Die europäische Antwort auf die Corona-Pandemie

Sehenden Auges in die Krise - Ein nicht ganz so großer Tag für europäische Solidarität und Stärke

, von  Benedict Heidgen

Sehenden Auges in die Krise - Ein nicht ganz so großer Tag für europäische Solidarität und Stärke

Wie nach der Finanzkrise 2008 sind es erneut gemeinsame europäische Schulden, die im Zentrum der Debatte stehen. Sie sollen es allen Staaten der Eurozone ermöglichen, zu günstigen Konditionen Kredite aufzunehmen, mit denen sie ihre Wirtschaft ankurbeln können. Durch die Union gehen jedoch tiefe Risse. Scheinbar unversöhnlich gegenüber stehen sich einerseits Deutschland, Finnland, die Niederlande und Österreich, welche gemeinsame europäische Anleihen strikt ablehnen, und andererseits Frankreich, Italien und Spanien, welche diese als unabdingbar ansehen, um die europäische Wirtschaft nach der Corona-Pandemie zu unterstützen. Die Diskussion wurde daher vorerst auf die Ebene der Staats- und Regierungschef*innen vertagt.

Gerade angesichts der jetzt schon dramatischen Situation in Italien und Spanien braucht es eine entschiedene und weitreichende Antwort der Europäischen Union. Diese scheitert jedoch wie so oft weniger an den europäischen Institutionen, sondern vor allem der Blockade ihrer Mitgliedstaaten, mit potenziell dramatischen Folgen für die gesamte Eurozone.

Aktuell beschlossene Maßnahmen auf europäischer Ebene

Einig sind sich beide Seiten, dass es kreditfinanzierter staatlicher Wirtschaftshilfen bedarf, um die zu erwartenden schweren Folgen der Corona-Pandemie weitgehend abzufedern. Hierfür stehen bereits eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, auf welche sich die Finanzminister*innen am Donnerstag geeinigt haben. Diese umfassen das Kurzarbeiter-Programm „Sure“ der Europäischen Kommission von über 100 Mrd. EUR und Kredite der Europäischen Investitionsbank von insgesamt 200 Mrd. EUR. Auf die Initiative Frankreichs hin soll ebenso ein „Recovery Fund“ eingerichtet werden, dessen genaue Ausgestaltung jedoch noch einige Verhandlungen fordern wird.

Im Zentrum steht aber ein Instrument, das für die Bewältigung der Finanzkrise 2008 geschaffen wurde: Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Durch diesen kann die Eurozone gemeinsame Kredite von bis zu 240 Mrd. EUR zu günstigen Konditionen aufnehmen und diese anteilig an die europäischen Mitgliedstaaten vergeben. Diese günstigen Konditionen sind durch umfangreiche Garantien möglich: Alle Länder der Eurozone haften, sollten einzelne Länder ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Seine durch die Troika berühmt gewordene sowie teils heftig kritisierten Bedingungen im Gegenzug für Finanzhilfen und deren Effekt auf soziale Sicherungssysteme und wirtschaftliche Prosperität sollen jedoch entfallen. Die einzige Bedingung ist, dass das Geld für gesundheitspolitische Maßnahmen aufgewendet wird.

Diese Maßnahmen sind grundsätzlich zu begrüßen und zeigen ein Stück europäischer Einigkeit. Auch klingen die anvisierten Summen eindrucksvoll, sind jedoch schlichtweg nicht ausreichend, um langfristig vor großen ökonomischen Verwerfungen zu schützen. Selbst wenn Italien seinen kompletten Anteil am ESM (39 Mrd. EUR) und die Gänze aller sonst zur Verfügung stehenden europäischen Direktmittel beziehen könnte, würden sich diese auf 12,5% seines BIP belaufen und wären bereits ausgeschöpft, ohne dass andere Länder hiervon profitieren konnten. Angesichts der 16,94% des BIP Deutschlands und der 22,4% des italienischen BIPs, die alleine an kurzfristigen Soforthilfen und Kreditgarantien bereitgestellt wurden, sind die gerade beschlossenen Maßnahmen im Krisenfall, insbesondere für eine große Wirtschaft wie die Italiens, schlicht unzureichend. Dies ist insbesondere der Fall, da Italien und andere Staate den Eurozone aufgrund des schon jetzt hohen Schuldenstandes weniger Geld zur Verfügung haben, um ihre Wirtschaften zu stützen. Um dies zu ändern und die mittel- und langfristigen Schäden für die europäische Wirtschaft nach der Pandemie zu kompensieren, werden vermehrt Euro-Bonds gefordert.

Was sind Euro- und Corona-Bonds?

Bonds sind Anleihen, also Schuldverschreibungen, mit welchen sich Staaten Geld am Finanzmarkt leihen können. Die Höhe der Zinsen, die hierfür gezahlt werden müssen, hängen von der Einschätzung der Rückzahlungsfähigkeit des jeweiligen Landes ab. Durch Euro-Bonds würden alle 19 Mitglieder der Eurozone gemeinsam Schulden aufnehmen und für diese haften, was Zinsen für wirtschaftlich robuste Staaten leicht erhöhen, Zinsen für wirtschaftlich Schwächere Staaten jedoch um ein Vielfaches senken würde.

„Corona-Bonds“, welche im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit und politischen Debatte stehen, sind identisch mit Euro-Bonds, wären jedoch auf die Dauer der Krise begrenzt. Nicht zuletzt aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre jedoch ein Ende fiskalpolitischer ad-hoc-Maßnahmen auf europäischer Ebene, welche mit jeder Krise erneut die Grenzen europäischer Handlungsunfähigkeit zeigen, wünschenswert.

Warum sind insbesondere in dieser Krise europäische Anleihen wichtig?

Die Pandemie und die aus ihr resultierenden wirtschaftlichen Probleme treffen alle Länder der Eurozone und schüren schon jetzt große Sorgen vor einer tiefen Wirtschaftskrise. Wie der Vergleich zwischen Deutschland und Italien zeigt, kann ohne Gegenmaßnahme mit einer dramatischen Steigerung der Ungleichheit innerhalb der Eurozone gerechnet werden. Wie in der letzten Wirtschaftskrise werden wieder staatliche Konjunkturprogramme unvermeidbar sein, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Die hierfür notwendige Aufnahme von Krediten fällt angeschlagenen Ländern wie Italien jedoch um einiges schwerer als beispielsweise Deutschland. Während Italien zwischen 2,3% und 1,3% Zinsen für seine Kredite an seine Gläubiger*innen zahlen muss, zahlen die Käufer*innen deutscher Staatsanleihen sogar einen „Negativzins“ von minus 0,75% an den deutschen Staat. Auch bezogen auf die Gesamtschulden zeigt sich eine große Ungleichheit. So musste Deutschland beispielsweise 2017 15,5 Mrd. EUR an Zinsen zahlen und das sowieso wirtschaftlich schwächere Italien 65 Mrd. Euro.

Dies steigert, insbesondere in Krisenzeiten, nicht nur dramatisch die Ungleichheit innerhalb der Union, sondern kann selbst große Volkswirtschaften wie Italien an den Rand der Zahlungsunfähigkeit treiben. Gerade die Spekulation über Zahlungsunfähigkeit führt zu noch höheren Zinsen, welche die Aufnahmen von Krediten noch teurer machen. Ein Teufelskreis kann entstehen – mit katastrophalen Auswirkungen auf die gesamte Eurozone. So ist es nicht verwunderlich, dass sieben führende deutsche Ökonomen und selbst solche, die Bonds in der Vergangenheit noch abgelehnt haben, zumindest deren temporäre Einführung empfehlen.

„Wie kann man in Europa also bei einer derart epochalen Herausforderung daran denken, man könne auf Instrumente zurückgreifen, die zu anderen Zeiten ins Leben gerufen wurden (…) Europa muss zeigen, ob es ein gemeinsames europäisches Haus ist. Ein Haus, das in der Lage ist eine Antwort auf eine epochale Aufgabe zu bieten.“ - Italienischer Premierminister Giuseppe Conte (Foto: Flickr / CC-BY-4.0: © European Union 2019 – Source: EP)

Das Schreckensgespenst gemeinsamer Anleihen

Nichtsdestotrotz lehnen eine Reihe von Mitgliedstaaten gemeinsame Schulden weiterhin strikt ab, wobei sie sich auf mehrere Argumente stützen.

Schwierige Umsetzbarkeit und fiskalische Unverantwortlichkeit

Durch die Schaffung gemeinsamer Anleihen müsste die Europäische Union in ihrer Gesamtheit für die Zahlungsfälle einzelner Mitglieder haften. Hier wird von einigen ein Verstoß gegen Art. 125 (AEU), der sog. no-bailout-Klausel, gesehen, wonach kein Staat für einen anderen haften darf.

Dieser Standpunkt ist höchst umstritten, da sich Art. 125 nicht explizit auf gemeinsame Schuldenaufnahme bezieht und daher argumentiert wird, dass dieser nicht auf Euro-Bonds zutrifft. Wäre die komplizierte Umsetzung darüber hinaus der einzige Grund der Ablehnung gegenüber gemeinsamen Schulden, hätte man den Prozess der Vertragsänderung spätestens nach der Finanzkrise schon angepackt oder könnte diesen jetzt beginnen. Außerdem wurde ein Großteil der Krisenmaßnahmen seit 2008 außerhalb der Verträge geschaffen und nachträglich in diese aufgenommen. Dies wäre ebenso mit europäischen Anleihen möglich.

Deutschland, die Niederlande und andere sehen vielmehr das Problem unverantwortlichen Handels einzelner Staaten, wenn diese für ihre fiskalpolitischen Entscheidungen im Falle gemeinsamer Schulden nicht mehr die vollen Konsequenzen tragen müssen. So würde die Neigung zu Überschuldung einzelner Staaten gesteigert werden und Anreize zu Haushaltsdisziplin fehlen.

Die derzeitige ökonomische Schieflage hat jedoch Gründe, die außerhalb staatlicher Kontrolle liegen. Es hätte jeden Staat in ähnlicher Härte treffen können, wie es derzeit in Spanien und Italien der Fall ist. Auch geht es nicht darum, Staaten zu disziplinieren, sondern große europäische Wirtschaften vor dem Ruin zu bewahren.

Höhere Kosten für wohlhabendere Länder

Je nach Ausgestaltung gemeinsamer Anleihen sorgen sich wirtschaftlich robustere Mitgliedstaaten, dass sich Konditionen für Kreditaufnahme verschlechtern. Jedoch sind gemeinsame Anleihen schon heute Realität, denn in Form des ESM, der EIB-Garantien und der Kommissionszuwendungen hat die Union längst gemeinsame Kredite aufgenommen, für welche sie gemeinsam haften muss. Die Einführung von Euro-Bonds würde daher ein Prinzip verallgemeinern, was jetzt schon anzutreffen ist.

Der große Unterschied besteht zum einen in der Konditionalität der ESM-Kredite und in der Tatsache, dass diese vor nationalen Krediten zurückgezahlt werden müssen. So vertrauen Gläubiger*innen auf schnellere und verlässliche Rückzahlung des geliehenen Geldes, was zu niedrigeren Zinsen von ESM-Krediten führt. Je nach Ausgestaltungen müssten Euro-Bonds jedoch nicht vor nationalen Krediten zurückgezahlt werden. Gemeinsame europäische Anleihen würden daher die Zinsen auf nationale Kredite weniger stark ansteigen lassen als ESM-Kredite und die Spekulation gegen diese unterbinden.

Die Mehrkosten finanziell stärkerer Staaten werden zudem allgemein als äußerst gering gesehen, da durch alle 19 Staaten abgesicherte Euro-Bonds schon heute als sicheres Investment gelten. Die Einsparungen anderer Staaten wären jedoch immens, was als klarer Gewinn für die Eurozone insgesamt gesehen wird. Es geht hierbei jedoch nicht um Almosen für andere, sondern den langfristigen Schutz des europäischen Projekts als Ganzes.

Konjunkturprogramm für Populisten

Im Norden Europas ist eine gemeinsame Haftung für Schulden sehr umstritten, sodass befürchtet wird, durch die Einführung von Euro-Bonds, Euroskeptizismus und Rechtspopulismus zu befeuern. Es wäre ein Fehler, dem Druck einer lauten Minderheit nachzugeben. Vielmehr sollte man sich diesen mutig entgegenstellen. Im europäischen Kontext beunruhigt der Populismus, da dieser zum Auseinanderbrechen der Europäischen Union führen kann.

Wenn sich jedoch die von der Pandemie am stärksten Betroffenen von der EU in einer buchstäblich lebenswichtigen Situation im Stich gelassen fühlen, ist dies das denkbar größte Konjunkturprogramm des Populismus. Umfragen zufolge sagen mittlerweile 70% der Italiener*innen, dass sie sich von Europa und insbesondere Deutschland verlassen fühlen. So wird mit einiger Fassungslosigkeit in Italien verfolgt, wie die deutsche Bundesregierung Hunderte Milliarden Euro für die Unterstützung der nationalen Wirtschaft bereitstellt, jedoch Euro-Bonds, welche dies europaweit ermöglichen würden, strikt ablehnt. Wenn man den Diskurs von Populist*innen übernimmt und aus Angst vor deren Erstarken die europäische Solidarität in einer solchen Krise hintenanstellt, haben diese ihr Ziel bereits erreicht.

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