„Rechtsruck“ - Wenn die Demokratie vor dem Populismus kapituliert

Rechtspopulisten auf dem Vormarsch in Europa

, von  Grischa Alexander Beißner

„Rechtsruck“ - Wenn die Demokratie vor dem Populismus kapituliert
Die rechtspopulistische AfD im Wahlkampf 2017 Foto: strassenstriche.net / Flickr / CC-BY 2.0-Lizenz

Überall in Europa drängen Rechtspopulisten in die Parlamente. Der Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag ist eine Kampfansage an die etablierte demokratische Ordnung. Mit kriegerischer Rhetorik will die AfD „Merkel jagen“. In dieser Hetzjagd treiben die Rechten tatsächlich die anderen Parteien europaweit vor sich her – durch Unterstützung in deren eigenen Reihen. Dabei haben doch bereits die europäischen Nachbarländer gezeigt, wie gefährlich die Annäherung an rechte Themen sein kann.

Alles rennet, rettet, flüchtet. Die massive Wählerwanderung bei der Bundestagswahl hat vor allem eines ausgelöst: Panik. Überall in Europa greifen die Rechten nach der Macht. Und trotzdem wiederholt die Politik überall dieselben Fehler. Schon vor der Wahl haben hochrangige Politiker in allen Parteien versucht, mit rechten Vorstößen Wähler zu gewinnen.

Schlägt nun die große Stunde der Nachmacher und Jeder versucht, die AfD rechts zu über- oder wenigstens einzuholen? Müssen alle nun „rechter“ werden, um Wahlen zu gewinnen?

Demokratie zwischen Schock und Panik

In der panischen Rechtsbewegung aller Parteien liegt bereits der erste Sieg der AfD - und ihr erster und wichtigster Jagderfolg. Die massive Abwanderung von Wählern trifft viele Parteien wie ein Schock. Der Impuls dem entgegen wirken zu wollen ist nur verständlich. Aber in blinder, panischer Naivität glauben Politiker wie Lafontaine, Seehofer, Tillich, aber auch Nahles oder Lindner, dass man die abgewanderten Wähler zurückgewinnt, indem man sich zu einer „AfD light“ macht. Dabei wird ignoriert, dass dies nicht nur die Stammwähler vertreibt, sondern auch rechte Forderungen in die Mitte des politischen Diskurses setzt. Man macht die Rechtspopulisten zum Themengeber – und geht ihnen dadurch in die Falle. Mit dieser Methode treiben die Rechtspopulisten in ganz Europa die etablierten Parteien in die Richtung, die sie wollen. Das ist die eigentliche Macht der Neuen Rechte: Ihre Sogwirkung.

Rechte haben gewaltige Gravitationskräfte - in Europa und weltweit

Es ist ein Spiel, das sich in vielen Demokratien wiederholt – und aus dem doch niemand lernt. In jeder demokratischen Landschaft wirken Rechtspopulisten wie ein großes, schwarzes Loch, das alle Parteien um sich herum unaufhaltsam anzieht. Egal ob Trump in den USA, die FPÖ in Österreich oder die PVV in den Niederlanden – wo immer die Rechten gewinnen, beherrschen ihre Themen den Diskurs – und alle wollen plötzlich so sein wie sie. Aber zu keinem Zeitpunkt hat dieses Verhalten den „Nachmachern“ genützt.

Besonders bedenklich ist es da, wenn etablierte Parteien anfangen, die Lektionen aus Hindenburg und von Papen zu vergessen und sogar mit den Rechtspopulisten zu koalieren. Denn diese haben aus der Vergangenheit gelernt. Geben sich auch mit rechtsextremen Mitgliedern und Wählern geschickt moderat, verstehen es, die Aufmerksamkeit williger Medien zu sichern.

Aber ist das rechtsextreme Wählerpotenzial wirklich so groß?

Rache der „Habenichtse“

Natürlich sind nicht 10% der Deutschen spontan Neonazis geworden. Die Rechte macht Prozente, indem sie Ängste schürt. Diese Ängste existieren jedoch nicht erst seit der AfD. Sie sind keine reinen Hirngespinste. Ihr Ursprung liegt in steigender Armut, der Angst um Jobs und schlechte Kommunikation zwischen Regierung und Volk. In solch einer Situation heißt es dann: „Guckt mal, die Ausländer bekommen was und euch vergisst man!“

Der erneute Aufstieg der Rechten ist die Quittung dafür, jahrelang die prekären Schichten ignoriert zu haben. Dadurch haben die Rechten in Europa leichtes Spiel. Viele Parteien haben, ganz nach Adenauers „Was geht mich mein Geschwätz von gestern an“, das Vertrauen ihrer Wähler oft enttäuscht. Das ist der Nährboden, auf dem Populisten wachsen. Ihre Halbwahrheiten über Lobbysümpfe und vom Wähler entfremdete Politiker lassen sich leicht verkaufen, wenn das Volk seine Vertreter ohnehin für Lügner hält.

Frankreichs Präsident Macron, der selbst in der Stichwahl einer Rechtspopulistin gegenüber stand, hält den Kampf gegen die neue Rechte für eine der dringendsten Aufgaben Europas. Wenn man nichts täte, so Macron, würden die Rechten mit jeder Wahl 5% dazugewinnen. Europa darf nicht zulassen, dass rechte Parteien wieder Mehrheiten stellen.

Aus dem Denkzettel lernen – aber richtig

Im Grunde gibt es zwei große Fehler, die man nach einem Wahlsieg der Rechten machen kann. Und gemacht werden beide. Zum einen, die Angleichung an rechte Positionen in der naiven Hoffnung, man bekomme dadurch Wählerstimmen. Doch die wirklichen Rassisten wählen keine Kopie des rechtsextremen Originals.

Zum anderen ist da der Fehler des „einfach Weitermachens“ in der Hoffnung, die AfD und ihre Gesinnungsgenossen verschwinden von alleine wieder. Ein „weiter so!“ ist ein fatales Signal. Vor allem, weil die Politik wie bisher für den Aufstieg der Rechten erst gesorgt hat. Wenn das Profil am Reifen abgefahren ist, dann tauscht man nicht einen, sondern alle Reifen aus. Man fährt nicht einfach weiter, bis der Reifen platzt oder man auf glatter Fahrbahn gegen den nächsten Baum prallt. In einer gespaltenen Gesellschaft ist das rechtspopulistische Modell ein Selbstläufer. Sie säen Ängste und bedienen diese Ängste dann selbst.

Wenn man die Rechten in Europa besiegen will, muss man ihnen diese Grundlage entziehen. Dazu gehört auch diese Ängste ernst zu nehmen – und dann zu entkräften, statt sie selbst zu bedienen. Systemverlierer müssen Aufgefangen werden statt Instrumentalisiert. Es braucht keinen Rechtsruck, der nur niedere Instinkte befriedigt. Damit deklassiert sich die etablierte Politik nur weiter.

Was wirklich helfen würde

Es muss tatsächlich etwas getan werden. Bildung verbessern. Transparentere, sichtbarere Politik. Demokratische Strukturen stärken. Dazu gehört auch, sich zu streiten. Jahre der großen Koalition und des Mutti-Wohlfühl-Wahlkampfs haben die demokratische Kultur in Deutschland eingeschläfert.

Parteien brauchen Ideale, müssen unterscheidbar und streitbar sein. Sich jetzt auch noch kollektiv der AfD anzugleichen wäre politischer Selbstmord. Speziell für Parteien, deren Potenzial in sozialer Politik liegt, die sich eigentlich um die „Schwächeren“ kümmern wollten – und dringend sollten.

Denn rechtspopulistische Parteien nutzen die vom System Vergessenen aus. Viele der „Schwächeren“ wählen AfD. Sie verspricht, anders zu sein, sich „endlich wieder um diese Menschen zu kümmern“. Man bietet ihnen ein Ventil für ihren Frust und ihre Enttäuschung. Und dieses Schema funktioniert, dank Sozialabbau und ständig wachsender Wohlstandsunterschiede, immer besser. Selbst wenn es angesichts der sozialen Kälte der AfD eine dreiste Lüge ist.

Um die Rechten dauerhaft zu besiegen, muss man auch das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen. Und das wird nur passieren, wenn die Parteien anfangen, sich als erstes kritisch mit sich selbst auseinander zu setzen, sich hinterfragen. Die Menschen haben die Worthülsen satt. Die Parteien müssen wieder mehr für Inhalte streiten. Müssen Ideen und Lösungen anbieten. Denn nur dann läuft die rechte Propaganda ins Leere. Solange jeder nur mit dem Strom von Wahl zu Wahl schwimmt, fällt keinem auf, dass die Rechten keine echten Ideen und Lösungen haben.

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