser Propaganda: Wachsender Nationalismus in der Gesellschaft

Der in Polen in den letzten Jahren prosperierende Nationalismus kommt der Partei bei ihrer Propaganda zu Gute: Viele Pol*innen sind EU-kritisch eingestellt. Sie fühlen sich vom fernen Brüssel bevormundet und vom wirtschaftlich starken Nachbarn Deutschland ausgenutzt. Die von der PiS erklärte These über den westlichen Ursprung der LGBTIQ*-Bewegung mit dem Ziel, Polen und seine Werte von innen heraus zu zerschlagen, bestätigt viele polnische Bürger*innen in ihren Befürchtungen.

Die nationale Identität der polnischen Gesellschaft fußt außerdem trotz des in den letzten Jahren von Skandalen erschütterten Images der Kirche weiterhin maßgeblich auf den von ihr propagierten erzkatholischen Vorgaben. Das christliche Familienbild, die Ehe zwischen Mann und Frau und die gemeinsame Sorge ihrer Kinder als einzige Form des familiären Zusammenlebens, dient vielen polnischen Bürger*innen nicht nur als persönliche Orientierung für die private Lebensführung, sondern ist aufgrund der traditionellen Verzahnung von Staat und Kirche fester Bestandteil der polnischen Identität: Wer den von der Kirche vorgegebenen Kategorien nicht entspricht, ist nicht Teil der polnischen Gesellschaft. Wer die Gleichbehandlung sexueller Minderheiten befürwortet, spricht sich daher sowohl gegen die Werte und Normen der Kirche als auch gleichermaßen gegen Polens Nationalverständnis aus.

Jugend: Konservatismus als Teil der Popkultur

Eine vermeintliche Steuerung durch den Westen mit dem Ziel der Abschaffung des souveränen Polens – das klingt nach Sorgen aus früheren Zeiten, in denen Europa noch in West und Ost aufgeteilt war. Man könnte meinen, das Thema betreffe überwiegend ältere Generationen. Dem ist jedoch nicht so:

Bei der Europawahl im Mai 2019 war die PiS die Partei mit den meisten Stimmen unter den 18- bis 29-Jährigen. Bei der Parlamentswahl im vergangenen Oktober gaben sogar 20,2 % der befragten Wähler unter 29 an, die noch weiter rechts als die PiS stehende und nicht weniger gegen Diversität hetzende Konfederacja gewählt zu haben. Im Vergleich zu Westdeutschland, wo ein Großteil der Jugend politisch eher links und progressiv eingestellt ist, ist in Polen ein gegensätzlicher Trend erkennbar: Rechts zu sein ist cool, radikaler Konservatismus Teil der Popkultur.

Dennoch sind auch unter den polnischen Jugendlichen progressive Stimmen und Unterstützer*innen der LGBTIQ*-Bewegung zu finden, wie beispielsweise in den Reihen der Aktivist*innen der polnischen Fridays for Future-Bewegung. Ein Großteil dieser scheint jedoch wegen der allgegenwärtigen konservativen Jugend nicht sonderlich „laut“ sein zu wollen. Während andernorts auch immer mehr Regenbogenflaggen bei den Klimakundgebungen zu sehen sind, ist die Mitnahme solcher bei den polnischen Märschen ausdrücklich nicht erwünscht. Die Veranstalter*innen befürchten einen Bruch der Klimabewegung an diesem kontroversen Thema. Das aus ihrer Sicht gewichtigere Ziel, einen entschiedenen Kampf für den Klimaschutz zu führen, soll nicht zu Gunsten der LGBTIQ*-Bewegung riskiert werden.

Quo vadis, Polen?

Die von der PiS verbreitete Hetze fruchtet: Homosexuelle berichten von Anfeindungen auf offener Straße. Im Juli 2019 kam es bei der ersten „Gay Parade“ der ostpolnischen Stadt Białystok zu gewaltsamen Ausschreitungen gegenüber LGBTIQ*-Aktivist*innen: 4000 Hooligans und Nationalist*innen standen 800 LGBTIQ*-Demonstrant*innen und -Unterstützer*innen gegenüber. Mit Urin gefüllte Glasflaschen, faule Eier, Steine und Böller flogen durch die Luft; Regenbogenflaggen wurden verbrannt.

Dennoch gab es in den vergangenen Monaten auch Ereignisse, die der LGBTIQ*-Community Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation geben können: Im Mai letzten Jahres zog Robert Biedroń, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Słupsk und drittbeliebtester Politiker Polens im Jahr 2015, als bekanntester offen schwul lebender Politiker des Landes und prominenter Vorkämpfer der polnischen Homosexuellenbewegung für Polen ins EU-Parlament ein. Anfang vergangenen Jahres unterzeichnete Rafał Trzaskowski, Bürgermeister von Warschau, eine Erklärung zur Gleichstellung sexueller Minderheiten. Im Oktober 2018 erkannte das oberste Verwaltungsgericht Polens eine britische Geburtsurkunde an, in der zwei lesbische Polinnen beide als Mutter des Kindes eingetragen waren. 2019 gab es mehr als 20 „Pride Parades“; vor einigen Jahren war die Anzahl dieser Märsche noch einstellig.

Obwohl der Erfolg der PiS und Ereignisse wie die in Białystok eine eindeutige Sprache zu sprechen scheinen, sehen Insider nicht per se einen Stillstand oder eine Verschlechterung für die Bestrebungen der LGBTIQ*-Community in Polen. Im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärte Jacek Dehnel, polnischer Schriftsteller und Redner bei der „Gay Parade“ in Białystok, dass sich Polen seiner Meinung nach derzeit in einer Umbruchsphase befinde. Von einer Entwicklung in Richtung eines „katholischen Konfessionsfundamentalismus nach islamischem Muster“ bis hin zu einer Öffnung der konservativen Gesellschaft nach maltesischem Vorbild sei alles möglich. Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen in welche Richtung sich das Land bewegen wird.

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