Schottisches Referendum: Entscheidung mit Folgen

, von  Sebastian Gubernator

Schottisches Referendum: Entscheidung mit Folgen
Gehen oder bleiben? Das Referendum spaltet Schottland - bei einer Kundgebung werben die Befürworter der „Yes“-Kampagne für die Unabhängigkeit. Foto: „Yes Scotland’s first annual Independence rally“ © Phyllis Buchanan / Flickr (https://www.flickr.com/photos/pgautier/8014665550/sizes/l) / CC BY 2.0-Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/legalcode)

Ja oder nein: Am Donnerstag stimmen die Schotten über ihre Unabhängigkeit ab. Das Referendum könnte eine Kettenreaktion auslösen, an deren Ende das Vereinigte Königreich die EU verlässt. Wie eine winzige Nation über die Zukunft Europas entscheidet.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Eine Landschaft wie aus dem Märchenbuch: leuchtende Wiesen, tiefe Klippen, Dörfer, in denen jeder jeden kennt. Ein typisches Bild der schottischen Ostküste. Hier wohnt Alex Salmond, der schottische Ministerpräsident, in einer umgebauten Mühle. Salmond ist Sozialdemokrat, einer von denen, die man noch „volksnah“ nennen darf, obwohl der Begriff abgenutzt ist. Er will sein Land in die Unabhängigkeit von Großbritannien führen. Am 18. September können vier Millionen Schotten darüber abstimmen, ob sie einen eigenen Staat gründen wollen. In den Umfragen liefern sich Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Schottische Freiheit kommt nicht ohne Folgen

Die Schotten haben gute Gründe, unabhängig zu werden. Da ist zum Beispiel das demokratische Defizit: Die stärksten Parteien in Schottland, die Scottish National Party und die Labour Party, sind sozialdemokratisch. Für die konservativen Tories stimmt kaum jemand. Sie sind verhasst, seit Margaret Thatcher Premierministerin war. Bis heute werfen viele der Eisernen Lady vor, sie habe Schottland als Testkaninchen für ihre Kopfsteuer missbraucht und die einst reiche Industriestadt Glasgow in den Ruin getrieben. Aber die Schotten sind eine winzige Nation, in Wahlen werden sie regelmäßig von den Engländern überstimmt. Und so sitzt in Westminster eine von Tories geführte Regierung, die Atomwaffen besitzt, Kriege führt und mit der umstrittenen bedroom tax vielen Familien die Wohnungsbeihilfen gekürzt hat – Dinge, die im politisch linken Schottland allenfalls eine Minderheit unterstützt.

Ein unabhängiges Schottland wäre demokratischer und sozialer, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite käme die schottische Freiheit nicht ohne Folgen; das Referendum könnte eine Kettenreaktion auslösen: Wird Schottland unabhängig, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Vereinigte Königreich aus der EU austritt. Das hat drei Gründe.

Schottland ist ausschlaggebend beim EU-Referendum

Erstens: Die Schotten sind pro-europäischer als andere Briten. Die meisten von ihnen wollen in der EU bleiben – oder, im Fall der Unabhängigkeit, Mitglied der EU werden. Die Anti-Europa-Partei UKIP tut sich in Schottland deutlich schwerer als südlich der Grenze, wo sie bei der Europawahl mehr Stimmen bekam als jede andere Partei. Premierminister David Cameron hat für 2017 ein Referendum über einen britischen EU-Ausstieg versprochen. Zwar würden die pro-europäischen Schotten in einem solchen Referendum nur zwei bis drei Prozentpunkte ausmachen – aber die könnten entscheiden: Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sind 40 Prozent der Briten für einen EU-Ausstieg, 41 Prozent dagegen (19 Prozent sind unentschieden oder würden nicht wählen). So klein Schottland auch ist – in einem EU-Referendum wäre es ausschlaggebend.

Zweitens: Das EU-Referendum findet nur statt, wenn David Cameron im kommenden Mai wiedergewählt wird. Zurzeit deuten die Umfragen darauf hin, dass die Labour Party stärkste Kraft und ihr Vorsitzender Ed Miliband der nächste Premierminister wird. Da die Labour Party mehr oder weniger pro-europäisch ist, wäre das EU-Referendum damit hinfällig.

Signal an britische Europaskeptiker

Doch die Schotten könnten die neuen Machtverhältnisse auf den Kopf stellen: Die meisten schottischen Abgeordneten in Westminster gehören der Labour Party an. Fallen diese Abgeordneten weg, wird Labour es in Zukunft schwer haben, eine Parlamentsmehrheit zu bekommen. Da Schottland erst im März 2016 ein souveräner Staat würde, nähmen die Schotten zwar an der Parlamentswahl im Mai teil – aber sobald die Unabhängigkeit in Kraft träte, müssten sie ihre Abgeordneten abziehen. Ed Miliband verlöre dann vermutlich seine Parlamentsmehrheit, die Tories kämen mittels Misstrauensvotum an die Macht und könnten das EU-Referendum abhalten.

Drittens: Entscheidet sich Schottland für die Unabhängigkeit, sendet das ein Signal an die britischen Europaskeptiker: Seht her, es ist ganz leicht, sich aus einer politischen Union zu verabschieden! Seit 1603 teilen sich Schottland und England eine Monarchie, seit 1707 einen Staat. Nördlich wie südlich der Grenze spricht man Englisch, steht gern Schlange, liebt fish and chips und schwärmt für Kate und William. Wenn sich die Schotten von einer von so großen kulturellen Gemeinsamkeiten geprägten Union trennen, wie viel leichter muss es dann den Briten fallen, die EU zu verlassen – eine Union, in der sie erst seit 41 Jahren sind und die sie schon immer mit Skepsis gesehen haben? Großbritannien gehört zu Europa; ein Austritt wäre ein Verlust für die EU.

Es steht mehr auf dem Spiel

Was heißt das für das Unabhängigkeitsreferendum? Die Schotten sind eine stolze Nation, zu Recht. Sie haben die Möglichkeit, ihr Land ein bisschen besser zu machen. Manche träumen davon, es in ein zweites Norwegen zu verwandeln, einen Sozialstaat, reich gemacht von Nordseeöl. Das ist eine schöne Vorstellung. Aber wenn sie am 18. September abstimmen, sollten die Schotten wissen: Es steht mehr auf dem Spiel als die Zukunft ihres Landes.

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