Wie soll Europa im Jahr 2049 aussehen?

Über die Wichtigkeit von Visionen

, von  Paul Weber

Über die Wichtigkeit von Visionen
Für die Zukunft Europas braucht es Visionen. Foto: Unsplash / Thomas Drouault / Unsplash License

Anlässlich ihres 70-jährigen Bestehens hat die Europäische Bewegung Deutschland e.V. (EBD) ihre Jugendverbände dazu aufgerufen, eine Vision für das Europa im Jahr 2049 zu erstellen. Besonders aktuelle Probleme wie nationalistischer Populismus und globaler Klimawandel zeigen, wie wichtig solche Visionen für eine nachhaltige und sinnvolle Politik sind, findet Paul Weber.

Wenn man die aktuelle weltpolitische Lage betrachtet, ist es nicht schwer, in depressive Stimmung zu kommen. Spannungen und Konflikte, wohin man schaut. Zugleich scheinen Nationalismus und Klimawandel, obwohl theoretisch eindämmbar, innerhalb unserer bestehenden Strukturen kaum aufhaltbar. Europa ist einzigartig im internationalen Vergleich. Kein anderer Kontinent hat es geschafft, eine so starke Gemeinschaft zu bilden. Erst auf wirtschaftlicher Basis, dann Stück für Stück auch politisch und rechtlich, rückte die EU näher zusammen. Im Urlaub steht man nun nicht mehr stundenlang am Grenzübergang und kann entspannt mit dem Euro bezahlen. Die Vorteile der EU waren direkt und positiv für alle zu spüren: Aus vielen kleinen Staaten, die zwischen den Großmächten der Welt nicht viel zu sagen hatten, wurde ein Verbund, der mit einer Stimme sprechen konnte.

Heute finden wir jedoch in so vielen wichtigen Punkten, wie dem Klimawandel und vielen geopolitischen Krisen, wie in Syrien und aktuell im Irak, nicht die richtigen Worte. Stattdessen verschlägt es uns die Sprache. Dabei haben wir gemeinsam bereits so viel erreicht: Woran hapert es jetzt? Was wir jetzt brauchen ist eine neue, gemeinsame Vision. Im Duden wird das Wort Vision als „in jemandes Vorstellung besonders in Bezug auf Zukünftiges entworfenes Bild“ definiert. Praktisch bedeutet das ein Weiten des Blickes über das tagespolitische Geschäft hinaus: Die Jugendverbände der Europäischen Bewegung Deutschland e.V. haben zwei Monate lang über genau solch eine Visionen diskutiert und verhandelt, bis am Ende eine gemeinsame achtseitige Beschreibung stand, wie Europa zum 100. Geburtstag der EBD aussehen sollte – unabhängig davon, was aktuell machbar erscheint.

Für mehr Zusammenhalt, gegen Nationalismus

Denken wir 30 Jahre zurück: Der Eiserne Vorhang fiel, die freiheitlich-liberale Demokratie hatte im Wettstreit der Systeme gesiegt, Europa war wieder vereint – und laut dem Politikwissenschaftler Francis Fukuyama war das Ende der Geschichte erreicht. Ab jetzt würde ein demokratischer Friede Einzug halten, so glaubte er. Diese Zeit der Euphorie scheint heute vorerst zu einem Ende gekommen zu sein. In Polen und Ungarn wird an der Rechtsstaatlichkeit gekratzt. In Frankreich, Österreich, Deutschland und vielen weiteren Mitgliedsstaaten erreichen rechte Populist*innen fortgeschrittene zweistellige Wahlergebnisse. Die Brit*innen haben sich entschieden, alleine seien sie besser dran. Wir scheinen uns so sehr an die Vorteile der EU gewöhnt zu haben, dass wir nur noch ihre Nachteile sehen. Gleichzeitig haftet der EU – unterstützt von medialen Lügen aus den Federn von europakritischen Akteur*innen wie Boris Johnson – der Ruf an, ein bürokratisches, überregulierendes Ungetüm zu sein.

Jahrelang wurde zu wenig investiert. Sozialsysteme, Krankenhäuser und Infrastruktur verfallen, da nationale Investitionsmaßnahmen trotz EU-Subventionen fehlen. Dass hier die EU den schwarzen Peter zugesteckt bekommt ist jedoch nicht gerechtfertigt. Der EU-Kohäsionsfonds, dessen Aufgabe es ist die strukturschwachen Regionen der EU zu unterstützen, ist mit gut einem Drittel des Gesamthaushalts der zweitgrößte Ausgabenpunkt. Was fehlt ist die besagte Vision für eine bessere Zukunft: Es braucht gesamteuropäische Projekte, die verhindern, dass die EU nach innen mit sich selbst im Konkurrenzkampf um die billigsten Sozialstandards versinkt, wie es zurzeit der Fall zu sein scheint. Ebenso benötigen wir ein größeres gegenseitiges Verständnis, das Bild eines solidarischen Europas mit einem einheitlichen Mindestlohn und der Garantie von Sozialstandards. So kann in den Köpfen der Bürger*innen ein Bild gemalt werden, das eine wahre „union of the European citizen, by the European citizen and for the European citizen“ darstellt, wie es die Zukunftsvision der EBD-Jugendverbände ausdrückt.

Ein besseres Klima für Europa

Der fortschreitende Klimawandel ist eine Krise, die über Europa hinaus unser aller Überleben bedroht. Hier wird die Wichtigkeit von Jugendengagement besonders deutlich: Obwohl das Problem bereits seit den 1970er Jahren bekannt ist, wurde bisher wenig getan. Auch das neue Klimapaket der Bundesregierung geht lediglich in „homöopathischen Dosen“ voran, wie der Präsident des Deutschen Naturschutzrings Prof. Dr. Kai Niebert bei der Diskussion der Zukunftsvision sagte. Die Klimaziele, deren Aushandlung die Staats- und Regierungschef*innen noch vor ein paar Jahren als wichtigen und richtigen Erfolg präsentierten, sind bislang nicht umgesetzt worden.

Die Jugend geht seit einem Jahr dagegen auf die Straßen und protestiert. Fridays for Future mag vielleicht nicht den erhofften Richtungswechsel in der Klimapolitik herbeigeführt haben. Dennoch hat es das Bewusstsein für die Problematik entscheidend gestärkt und die Debatte polarisierend in den Vordergrund gestellt. Auch zeigen die Aktivist*innen Visionen für eine bessere Zukunft auf – ohne Kohle, ohne CO2-intensive Autos und Industrien. Sie stehen noch weit entfernt von einer direkten Umsetzung. Dass die Bundesregierung allerdings ausgerechnet den Global Climate March gewählt hat, um ihr Klimapaket vorzustellen, ist sicherlich kein Zufall. Hier hat visionäres Handeln deutlich Erfolg gehabt.

Es ist wichtig, dass auch die EU für den Kampf gegen den Klimawandel eine eigene Vision entwickelt. Viele der notwendigen Maßnahmen haben starken Einfluss auf unser Leben. Prof. Niebert kritisierte allerdings eine übermäßige Individualisierung der Klimaverantwortung bei der Diskussion der Zukunftsvision, da diese von dem klaren Handlungszwang, unter dem die Regierung zurzeit steht, ablenkt. Die Industrie muss ihm zufolge stärker in die Verantwortung genommen werden. Allerdings werden wir nicht umhin kommen auch unser (Konsum-)Verhalten zu ändern: Das kann unangenehm sein und ist teils schwer zu vermitteln. Allerdings schlugen die Jugendverbände in ihrer Version vor, den notwendigen Wandel hin zur Nachhaltigkeit „als Chance und nicht als Verzicht zu begreifen“.

Gerade hier setzen Visionen an. Sie gehen weg von einer reaktiven Politik, öffnen den Blick auf die Zukunft und zeigen auf, wofür diese Maßnahmen ergriffen werden. Zum Teil passiert dies bereits mit der oft-zitierten Generationengerechtigkeit. Allerdings handeln Menschen lieber aus eigener Motivation als aus schlechtem Gewissen. Hier ist gerade die neue Kommission unter Ursula von der Leyen gefragt. Mit ihrem Green Deal hat sie die Möglichkeit den EU-Bürger*innen glaubwürdig zu vermitteln, dass sie die nötige Transition sozial verträglich und mit dem Ziel eines lebenswerten Europas der Zukunft vollziehen kann.

Auf in eine bessere Zukunft!

Visionen zeigen auf wie eine bessere Zukunft aussehen könnte, ohne vorzuschreiben, wie diese auszusehen hat. In den Verhandlungen um die Zukunftsvision der EBD merkten die Vertreter*innen der Jugendverbände schnell, dass die Gräben zwischen ihnen deutlich kleiner waren, wenn es um eine Vision für das Jahr 2049 ging. Im tagespolitischen Geschehen haben Verbände wie die Wirtschaftsjunioren, die WWF Jugend und der Deutsche Bundesjugendring oft größere Probleme einen Konsens zu finden. Der Wunsch Europa positiv zu verändern brachte sie jedoch dazu sich schlussendlich auf eine gemeinsame Beschreibung der Gesellschaft in der EU des Jahres 2049 zu einigen.

Ihre Version am 26. November wurde Vertreter*innen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vorgestellt. Für die Bundesregierung erinnerte der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth MdB daran, dass ein Stärken Europas nicht automatisch das Abgeben von Freiheit bedeute. Im Gegenteil: Die europäische Integration gebe den Menschen Freiheiten zurück, die der alte Nationalstaat nicht bieten kann. Dafür müsse „Deutschland mit gutem Beispiel voran gehen“.

Jörg Wojahn, der Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, bezeichnete die Jugendvision als wichtige Vorarbeit für die geplante Konferenz für die Zukunft Europas. Hier soll EU-Bürger*innen ein Ohr geschenkt werden, um Zukunftsentscheidungen wie die versprochene EU-Wahlrechtsreform gemäß den Wünschen der Wähler*innen zu gestalten. Mit diesen Informationen gewappnet, können Visionen geschaffen werden, die in der Vorstellung der EU-Bürger*innen das Bild eines besseren Europas zeichnen, für das es sich lohnt einzustehen.

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