Die Erleichterung war Maia Sandu, der amtierenden moldauischen Präsidentin, förmlich ins Gesicht geschrieben. Nachdem ihr und ihrer PAS-Partei in den ersten Hochrechnungen der Präsidentschaftswahlen am 4. November letzten Jahres noch eine bittere Niederlage drohte, wendete sich das Blatt später am Abend dank der überwältigenden Unterstützung der moldauischen Diaspora doch noch. In ihrer Siegesrede versprach die 53-Jährige, Präsidentin “für euch alle” zu sein.
Allerdings machte das Wahlergebnis deutlich, dass dieses Versprechen in dem kleinen, zwischen Rumänien und der Ukraine eingekesselten Land immer schwieriger zu halten ist. In Moldau selbst gewann Sandus Konkurrent, der ehemalige Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo, der für die prorussische Partei der Sozialisten (PSRM) antrat, mit einem Abstand von etwa 2,6%. Auch das Referendum über die Verankerung des EU-Beitritts in der Konstitution, das zwei Wochen vorher stattfand, konnte das proeuropäische Lager lediglich mit hauchdünnem Abstand (50,35% dafür, 49,65% dagegen) für sich entscheiden. Beide Wahlen machten deutlich, wie innerlich zerrissen und anfällig für Desinformationskampagnen und Korruption das osteuropäische Land ist.
Die Ergebnisse der zweiten Runde der moldauischen Präsidentschaftswahlen 2024. Foto: Wikimedia Commons | WeaponizingArchitecture | CC0 1.0.
Die Ergebnisse des Referendums über die Mitgliedschaft der Republik Moldau in der Europäischen Union 2024. Grün = für, Rot = gegen. Foto: Wikimedia Commons | Faustino Sojo | CC BY-SA 4.0.
Die nächste Schicksalswahl
Mit der Parlamentswahl steht im September bereits die nächste - und möglicherweise auch wichtigste - Wahl bevor. Moldau ist nämlich, ähnlich wie Deutschland, eine parlamentarische Republik. Während der/die Präsident*in also lediglich eine repräsentative Rolle einnimmt, ist der/die Premierminister*in als Regierungsoberhaupt mit der Ausführung der Politik beauftragt. Zwar wird Letztere*r von dem/der Präsident*in nominiert; allerdings bedarf es ihr/ihm der Unterstützung einer Mehrheit des Parlaments, um seine/ihre Gesetzesvorhaben in die Tat umsetzen zu können.
Eine solche Mehrheit errang die PAS bei der letzten Parlamentswahl 2021 mit 52,08% der Stimmen, was 63 aus 101 Parlamentssitzen entsprach. Dadurch konnte Sandu, die ein Jahr zuvor das Präsident*innenamt übernommen hatte, ihre Wunschkandidatin, die ehemalige Finanzministerin und PAS-Mitglied Natalia Gavrilița, zur Premierministerin nominieren.
Diesmal stehen die Wahlen allerdings unter anderen Vorzeichen. Während sich die PAS beim letzten Mal als vielversprechendste Kraft im Kampf für den EU-Beitritt und gegen die allgegenwärtige Korruption im Land profilieren konnte, hat sie aufgrund ihrer Misserfolge in der Korruptionsbekämpfung, der Justizreform und der Wirtschaftspolitik in den letzten vier Jahren einiges an Vertrauen eingebüßt. Auch die diesjährige Energiekrise in der abtrünnigen Region Transnistrien, die die Verbraucherpreise in Moldau in die Höhe trieb, hat zum Popularitätsverlust der PAS beigetragen. Ende April lag die Partei in den Umfragen bei knapp 37%, Tendenz sinkend. Damit wäre sie zwar immer noch stärkste Partei, jedoch ist unklar, ob sie wiederum eine absolute Mehrheit im Parlament erringen könnte, wofür die Unterstützung der in den Umfragen nicht berücksichtigten Diaspora erforderlich wäre.
Ergebnisse der Wahlumfragen für die bevorstehende Parlamentswahl, Stand: April 2025. Foto: Wikimedia Commons | MagicVolck | CC BY-SA 4.0.
Fehlende EU-Mehrheit
Einer der Hauptgründe, warum die absolute Mehrheit im Parlament für die PAS so wichtig ist, ist die Abwesenheit kompetenter potenzieller Koalitionspartner, die das Ziel des EU-Beitritts mit der Regierungspartei teilen. Von den vier Parteien, die neben der PAS Stand jetzt die Sperrklausel von 5 bzw. 7% (für Zusammenschlüsse mehrerer Parteien) erreichen würden, hat sich lediglich eine einzige, der “Blocul politic ‘Alternativa’” (Politischer Block “Alternative”, kurz: BA), der im Januar gegründet wurde und Sandus Partei kritisch gegenübersteht, die europäische Integration zum Ziel gesetzt. Zwei Parteien, der wahrscheinliche Wahlblock der Sozialisten und Kommunisten (BCS) und Victorie (BV), gelten als ausgesprochen prorussisch und lehnen jegliche Annäherung an die EU vehement ab. Im Falle des Ausbleibens einer absoluten Mehrheit wäre es für die PAS daher schwierig, ihre*n bevorzugte*n Premierminister*in vom Parlament bestätigen zu lassen.
Aus den oben genannten Parteien scheint der BA auf den ersten Blick der aussichtsreichste Ansprechpartner für mögliche Sondierungsgespräche zu sein. Eine Überbrückung der Differenzen zwischen der Regierungspartei und dem politischen Newcomer scheint allerdings außer Reichweite. Letzterer wurde von mehreren hochrangigen Politikern gegründet, die in der Vergangenheit jeweils mit Sandu und ihrer Partei aneinandergeraten waren. Alexandr Stoianoglo, der letztjährige Runner-Up bei den Präsidentschaftswahlen, wurde von Sandu 2021 aus seiner Rolle als Generalstaatsanwalt aufgrund des Verdachts der Korruption entlassen. Ion Ceban, der amtierende Bürgermeister Chișinăus, hat sich in der Vergangenheit zwar den EU-Beitritt als wichtiges Ziel auf die Fahne geschrieben; allerdings wirft seine Vergangenheit bei den stark EU-kritischen Sozialisten und Kommunisten Fragen bezüglich seiner Glaubwürdigkeit auf, weswegen er von Sandu bereits als “Mann Moskaus” bezeichnet wurde.
Auch die Verbindungen vieler Gründungsmitglieder zu korrupten Oligarchen, allen voran Vladimir Plahotniuc, werden von der PAS kritisch beäugt. Plahotniuc, ein langjähriger Parlamentsabgeordneter und reichster Mann Moldaus, wird bezichtigt, zusammen mit anderen Oligarchen im Jahr 2014 mehr als 1 Milliarde Euro aus drei moldauischen Banken über Strohmannkontos gestohlen zu haben. Er floh 2019 in die Türkei, nachdem seine “Partidul Democrat din Moldova” (deutsch: Demokratische Partei Moldaus, kurz: PDM) die Parlamentswahl im Februar verloren hatte. Obwohl er zuvor von der EU als erklärter Gegner des russischen Einflusses in Moldau unterstützt wurde, verhängte sie im Mai 2023 aufgrund des Milliardenraubs Sanktionen gegen ihn. Der BA könnte daher ein Wolf im Schafspelz sein, der Wähler von den pro-russischen Sozialisten und der pro-europäischen PAS klauen soll, um eine politische Kraft im Land zu etablieren, die Plahotniuc wohlgesinnt wäre und seine Verbrechen nicht strafrechtlich ahnen würde (zumindest im gebührenden Maße).
Neben dem BA gibt es noch die “Partidul Nostru” (deutsch: Unsere Partei, kurz: PN), die in den Umfragen an der Sperrklausel kratzt. Ihr Vorsitzender, Renato Usatîi, plädiert für eine neutrale Außenpolitik und fokussiert sich mehr auf die innere Entwicklung des landes, wodurch die PAS, unter der Bedingung des Eingehens einiger Kompromisse, mit ihm theoretisch zusammenarbeiten könnte.
Allerdings haften auch Usatîi Vorwürfe einer gewissen Nähe zu Russland an, und in der Vergangenheit hat sich der 46-Jährige scharf gegen eine Annäherung an die EU ausgesprochen. Zudem schloss Usatîi, dessen Partei um den Einzug ins Parlament kämpfen werden muss, Anfang Juni eine Koalition mit der PAS aus, da diese “zum Scheitern verurteilt” wäre.
Der ehemalige Abgeordnete und reichste Mann Moldaus, Vladimir Plahotniuc, soll 2014 zusammen mit anderen Oligarchen mehr als 1 Milliarde Euro aus moldauischen Banken gestohlen haben. Foto: Wikimedia Commons | Scheremitus | CC BY 2.0.
Russische Einmischung
Bei den Wahlen wird sich die derzeitige Regierungspartei nicht nur gegen interne Konkurrenten bewähren müssen. Ob durch die Unterstützung der Separatistenregion Transnistrien, die Finanzierung von Desinformationskampagnen oder das Fuschen mit Gaslieferungen: Quasi seit der Erlangung der Unabhängigkeit des Landes mischt sich Russland in die moldauische Politik ein. Das Ziel: politische Instabilität schaffen und Moldau von der Annäherung an die EU und die NATO abhalten.
Obwohl eine Abwahl Sandus letztes Jahr haarscharf verfehlt wurde, zeigen die knappen Ergebnisse nichtsdestotrotz, wozu der Kreml im Stande ist. Manche Experten vermuten zudem, dass sich die Einmischung von Seiten Moskaus dieses Jahr nochmal verschärfen könnte.
“Es spricht einiges dafür, dass die Wahlen [letztes Jahr] nur ein Testlauf waren”, sagt Felix Hett, Leiter der Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Moldau und der Ukraine. "Die entscheidende Schlacht [wird] bei den Parlamentswahlen 2025 geschlagen – Moldau hat schließlich ein parlamentarisches System. Insofern ist es zu früh, über Erfolg oder Misserfolg der russischen Strategie zu sprechen,” fügte er hinzu.
Zum Erreichen seiner Ziele wird Russland auch diesmal wieder auf seine präferierten Kandidaten setzen, allen voran Igor Dodon, den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei (PSRM) und ehemaligen Präsidenten. Erst im Mai war Dodon mit einem Teil seiner Parlamentsfraktion nach Moskau geflogen, um sich dort mit hochrangigen Vertretern der russischen Administration und des Parlaments zu treffen - angeblich, wie gemunkelt wird, um die Strategie der Partei für die anstehenden Wahlen zu besprechen.
Neben Dodons Sozialisten scheint der Block Victorie (BV), der vom flüchtigen Oligarchen Ilan Șor gegründet wurde und vier Parteien umfasst, am ehesten in der Gunst des Kremls zu stehen. Șor, der aufgrund seiner Beteiligung am oben erwähnten Milliardenraub wie Plahotniuc 2019 flüchten musste, probiert seit Jahren von seinem Exil in Moskau aus, die moldauische Politik zu beeinflussen, unter anderem durch den Kauf von Stimmen und Protesten, das Anfachen regierungs- und EU-kritischer Sentiments in der autonomen Region Gagausien und natürlich durch die Gründung seiner eigenen Partei.
Der damalige Präsident und Vorsitzender der Sozialistischen Partei, Igor Dodon (l.), zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Foto: Wikimedia Commons | The Russian Presidential Press and Information Office | CC BY 4.0.
Zusammen oder getrennt?
Die wohl wichtigste Frage, die sich die prorussischen Parteien stellen müssen, ist, ob sie gemeinsam oder getrennt die Wahlen angehen sollen. Für die Variante einer Bündelung der Kräfte sprechen einige Faktoren.
Zuerst ist da die Vormachtstellung der PAS, mit deren Sieg vor vier Jahren das erste Mal seit 1994 weder die Kommunisten noch die Sozialisten stärkste Kraft bei den Parlamentswahlen wurden. Sogar bei einer Bündelung der Kräfte würden die beiden letztgenannten Parteien aktuell lediglich etwas mehr als halb so viele Stimmen wie die PAS erhalten. Gerade für die Kommunisten, die 2019 ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten erzielten und 2021 lediglich aufgrund der gemeinsamen Liste mit den Sozialisten den Einzug ins Parlament schafften, wäre ein Wahlbündnis von elementarer Bedeutung.
Auch für Victorie könnte ein Bündnis mit den Sozialisten Sinn ergeben. Obwohl Ilan Șor bisher versucht hat, mit seinen eigenen Strukturen und Initiativen auf die moldauische Politik Einfluss zu nehmen und wenig mit den Sozialisten am Hut hatte, könnten ihm seine Verstöße gegen das Parteienfinanzierungsgesetz und seine Organisation prorussischer Proteste zum Verhängnis werden. Bereits 2023 wurde seine vorherige Partei SOR vom moldauischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. Mittels einer Vereinigung mit den Sozialisten und Kommunisten würde sich Șor gegen ein erneutes Teilnahmeverbot für seine Partei schützen können.
Allerdings stellen die Sozialisten die größte Wildcard für die Formierung eines einheitlichen Bündnisses dar. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Dodon, der seit 2022 Vorwürfen der passiven Korruption, der illegalen Bereicherung, des Verrats am Vaterland und der Finanzierung seiner Partei durch kriminelle Vereinigungen (unter anderem Plahotniuc) ausgesetzt ist, einen Deal mit der PAS aushandelt, um die Anschuldigungen gegen ihn fallen zu lassen. In diesem Fall wäre es für Dodon zielbringender, alleine zu den Wahlen anzutreten. Allerdings wird der Kreml bei dieser Entscheidung wahrscheinlich mehr als ein Wörtchen mitzureden haben.
Ilan Șor, ein flüchtiger Oligarch und Gründer der Partei Victorie, probiert seit Jahren, Moldau von seinem europäischen Kurs abzubringen. Foto: Wikimedia Commons | Arek7 | CC BY-SA 4.0.
Fazit
Bei der bevorstehenden Parlamentswahl steht Moldau erneut am Scheideweg. Die Wahl wird in großem Maße mitbestimmen, ob sich der europäische Weg in der moldauischen Politik durchsetzt oder ob es zu einem Stillstand kommt, wenn nicht gar zu einer Annäherung an Russland. Obwohl die regierende PAS immer noch eine breitflächige Unterstützung innerhalb der Bevölkerung genießt, ist es fraglich, ob die Partei nach mehreren politischen Fehlschlägen in den letzten Jahren ihre absolute Mehrheit beibehalten wird. Angesichts des Fehlens gleichgesinnter Parteien, mit denen eine Koalition realisierbar wäre, ist das Erringen jener absoluten Mehrheit für die europäische Integration des Landes von elementarer Bedeutung. Ansonsten könnte Moldau nämlich in eine politische Krise stürzen, in der das Land keine funktionierende Regierung formieren kann und eventuell erneut Parlamentswahlen abhalten muss. Im schlimmsten Fall für die PAS könnte die prorussische Opposition probieren, mit zentristischen Kräften zu koalieren, um den europäischen Kurs des Landes rückgängig zu machen. Sandu wird auf die erneute Unterstützung der Diaspora setzen müssen, um “die letzte Schlacht” auf dem Weg in die EU zu gewinnen.
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