„Tag der Befreiung“ als Feiertag?

, von  Lukian Ahrens

„Tag der Befreiung“ als Feiertag?
Die Aachener Nachrichten berichteten am 8. Mai 1945 über die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht. Foto: Wikimedia Commons / ACBahn

Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano hat mit der Forderung, den Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1945 zum gesetzlichen Feiertag zu erklären, eine Debatte angestoßen. Während sie aus dem politischen Berlin breite Zustimmung erhält, sind Wissenschaftler*innen skeptisch.

Am 8. Mai 1945 endete mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht der Zweite Weltkrieg auf europäischem Boden. Als „Tag der Befreiung“ wird er deshalb in vielen europäischen Ländern als stiller Gedenktag oder als Feiertag mit großer öffentlicher Beteiligung begangen. Auch in der DDR war der 8. Mai für viele Jahre ein gesetzlicher Feiertag. Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano forderte dies im Januar auch für die Bundesrepublik. „Der 8. Mai muss ein Feiertag werden!“, schreibt sie in einem offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Mitglieder*innen des Bundestages. „Ein Tag an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes.“

Breite Unterstützung aus dem Bundestag

Aus dem Bundestag erhält die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees positive Signale. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung, der das demokratische Deutschland erst möglich machte“, erklärte Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Auch die Spitze der Linken sowie Vertreter*innen von SPD und FDP äußerten sich ähnlich. So stellte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch fest: „Die Befreiung vom Hitler-Faschismus und das Ende des Zweiten Weltkrieges – die bedingungslose Kapitulation – bilden die Grundlage des demokratischen Deutschlands.“ FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte, der 8. Mai sei ein „zentraler Tag in der europäischen Geschichte“ und solle daher „am besten europaweit“ als Feiertag begangen werden.

Ein unterschiedliches Erleben?

Doch wie stark verankert ist heute der 8. Mai als Tag der Befreiung vom NS-Regime in der deutschen Bevölkerung? Die Ideologie der Nationalsozialist*innen hat ungeheure Verwüstungen angerichtet. Über 60 Millionen Menschen hat der Krieg das Leben gekostet und über sechs Millionen Juden sind von den Nazis ermordet worden. Für die, die als politische Gefangene oder Menschen des jüdischen Glaubens eines der Konzentrationslager oder als Soldat*innen den Fronteinsatz überlebten, war der 8. Mai im unmittelbaren Sinne eine Befreiung.

Doch für andere hatte dieser Tag eine ganz andere Bedeutung. Beim Vormarsch der Siegermächte kam es zu Vergewaltigungen, Plünderungen und Morden. Rund 14 Millionen Deutsche wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Im Einflussbereich der Sowjetunion, der späteren DDR, blieb den Menschen die Demokratie noch mehr als 40 Jahre lang verwehrt. Der Rechtsphilosoph Christian Hillgruber spricht von einer „Ambivalenz dieses Tages“, da er für manche erst der Beginn von neuem Leid war. Erklärte man ihn offiziell zum „Tag der Befreiung“, wäre das „eine unangemessene Verkürzung seines Bedeutungsgehalts“. Der Jenaer Historiker Norbert Frei hatte bereits zum 70. Jahrestag des Kriegsendes angesichts von Forderungen der Linkspartei nach einem offiziellen Feiertag gesagt: „Ich glaube, wir sollten nicht immer noch neue gesetzliche Versuche machen, unser historisches Gedenken, unser Geschichtsbewusstsein festzuschreiben“.

Von einem unterschiedlichen Erleben sprach bereits der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 in seiner berühmten Rede zum Gedenken an das Kriegsende, formulierte jedoch damals eine klare Haltung: „Wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.“ Dass Weizsäcker 1985 die Formulierung „Tag der Befreiung“ wählte, war für diese Zeit noch ungewöhnlich. Jahrzehnte nach Kriegsende überwog in der Bundesrepublik nämlich der Aspekt der Niederlage statt der der Befreiung.

Ein Tag der Erinnerung ist notwendig

Richard von Weizsäcker wurde damals vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß scharf kritisiert. Dieser schimpfte über „die ewige Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe“. Nicht anders klingen die heutigen Aussagen des AfD-Politikers Björn Höcke über „diese dämliche Bewältigungspolitik“ und die Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad.“ Die Tatsache, dass solche Aussagen in Deutschland auf Zuspruch treffen, lässt einen gesetzlichen Feiertag zum Gedenken an die Befreiung vom NS-Regime für viele notwendig erscheinen. Denn „der 8. Mai als Feiertag mahnt uns, die deutschen Verbrechen nicht zu relativieren – und wäre ein bleibender ‚Pflock‘ in der deutschen Erinnerungskultur“, so Katrin Göring-Eckardt.

Welcher Tag für die Erinnerung am passendsten ist, kann selbstverständlich diskutiert werden. So kommt neben dem 8. Mai auch der Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar in Frage. Auch dies wäre laut Christian Hillgruber ein passender Tag, da er „symbolhaft für das steht, was tatsächlich uneingeschränkt als Befreiung angesehen und gefeiert werden kann: das Ende des NS-Terrors und der Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen“.

Berlin macht den Anfang

Eine Reaktion aus dem Amt des Bundespräsidenten zum Feiertagsvorstoß gibt es bislang nicht. Allerdings werden die Spitzen der deutschen Politik am 8. Mai bei einem Staatsakt in Berlin des Kriegsendes gedenken. Dies wurde von Bundespräsident Steinmeier in Abstimmung mit Bundeskanzlerin Merkel angeordnet. In Berlin ist der 8. Mai anlässlich des 75. Jahrestages der Kapitulation der Wehrmacht einmalig gesetzlicher Feiertag.

Vielleicht kann der diesjährige Feiertag in Berlin zum Vorbild für die Zukunft werden und den Weg zu einem deutschlandweiten gesetzlichen Feiertag ebnen. Dies wäre laut Esther Bejarano die „Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschen nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit.“

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