Zurück zum starken Mitspieler in der EU
Wer die Rechtsstaatlichkeit verletzt, muss mit Kürzungen und dem Einfrieren von EU-Geldern rechnen. So geht es aus der am 16. Dezember 2020 vom Europäischen Parlament und Rat der Europäischen Union verabschiedeten Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung hervor. Polen hat dadurch in den letzten Jahren auf Milliarden Euro verzichten müssen.
Seit dem Regierungswechsel 2015 versuchte die rechts-populistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), ihren Einfluss auf Justiz und Medien zu erweitern. Darunter fielen Änderungen an der Zusammensetzung des Verfassungsgerichts und der Gesetze zur Richterernennung. 2021 dann das Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Die Justizreform der PiS von 2019 ist verfassungswidrig.
Das neue Kabinett, bestehend aus der Bürgerkoalition, dem Dritten Weg und der Linken, möchte wieder zum starken Mitspieler in der EU werden.
Noch vor Amtsantritt äußerte sich Ministerpräsident Donald Tusk bei einem Besuch in Brüssel am 25. Oktober 2023: „Heute geht es darum, die Position meines Landes in Europa wieder aufzubauen und die EU als Ganzes zu stärken.“ Innenpolitisch wolle man die Rechtsstaatlichkeit fördern und die Medien liberalisieren.
Die Europäische Kommission gab Polen am 29. Februar grünes Licht für EU-Gelder. Eine Woche zuvor präsentierte die polnische Regierung ihren Aktionsplan in Brüssel. Darin wird erläutert, wie die Justiz reformiert werden soll, um für ihre Unabhängigkeit zu sorgen. Von der Leyen lobte bisherige Bemühungen zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit. In Zukunft kann Polen mit der Freigabe von Geldern in Höhe von bis zu 137 Milliarden Euro rechnen.
Der Justizminister entlässt reihenweise
„Wir werden die Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen, die durch die Handlungen der Vorgänger erschüttert wurde.“, heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Regierung. Dass das ein Ringen um Recht und Ordnung sein wird, zeigt ein Blick auf Polens Richter*innen. Die aktuellen Richter*innen am Verfassungsgerichtshofs sind von der PiS ernannt worden. Wie auch die Präsidentin Małgorzata Manowska des Obersten Gerichts Polens, handeln sie auf Parteilinie.
Darüber hinaus verfügt Polen über ein Kontrollorgan der Gerichte, den Landesrat für Gerichtswesen. Diesen Baustein hat die PiS in ihrer Justizreform gewiss bedacht. So wurde die Ernennung der Richter*innen im Landesrat zur Kompetenz des Parlaments, damals mit absoluter Mehrheit der PiS besetzt.
Mit Entschlossenheit möchte der neue Justizminister Adam Bodnar die Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen. Einen Monat nach seinem Amtsantritt am 13. Dezember 2023 entließ er die ersten Staatsanwält*innen. Unter ihnen war die Schlüsselfigur Dariusz Barski, Leiter der Nationalen Staatsanwaltschaft. Bodnar löste damit einen verbalen Schlagabtausch mit der Opposition aus. In einem Video kritisierte Präsident Duda die Entscheidung scharf. Diese sei rechtswidrig, da es die Zustimmung des Präsidenten benötige, die er selbst nicht gegeben habe. Der Justizminister argumentiert dagegen: Die Ernennung des Staatsanwalts sei nach dem Gesetz nicht zulässig gewesen und gehöre somit auch nicht anerkannt.
2016 brachte die PiS-Regierung ein Gesetz durch, das den Justizminister gleichzeitig zum Generalstaatsanwalt macht. Damit wurde die Staatsanwaltschaft dem Justizministerium unterstellt und der politische Einfluss auf die Justiz ausgedehnt. Um das rückgängig zu machen, legte Adam Bodnar einen Gesetzesentwurf vor.
Die Erfolgswahrscheinlichkeit der Verordnung dürfte jedoch gering sein, denn Duda stellt sich quer. Der Präsident hat bereits angekündigt, gegen jedes Gesetz sein Veto einlegen zu wollen. Da die Regierungsparteien im Parlament nicht über 3/5 Mehrheit verfügen, kann das Veto nicht überstimmt werden.
Andrzej Duda ist noch bis Mitte 2025 Staatspräsident. Sind der Regierung also die Hände gebunden? Der Justizminister denkt das nicht. Duda würde seinem Ansehen schaden, würde er jedes Gesetz blockieren und das sei ihm bewusst. Im Bereich der Bürgerrechte, etwa bei einer Reform des Abtreibungsgesetzes oder der LGBTQ-Rechte, könnten die Chancen besser stehen.
Schlagabtausch in der Mediendebatte
Polen verfügt über einen Landesrundfunk- und Fernsehrat, der Meinungsfreiheit und Pluralismus gewährleisten soll. Mitglieder des Rates müssen politisch unabhängig sein und dürfen keiner Partei angehören. In den letzten acht Jahren hat die PiS erfolgreich ihren Einfluss auf die Medien ausgebaut. Dafür wurde 2016 ein Gesetz über einen Nationalen Medienrat verabschiedet. Dieser übernahm die Kompetenzen des unabhängigen Landesrundfunk- und Fernsehrats. Mitglieder des Medienrats wurden von der PiS ernannt.
Mit dem Machtwechsel wollte die Regierung des Kabinett Tusks die Staatsmedien umbauen. Die Führung mehrerer Kanäle, darunter der größte Fernsehkanal Telewizja Polska, Polskie Radio und die Polish Press Agency, wurde ausgewechselt.
Dass das PiS-treue Verfassungsgericht den Umbau als rechtswidrig eingestuft hat, ist keine Überraschung. Aber auch Stimmen abseits der PiS kritisierten das Vorgehen bereits im Dezember. Die Helsinki Foundation for Human Rights äußerte sich in einer Stellungnahme: Das Entlassen und Ernennen von Gremienmitgliedern dürfe nicht durch Regierungsvertreter geschehen. Es fehle an Transparenz. Darum brauche es neue Gesetze, die die Befugnisse über die öffentlich-rechtlichen Medien klären.
Duda stellt sich quer
Die Opposition macht es der neuen Regierung nicht leicht. Acht Jahre antidemokratischen Umbaus gilt es rückgängig zu machen. Dabei arbeiten die Vorgänger mit allen Mitteln dagegen - mit Staatspräsident Andzej Duda als mächtigsten Gegenspieler der Regierung Tusk.
Obwohl der Präsident dazu verpflichtet ist, parteiunabhängig zu agieren, zeigt sich das in der Praxis anders. Neben der Veto-Drohung begnadigte er im Januar die beiden PiS-Politiker Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik ein zweites Mal. Diese wurden aufgrund von Amtsmissbrauch zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Zudem ruft die PiS ihre Anhänger zum Protest auf. Zuletzt gab es einen Demonstrationszug in der Hauptstadt - Schätzungen gehen von 30 bis 300 Tausend Demonstrant*innen aus.
Um Gesetze zu verabschieden, muss mit Präsident Duda kooperiert werden - zumindest bis zu den Neuwahlen 2025. Den Haushaltsplan der neuen Regierung hat der Präsident aber unterschrieben. Mit genug Druck aus der Bevölkerung wird auch Duda zum Nachgeben gezwungen.
Die EU unterstützt die hohen Ambitionen der polnischen Regierung. Die Zusage von Milliarden Euro ist eine große Unterstützung für Polen und könnte für mehr Zuspruch der polnischen Bürger*innen sorgen.
Sollte es die Regierung in ihrer Amtszeit schaffen, die strukturellen Probleme des Rechtsstaats zu beheben, stellt sich noch die Frage, wie man mit vergangenen Urteilen der Gerichte umgehen soll. Das Vorhaben der neuen Regierung, die Rechtsstaatlichkeit wieder aufzubauen, wird jedenfalls ein langer Prozess werden.
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