Zu der beschämenden Nachricht, dass ein Pfarrer in der ungarischen Stadt Hódmezövásárhely von seinen Gläubigern verlangte, ihre Stimmen bei den Wahlen im April der Fidesz zu geben, möchte ich folgendes sagen: Bereits als Kleinkind war ich regelmäßig in der Kirche. Obschon ich zuhause eine entsprechende katholische Erziehung bekam, ging ich ohne elterlichen Druck, aus eigener Überzeugung und Enthusiasmus jeden Sonntag in die katholische Messe. Ich war Erstkommunikant, Firmling, Ministrant, ich sang im Kirchenchor. Selbst nach dem Abitur hatte ich noch wöchentlich einmal Religionsunterricht, ich beichtete, betete.
Den Rosenkranz liebte ich besonders, ich fand ihn wunderschön, Ich las Bücher zu katholischen Themen. In der Bibel fand ich kluge Gedanken, viel Lehrreiches und Anregendes, denn – man höre und staune; ich glaube an die ganze Sache vom Herzen.
Religion und Glaube bescherten mir großartige Erlebnisse, ich könnte darüber stundenlang erzählen. Im Frühling 2010 geschah jedoch etwas. Eine Woche vor den Parlamentswahlen in Ungarn stieg der Pfarrer in die Kanzel hinauf und verkündete salbungsvoll seine Predigt. Diesmal befasste er sich nicht mit Erklärungen über Wohltaten und Weisheiten von Jesus, den Patriarchen oder anderen Heiligen, er kam mit einer kaum ertragbaren politischen Agitation her, deren letzter Satz heute noch in meinem Ohr klingt: „Meine Schwester und Brüder, jetzt wisst Ihr alle genau, was Ihr am nächsten Sonntag ankreuzen musst.“
Nach den Anspielungen und Andeutungen in der Rede, war es eindeutig, dass er die Fidesz-Partei meinte. An dem Tag war ich zum letzten Mal in der Kirche und hatte zum letzten Mal an irgendetwas teilgenommen, was mit der katholischen Kirche etwas zu tun hatte. Ich war 20 Jahre jung… Warum wohl? Bin ich nur gute Christin, wenn ich Orbán‘s Fidesz-Partei beitrete, ein guter Mensch, überhaupt ein menschliches Wesen, ein anerkanntes Mitglied der traditionsreichen ungarischen Volksgemeinschaft? Nein, danke. Darauf kann ich verzichten.
Wozu geht man in die Kirche? Doch nicht für politische, ideologische Richtungsweisungen anzuhören. Ist die Kirche wirklich der richtige Ort dafür? Kaum.
Seitdem bete ich nur für mich und unterhalte mich mit den Himmlischen. Ich bete hauptsächlich dafür, dass dieser gemeine, verlogene Irrsinn, nämlich Orbáns Ideologie des „Systems der Nationalen Zusammenarbeit“ samt seiner alles einheimsenden, zynischer Bande bald verschwinden möge. Endlich sollte die historische Kirche Ungarns sich ihren wahren Aufgaben widmen wie Seelsorge, Wohltätigkeit, Gläubige auf den richtigen Weg zurückbringen, Schutz der Hilfsbedürftigen, und, und, und... Nicht dazu gehört die Beweihräucherung und das Anbetteln des Taschendiktators, damit er ihnen den Bau von Fußballstadions, Wellneshotels, Luxusrestaurants, und wer weiß was noch aus Steuergelder genehmigt.
Und noch etwas: Es wäre auch nicht schlecht, wenn jemand die korrupten Krämer endlich aus ihren Kirchen hinaustreiben würde, denn sie nehmen den Platz für die Hungernden, Fliehenden, Verarmten ein. Amen.
Dieser Artikel wurde am 22. Januar 2018 in den Wochenzeitungen Mandiner und HVG veröffentlicht und treffpunkteuropa.de zur Verfügung gestellt.
1. Am 30. Januar 2018 um 08:13, von Michael
Als Antwort Seit 2010 gehe ich nicht mehr in die Kirche
Interessanter Beitrag. Aber das Foto zeigt eigentlich die Fischerbastei und nur ein ganz kleines Stück von der Matthias-Kirche.
Außerdem muss es in der zweiten Zeile des zweiten Absatzes nicht „Gläubiger“, sondern „Gläubige“ heißen. Zwischen beiden Ausdrücken besteht ein Riesenunterschied.
Freundliche Grüße aus Budapest
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