Rumänien: „Integrität ist ein hohes Gut“

, von  Arthur Molt

Rumänien: „Integrität ist ein hohes Gut“
Professor Alina Mungiu-Pippidi leitet derzeit das European Research Centre for Anticorruption and State-Building (ERCAS) an der Hertie-School of Governance, Berlin. photo courtesy by Alina Mungiu-Pippidi, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Den Behörden auf die Finger schauen. Das Online-Portal „Sauberes Rumänien“ hat sich den Kampf gegen Korruption zur Aufgabe gemacht. Die Website gehört zu den am meisten aufgerufenen Informationsportalen in Rumänien. Im Interview erklärt die Gründerin Prof. Alina Mungiu-Pippidi die Hintergründe der aktuell in Rumänien stattfindenden Proteste. Chancen für einen langfristigen Wandel sieht sie kaum.

treffpunkteuropa.de: Was ist das erste Ziel der Internetplattform „clean Romania“?

Alina Mungiu-Pippidi: In 2004 haben wir eine Koalition von NGOs, Gewerkschaften und studentischen Vereinigungen gegründet, die heute den Namen „clean Romania“ trägt. So heißt auch unsere website. Clean Romania wurde gegründet, weil es unzureichendes bürgerschaftliches Engagement gegen Korruption in Rumänien gab. Besonders einflussreich wurde die Koalition 2004, da unsere Arbeit Einfluss auf den Ausgang der Wahlen hatte. Darüber hinaus wurde jemand aus unserer Koalition, Monica Macovei Justizministerin. Später stellten wir fest, dass Mobilisierung nicht genug war. Wir gründeten die Website als eine Plattform für whistle blower und gemeinsame Aktionen gegen Korruption.

Wie können Menschen in Rumänien ihre Website nutzen?

Aus ganz Rumänien können Bürger hier Vorfälle von Bestechung, Vorteilsnahme, Machtmissbrauch melden. Über die Website oder eine App können sie Anfragen zu rechtlichen Themen stellen. Die Anfragen werden von uns angenommen und die staatlichen Behörden geben eine Auskunft, die die Nutzer direkt einsehen können. Über 6000 Behörden sind in der App gelistet. Ein anderes Werkzeug sind Formulare mit Beispielen aus der Rechtsprechung, die helfen sich gegen Korruption zur Wehr zu setzen. Es ist eine Art Werkzeugkasten zur Selbsthilfe für Menschen, die nicht das Geld für einen Anwalt haben. Zusätzlich arbeiten auch investigative Journalisten für uns, die Korruption nachgehen.

Haben Sie eine Zunahme der Zugriffe auf ihre Website bemerkt seit den jüngsten Massenprotesten in Bukarest?

Nein. Aber in den vergangenen zwei Jahren war das Interesse besonders groß. Als wir 2004 anfingen hatten wir ungefähr 400 Aufrufe im Monat, in 2016 waren es circa 8000 im ganzen Jahr.

Nimmt ihre zivilgesellschaftliche Koalition Teil an den Protesten?

Wir sind keine offiziellen Organisatoren der Proteste. Und keines der Mitglieder oder NGOs in der Koalition ist ein Organisator und möchte als solcher gesehen werden. Als die Proteste starteten wusste niemand, wer die Organisatoren waren. Es war keiner der etablierten Akteure in der rumänischen Zivilgesellschaft darunter. Auch wenn viele von uns die angelaufenen Proteste unterstützt haben.

In der europäischen Presse werden die Proteste darauf zurückgeführt, dass die Regierung die Gefängnisstrafe für Korruption für Fälle unter 45.000 Euro abschaffen wollte.

Hier muss ich etwas korrigieren. Die Diskussion drehte sich allein um die Absenkung der Schwelle für die Strafbarkeit im Falle eines Gesetzesartikels zum Machtmissbrauch. Andere Artikel, wie zum Beispiel zur Bestechung, waren nicht betroffen. Vetternwirtschaft – wie Herr Fillon sie mit der Beschäftigung seiner Frau bewiesen hat – ist in Rumänien illegal. Und man geht dafür auch ins Gefängnis. Allerdings – und das brachte die Menschen auf die Straße – hätten die Gesetzesänderungen direkt denjenigen Vorteil gebracht, die sie verabschiedeten. Es handelte sich bei der Gesetzesänderung nicht um die wichtigsten Artikel des Strafgesetzes gegen Korruption. Diese sind intakt und in manchen Fällen auch strenger als in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich. Das muss klargestellt werden, weil wir sonst von doppelten Standards ausgehen.

Glauben Sie persönlich, dass die Proteste Veränderungen für Rumänien bringen werden?

Wenn die Proteste trotz derzeit sinkender Teilnehmerzahlen anhalten, können sie die Regierung in die Enge treiben. Was langfristige Veränderungen betrifft habe ich jedoch meine Zweifel. Es geht darum, die Art der Regierungsführung grundsätzlich zu ändern. Integrität ist ein hohes Gut. Korruption ist in Rumänien eine Epidemie. Und seit Jahren hat niemand daran wirklich etwas geändert.

Was wäre nötig um die Korruption langfristig einzudämmen?

Nötig wäre eine Partei, die demokratisch mit 51 Prozent die Wahlen gewinnt und eine Agenda zur Korruptionsbekämpfung hat. Wir brauchen eine ehrliche Partei, mit ehrlichen Leuten. Es geht nicht darum, ein paar Gesetze zu ändern. Es geht um eine grundsätzlich andere Art der Regierungsführung. Aber alternative Eliten sind nichts, was man leicht oder über Nacht erreichen kann.

Sehen Sie die Möglichkeit eines baldigen Regierungswechsels? Staatspräsident Johannis hat sich kürzlich gegen Neuwahlen ausgesprochen.

Neuwahlen sind nur möglich, wenn die bisherige Regierung abtritt. Und selbst wenn es Neuwahlen gäbe, würde die regierende PSD wieder gewinnen. Die Verhältnisse von Regierung und Opposition sind 60 zu 30 Prozent.

Wie sieht es mit alternativen Eliten aus? Kann sich aus den Protesten beispielsweise eine neue Partei entwickeln?

Hier liegt der Schwachpunkt. Es gab in der Vergangenheit solche alternativen Parteigründungen mit einer Agenda gegen Korruption. Allerdings hat es nie funktioniert. Es liegt an dem absoluten brain drain, der Auswanderung von jungen, qualifizierten Menschen. Die Studenten setzen sich zwar ins Flugzeug um an den Protesten teilzunehmen, aber sie wohnen nicht mehr hier. Über 3 Millionen Rumänen leben im europäischen Ausland aufgrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Diese kritische Masse fehlt uns in Rumänien.

Die Fragen für treffpunkteuropa.de stellte Arthur Molt.

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