Es waren keine vielversprechenden Monate für den Klimaschutz. Im November warnte das Uno-Umweltprogramm UNEP in ihrem Jahresbericht, die Erderwärmung sei ohne immense politische Anstrengungen durch die internationale Gemeinschaft kaum noch auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Kurz darauf endete eine von der breiten Öffentlichkeit als Enttäuschung wahrgenommene Weltklimakonferenz in Madrid mit einem Minimalkompromiss, verpflichtende Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen wurden nicht beschlossen. Es folgten Meldungen von Hitzerekorden und Extremwetterereignissen in verschiedensten Regionen der Erde.
Dementsprechend überraschend verkündete die IEA nun am 11. Februar, dass die weltweiten CO2-Emissionen trotz eines globalen Wirtschaftswachstums von 2,9% im vergangenen Jahr nicht gestiegen sind. Während der Ausstoß in Schwellen- und Entwicklungsländern weiter beständig wuchs, sorgten signifikante Einsparungen der Industriestaaten, vor allem der USA und der EU-Mitgliedsstaaten, für eine Stagnation des Trends. Ist damit die Trendwende in der Klimapolitik geglückt?
Entwicklung der globalen CO2-Emissionen im Überblick. Datenquelle: International Energy Agency
Bewegung im weltweiten CO2-Haushalt
Wie bereits 2018 hat die Menschheit im Jahr 2019 ungefähr 33 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen, das Wachstum der globalen Emissionen ist vorerst gestoppt. „Das ist der Beweis, dass der Übergang zu sauberen Energieträgern im Gange ist”, kommentierte IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol die kürzlich veröffentlichten Daten der Agentur mit Sitz in Paris, die 1974 in Konsequenz der ersten Ölpreiskrise gegründet wurde und heute als selbstständige Institution des Industriestaatenverbundes OECD operiert.
Demnach ist die entscheidende Stellschraube für die wider Erwarten starken CO2-Reduktionen in den Industriestaaten der Energiesektor – vor Verkehr und Landwirtschaft nach wie vor größter Emittent des Treibhausgases. Der Energiemix in den wohlhabenden Volkswirtschaften ist heute weniger kohlehaltig als noch im vergangenen Jahr, die Stromgewinnung aus der Verbrennung von Braun- und Steinkohle sank 2019 um 15%. Verdrängt wird der Brennstoff nach Angaben der IEA je nach Region durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, gleichzeitig aber auch durch einen größeren Marktanteil von Erdgas und Atomkraft.
Der Bericht ist damit die Momentaufnahme eines sich seit Längerem abzeichnenden Trends. Im Zuge der verblassenden Rolle der Kohle lassen sich regional unterschiedliche Pfade der Klimapolitik beobachten, welche die verantwortlichen Behörden und Regierungen zu beschreiten beginnen. Gleichermaßen vielfältig sind die Folgen für das Weltklima.
Die USA auf dem Weg zur Klimaneutralität?
Auf den ersten Blick erscheinen die Resultate erstaunlich. In absoluten Zahlen verzeichneten die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr den größten Abbau von CO2-Emissionen im Ländervergleich. Seit den Höchstwerten im Jahr 2000 wurde der Ausstoß des Treibhausgases um 17% reduziert, die Nutzung von Kohle als fossiler Brennstoff ist beständig rückläufig.
Besonders in Anbetracht der umstrittenen Klimapolitik Donald Trumps, am prominentesten abgebildet durch den Rückzug vom Pariser Klimaschutzabkommen, verwundern diese Entwicklungen. Die New York Times zählt aktuell 95 Umweltschutzmaßnahmen der Vorgängerregierungen, die während der laufenden Amtszeit vom US-Präsidenten abgeschwächt oder rückgängig gemacht wurden. Entkräftet wurde so beispielsweise der „Clean Power Plan“ (Saubere-Energie-Plan), einst von der Obama-Regierung zur strikten Begrenzung der Treibhausgasemissionen von Energieproduzenten eingeführt.
Und doch sinken die CO2-Emissionen – trotz Trump. Betrachtet man den Energiehaushalt der Wirtschaftsmacht genauer, so zeigt sich, dass der energiepolitische Wandel, der sich in den USA abzeichnet, vor allem von Erdgas getragen ist. Während die Kohleenergie in den Vereinigten Staaten immer weniger wettbewerbsfähig ist, stieg das Erdgasangebot dank neuartiger Fördermethoden in der Vergangenheit rasant an. 2019 fielen die Gaspreise im Schnitt um 45% im Vergleich zum Vorjahr, was dazu führte, dass dessen Anteil am Energiemix zulasten der Kohle wuchs. Da bei der Nutzung von Erdgas zur Energieerzeugung in etwa halb so viel CO2 ausgestoßen wird wie bei der Verwendung von Kohle, verbessert das die CO2-Bilanz des Landes.
Allerdings ist der Gebrauch von Erdgas zur Energiegewinnung nicht unproblematisch. Der Rohstoff ist kein „sauberer“ Energieträger, bei der Verbrennung wird CO2 freigesetzt. Den politischen Entscheidungsträger*innen muss somit bewusst sein, dass Klimaneutralität auf dem eingeschlagenen Pfad nicht zu erreichen ist. Hinzu kommen Bedenken über die umstrittene „Fracking“-Technologie, mit der das Gas aus dem Boden gefördert wird. So warnt unter anderem das deutsche Umweltbundesamt vor Risiken für die Grundwasserqualität, welche durch den Einsatz von Chemikalien bei den Bohrungen entstehen.
Es gibt Stimmen, die dafür argumentieren, Erdgas auf dem Weg zur Klimaneutralität übergangsweise zu nutzen. Demnach würde die Energieversorgung kurzfristig gesichert und langfristig der Wechsel auf erneuerbare Quellen vorbereitet werden. Dieser Ansatz könnte sich allerdings als Trugschluss erweisen. Festigen sich die institutionellen Strukturen der Erdgasenergie in den USA und bleiben die Preise damit dauerhaft auf niedrigem Niveau, würde das den Ausbau erneuerbarer Energien behindern. Diese können sich auf dem US-Markt nur behaupten, wenn sie die günstigste Alternative darstellen. Kurz gesagt: trotz gesunkener Emissionen ist es denkbar, dass der Weg zur Klimaneutralität durch die Entwicklungen in den USA nicht kürzer, sondern länger geworden ist.
Transatlantische Gegensätze: EU und USA gehen verschiedene Wege
Wendet man den Blick auf die andere Seite des Atlantiks, zeigt sich in der EU ein alternativer klimapolitischer Ansatz. Nach Angaben der IEA ist es der Union im vergangenen Jahr gelungen, ihre CO2-Emissionen um rund 5% zu reduzieren – prozentual fast doppelt so viel wie die Vereinigten Staaten. Auch hier sparte der Energiesektor entscheidend ein, was nicht zuletzt auf das Emissionshandelssystem (ETS) zurückzuführen ist, welches 2005 eingeführt wurde und in den letzten Jahren Fuß gefasst zu haben scheint. Das ETS ist ein Mechanismus, nach dem jeder industrielle Treibhausgasemittent verpflichtet wird, einen marktbasierten Preis für den Ausstoß zu bezahlen.
In der Praxis führt das Wechselspiel von nationalen und gesamteuropäischen Maßnahmen zu einer mehrdimensionalen Klimastrategie. Auch in der EU löst Erdgas als Energieträger zunehmend Kohle ab. Dennoch ist ebenfalls zu beobachten, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie, in der Europäischen Union deutlich vorangeschritten ist: zum ersten Mal war 2019 ähnlich viel Windkraftenergie wie Kohleenergie auf dem europäischen Markt.
Der „Peak“ der globalen Emissionen
Der Abbau des Kohlestroms, die Nutzung von Erdgas, der Ausbau der erneuerbaren Energien. In ihrer Gesamtheit haben diese Maßnahmen dazu geführt, dass im vergangenen Jahr für jede produzierte Kilowattstunde Strom im Durchschnitt 6,5% weniger CO2 ausgestoßen wurde als noch 2018. Doch ist damit die Trendwende in der Klimapolitik herbeigeführt? Werden die globalen Emissionen von nun an in den kommenden Jahren sinken?
Schwer zu sagen. Außerhalb der wirtschaftsstärksten Staaten ist der CO2-Ausstoß im Jahr 2019 laut den Daten der IEA weiter gewachsen. Besonders im noch immer von der Kohle abhängigen asiatischen Raum hat der Energiebedarf im Zuge wachsender Bevölkerungszahlen und der Entfaltung der Industrie drastisch zugenommen. Ein Ende des Emissionsanstiegs in den sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen.
Damit von nun an eine dauerhafte Eindämmung der globalen CO2-Emissionen erzielt und somit eine wirkliche Kehrtwende im klimapolitischen Trend herbeigeführt wird, fordert IEA-Direktor Birol ehrgeizigere klimapolitische Maßnahmen. Eine weitere Gelegenheit dafür dürfte sich den Staats- und Regierungschef*innen aus aller Welt bei der nächsten Klimakonferenz in Glasgow Ende dieses Jahres bieten. Würde beispielsweise ein Emissionshandelssystem nach europäischem Vorbild auf globaler Ebene verabschiedet werden, ließen sich so die Kosten der Umweltverschmutzung weltweit bepreisen, was erneuerbare Energien attraktiver machen und den CO2-Ausstoß reduzieren würde. 2019 fehlte es in Madrid für einen solchen Entschluss noch an dem notwendigen Konsens.
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