The European Balcony Project: Eindrücke aus Bonn

, von  Lena Jukna

The European Balcony Project: Eindrücke aus Bonn
Die Bonn University Shakespeare Company auf dem Münsterplatz in Bonn. Foto: zur Verfügung gestellt von Viola Bender

Im Rahmen des European Balcony Projects verkünden Schauspieler*innen und Kreative in ganz Europa die Europäische Republik. Mit „Freude schöner Götterfunken“ inszeniert die Bonn University Shakespeare Company die Ausrufung in Beethovens Geburtsstadt. Theater und Politik – wie passt das zusammen?

Am 10. November 2018 um 16 Uhr erklingt vor der Beethovenstatue auf dem Bonner Münsterplatz die Musik des berühmtesten Sohns der Stadt. Die Europahymne begleitet den Auftritt zweier Soldaten. Sie legen Blumen auf die Gräber ihrer gefallenen Kameraden. Heute, 100 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkriegs, soll nicht nur an die Leiden der Vergangenheit erinnert werden, sondern der Grundstein für ein friedliches und demokratisches Europa der Zukunft gelegt werden.

Aus Trauer wird Bestimmtheit, als die Schauspielerin Vanessa Basilio de Luca ihre Stimme an das Publikum richtet: „We declare that everyone present at this moment in Europe is a citizen of the European Republic!“ Durch die Europäische Republik soll die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf europäischem Boden endlich verwirklicht werden, basierend auf der politischen Gleichheit aller Menschen und konstitutionell getragen durch Städte und Regionen.

Zu der Stimme auf der Bühne gesellen sich Stimmen aus der Menge: Englisch mischt sich mit Französisch, Spanisch, Italienisch und Schwedisch; die deutsche Textstellen werden zusätzlich durch deutsche Gebärdensprache unterstützt. Am Ende wird aus der Vielfalt der Sprachen eine einheitliche Botschaft: Vive la République européenne! ¡Viva la República Europea! Länge leve den Europeiska republiken! Es lebe die Europäische Republik!

Nach nicht einmal 10 Minuten ist die Aktion vorbei. Die Menschenmenge, die sich auf dem Münsterplatz gebildet hat, löst sich langsam auf. Wer als Schaulustige*r gekommen ist, geht mit einem Flyer in der Hand weiter. Für Fragen und Diskussion bleiben vor allem Freund*innen und vereinzelte Aktivist*innen von Pulse of Europe oder Diem 25, die für den Anlass europäische Fahnen geschwenkt haben. Wie soll es jetzt weiter gehen mit Europa?

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Foto: Viola Bender

Alle Menschen werden Brüder

Sechs Stunden nach der Verkündung sitzen wir bei Bier und Gitarrenmusik in einem Café. Wir reden wieder über die Europäische Union – nicht über die Europäische Republik. Wir diskutieren über all die Freiheiten, die sie uns bietet und über ihre größten Kritiker*innen. An der Theke streiten sich zwei Brüder – leidenschaftlich, aber halb im Spaß, wie es nur Geschwister können. Ob es wirklich eine so gute Idee ist, wenn „alle Menschen Brüder werden?“

Die Idee des Kunstprojekts war es, Debatten anzustoßen, was europäische Bürgerschaft bedeutet und wie es mit der europäischen Gemeinschaft weitergehen soll – insbesondere im Hinblick auf die anstehenden Europawahlen im Mai 2019. Von Stockholm bis Lampedusa, von London bis Krakau, wurde dazu in über 160 Städten zeitgleich die Europäischen Republik ausgerufen. Erdacht im European Democracy Lab und auf lokaler Ebene verwirklicht, setzten Bürger*innen- und Theatergruppen das Manifest aus der Feder von Ulrike Guérot und Robert Menasse ganz individuell in Szene.

Dabei ging es nicht darum, den im Manifest niedergeschriebenen Thesen und Forderungen in allen Einzelheiten nach dem Mund zu reden. Der Text bietet vielmehr eine Grundlage für vertiefende Diskussionen über die institutionelle Organisation der EU und die Zukunft der europäischen Gemeinschaft. Denn wenn wir uns ein besseres, demokratischeres Europa schaffen wollen, dann ist eine konstruktive Debatte das einzige, was uns dorthin bringt.

Wir können die EU-Kritik nicht populistischen Strömungen überlassen, die mittlerweile in fast allen europäischen Ländern die Gesellschaft spalten und über Jahrzehnte aufgebaute Gemeinschaften wieder zu trennen versuchen. Im Grunde sollten wir die EU so kritisieren, wie wir unsere Freund*innen und Geschwister kritisieren: schonungslos ehrlich, aber letzten Endes nicht gegeneinander, sondern füreinander.

Vor dem Bonner Postamt. Foto: Viola Bender

Freude heißt die starke Feder

Es ist das erste Mal, dass unsere Theatergruppe so explizit Stellung zu politischen Themen bezieht. Am Abend blicke ich froh, stolz und mit etwas neugewonnenem Mut zurück auf unser gemeinsames Projekt. Ich freue mich, dass Theater so politisch sein kann. Meine Freundin und Sängerin beim European Balcony Project Eva Fürst ergänzt „Theater muss sogar politisch sein!“ - denn wenn wir nicht wollen, dass sich Geschichte wiederholt, können wir uns Parteilosigkeit nicht leisten.

Aber was kann Theater schon bewirken?

Visionen und Utopien müssen zunächst einmal gedacht werden, bevor man sie verwirklichen kann. Kulturschaffende haben die Freiheit die Grenzen des Wirklichen zu ignorieren, um neue Denkweisen aufzuzeigen. Die Berichterstattung im Deutschlandfunk zieht jedoch ein eher ernüchterndes Fazit zu den europäischen Republik-Träumen: Für Ungarn beispielsweise, sei die Aktion in Anbetracht der ernsten politischen Lage „zu isoliert, zu künstlerisch, zu literarisch“ gewesen, um einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Ist es uns in Bonn gelungen den Impuls einer europäischen Gemeinschaft in die Breite der Gesellschaft zu tragen? Oder spielen wir mal wieder nur vor unserer eigenen Echoblase?

Am 10. November 2018 um 16:10 Uhr standen etwa 50 Menschen auf dem Bonner Münsterplatz und lauschten dem Ausklang der Europahymne. Das ist nicht mal annähernd die Breite der Gesellschaft. Für ein Projekt, das in nicht einmal einem Monat und allein durch ehrenamtliches Engagement ins Leben gerufen wurde, ist es aber schon ganz schön beeindruckend.

Eine britische Zuschauerin berichtete später, dass die Performance des Chors sie zu Tränen gerührt hat. Das zeigt die eigentliche Wirkungskraft des Kunstprojekts – es macht Europa auf einer emotionalen, menschlichen Ebene erfahrbar. Jaques Delors hat einmal gesagt, „einen Binnenmarkt kann man nicht lieben“. Und auch beim Anblick des Maastricht-Vertrags blieb noch jedes Auge trocken. Aber es hat nur eine Bühne aus Getränkekisten und einige wohl gesetzte Töne gebraucht, um einen Menschen ins Herz zu treffen. Allein deswegen war das Projekt schon ein Erfolg.

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