Nur die Syrer selbst fehlen
Im Oktober trafen sich Delegierte der Vereinigten Staaten, des Irans, Russlands, Saudi-Arabiens und dreizehn weiterer Staaten sowie Vertreter der Europäischen Union und Vereinten Nationen in Wien, um über Lösungen für den Bürgerkrieg in Syrien zu verhandeln. Direkte Vertreter der Kriegsparteien waren in Wien jedoch nicht zugegen. Im Unterschied zu vorherigen Gesprächsrunden waren mit der erstmaligen Beteiligung des Irans alle großen ausländischen Interessensgruppen des Syrienkonflikts vertreten.
Die Interessen Russlands und des Westens
Neben humanitären Zielen wie dem Schutz der Zivilbevölkerung werden die verschiedenen nicht-syrischen Akteure von wirtschaftlichen und politischen Motiven angetrieben. Für die EU und Vertreter der europäischen Staaten ist vor allem der ununterbrochene Flüchtlingsstrom aus Syrien nach Europa Motivation, sich für einen raschen Frieden in Syrien einzusetzen. Zusätzlich spielen die geo- und energiepolitische Position Syriens mit seinen Grenzen zur Türkei und Israel und seiner Lage als Energie-Transitland am Mittelmeer eine Rolle.
Die Vereinigten Staaten befinden sich in einer Zwickmühle. Einerseits wollte man sich langsam als Ordnungsmacht aus dem Nahen Osten zurückziehen, was spätestens mit den Luftangriffen auf den Islamischen Staat gescheitert ist, andererseits werden sie für das andauernde Chaos im Nahen Osten verantwortlich gemacht. Darüber hinaus verärgert das Atomabkommen mit dem Iran Amerikas Verbündete im Nahen Osten. Für die Vereinigten Staaten geht es in Syrien folglich darum, ihren Einfluss Nahen Osten aufrecht zu erhalten. Gleiches gilt für Russland. Da Assad bisher enger Verbündeter Russlands war, würde ein Sturz Assads in einem Machtverlust Russlands resultieren.
Die Interessen der Regionalmächte
Neben den internationalen Akteuren sind auch die Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien und Türkei in den Bürgerkrieg involviert. Dabei geht es vorrangig um die Vergrößerung des eigenen Einflussbereiches im Nahen Osten. Während die von Saudi-Arabien angeführten arabischen Staaten eine sunnitische Regierung in Damaskus wollen, unterstützt der Iran die schiitischen Kräfte um Präsident Assad. Auch in Ankara strebt man nach mehr Einfluss auf das südlich der Türkei gelegene Syrien.
Zusätzlich bedrohen die Flüchtlingsströme und die Terrormiliz des Islamischen Staates die Sicherheit der Nachbarländer Syriens. Die Türkei ist Transitzone für Kämpfer und Nachschub in Syrien geworden und im Machtvakuum Syriens konnten sich autonome, kurdische Gebiete bilden, die den Visionen eines unabhängigen, kurdischen Staates in der ganzen Region Aufwind verleihen. Vor diesem Hintergrund kam es im vergangenen Jahr immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Kurden und dem türkischen Staat. Auch die weiteren Nachbarländer Syriens werden zunehmend durch den Krieg destabilisiert. Im Irak kämpfen kurdische und schiitische Truppen sowie Soldaten der regulären Armee Bagdads gegen den Islamischen Staat. Auch der Libanon und Jordanien sind mit den Flüchtlingsströmen überfordert.
Fortschritte auf der Suche nach einer politischen Lösung
Trotz dieser unterschiedlichen und widersprüchlichen Interessen wurde in Wien, wenn auch kein Durchbruch, zumindest Fortschritt auf dem Weg zu einer politischen Lösung des Konflikts erzielt. Trotz allem bleibt das Verhältnis vor allem zwischen Saudi-Arabien und dem Iran angespannt. Das wahrscheinlich heikelste Thema - die Zukunft Assads - wurde hierbei erst einmal ausgelassen.
Einige Tage nach der Konferenz scheint es jedoch selbst in diesem Punkt Aussichten auf einen Kompromiss zu geben, da sich Russland von Assad distanziert. In Wien konnte man sich gemeinsam auf neun Punkte einigen. Unter anderem sollen die Syrer selbst und nicht internationale Akteure über die Zukunft des Landes entscheiden, wobei Unabhängigkeit, Territorium, Institutionen und der säkulare Charakter Syriens erhalten bleiben sollen. Alle Syrer, unabhängig ihrer ethnischen und religiösen Orientierung, sollen geschützt werden. Nachdem die humanitäre Situation im Land verbessert und ein Waffenstillstand verhandelt wurden, soll unter Beteiligung der Regierung und Opposition eine Übergangsregierung gebildet werden. Letztendlich sollen freie von den Vereinten Nationen überwachte Wahlen abgehalten und eine neue Verfassung erstellt werden. Zwar einigte man sich darauf, terroristische Organisationen wie den Islamischen Staat zu bekämpfen, jedoch herrschte Uneinigkeit darüber, welche Gruppen als terroristisch einzustufen seien.
Eine Lösung wurde noch nicht gefunden, aber ein Anfang ist geschafft. Die Verhandlungen in Wien werden in einer zweiten Runde am Samstag weitergeführt.
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