Kämpfe auf offener Straße, Forderungen nach Janukowitschs Rücktritt und hochgehaltene Fahnen der Europäischen Union – die Bürger der Ukraine protestieren gegen die Haltung ihrer Regierung bezüglich des Assoziierungsabkommens mit der EU. Ende November hätte das geplante Freihandelsabkommen zwischen Kiew und Brüssel auf dem Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft im litauischen Vilnius unterzeichnet werden sollen. Es kam jedoch nie zu einem Vertragsschluss, die Ukraine ließ das Abkommen platzen.
Die Bedingungen des Assoziierungsabkommens
Bereits 2011 einigten sich Kiew und Brüssel auf ein Freihandelsabkommen, welches die Ukraine wirtschaftlich und politisch näher an die Europäische Union führen sollte. Als Bedingungen für die Unterzeichnung forderte die EU von der ukrainischen Regierung, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken und Menschenrechte besser zu schützen. Doch gerade im Bereich der Justiz gab es kaum Verbesserungen. Das zeigt besonders die Verurteilung Julia Timoschenkos, deren Begnadigung als ausschlaggebend für die Unterzeichnung des Abkommens gesehen wurde. Die oppositionelle Politikerin wäre bei der Präsidentschaftswahl in zwei Jahren für Janukowitsch eine ernstzunehmende Gegnerin, 2011 wurde sie jedoch zu sieben Jahre Haft wegen angeblichen Machtmissbrauchs verurteilt. Brüssel kritisierte das Urteil als „politisch motiviert“ und forderte zumindest eine Ausreisegenehmigung für Timoschenko in die EU, um ihr die Behandlung in einer deutschen Klink zu ermöglichen. Die Politikerin erkrankte während ihrer Haft an einem Bandscheibenvorfall.
Das Scheitern des Assoziierungsabkommens und seine Folgen
Das ukrainische Parlament lehnte sieben Tage vor dem Gipfeltreffen mit der EU und der Vertragsunterzeichnung ein Sondergesetz für die Ausreise Timoschenkos ab. Oppositionspolitiker forderten daraufhin den Rücktritt Janukowitschs. Mit dem Abstimmungsergebnis wurde eindeutig den Bedingungen der EU für das Assoziierungsabkommen nicht nachgegangen und dem Freihandelsabkommen eine Absage erteilt.
Das Scheitern der Vertragsunterzeichnung hat auch innenpolitisch enorme Folgen: Seit dem Beschluss des Parlaments protestieren hunderttausende Demonstranten für eine Annäherung an die EU und fordern den Rücktritt des Präsidenten. Öffentliche Gebäude werden belagert, immer wieder kommt es zu Ausschreitungen zwischen der Polizei und den Demonstranten. Nun stellen die Sicherheitskräfte ein Ultimatum: Vom 06. Dezember an bleiben den Pro-Europa-Demonstranten fünf Tage, um sämtliche öffentliche Gebäude zu räumen. Ansonsten sei ein härteres Durchgreifen unumgänglich, so Kiews Polizeichef Waleri Masan. Schon jetzt sind gewalttätige Übergriffe der Beamten auf die Protestteilnehmer bekannt.
Neben den Demonstranten fordert auch die Opposition vehement einen Machtwechsel. Unter dem breiten Druck der Bevölkerung und oppositioneller Politiker lenkt Janukowitsch nun ansatzweise ein: Eine Delegation unter dem ersten stellvertretenden Ministerpräsident der Ukraine, Serhij Arbusow, soll nach Brüssel reisen, um neue Gespräche über das Abkommen aufzunehmen. Brüssel hält die Möglichkeit einer Vertragsunterzeichnung immer noch offen, stellte jedoch klar, dass nur über einzelne Teilaspekte verhandelt werden könne. Die Bedingungen für ein Zustandekommen des Abkommens seien hingegen indiskutabel. Ohne Resonanz blieben auch die Apelle Timoschenkos Ende November an die EU: „Ich rufe Sie leidenschaftlich auf, das Abkommen ohne Zögern und Bedingungen am Freitag zu unterzeichnen, auch ohne die Bedingungen, die sich auf meine Freilassung beziehen“.
Das Interesse der EU an einer Partnerschaft mit der Ukraine beruht nicht nur auf wirtschaftlichen, sondern auch auf geostrategischen Vorteilen. Ein stärker isoliertes Russland würde der EU einen besseren Ausgangspunkt bei zukünftigen Verhandlungen garantieren. Zudem würde der Zusammenschluss mit der Ukraine einen Fortschritt in der östlichen EU-Nachbarschaftspolitik darstellen. So sind unter anderem auch Moldawien und Georgien in die europäischen Annäherungsbemühungen eingebunden. Durch diese Nachbarschaftspolitik sollen die Außengrenzen der EU in den Osten gesichert werden.
Russlands Drohungen
Bereits während den Verhandlungen über das geplante Assoziierungsabkommen stand Kiew unter enormen Druck aus Moskau. Russland drohte dem Land mit Restriktionen im Handelssektor, wenn dieses den Freihandelsvertrag mit der EU unterzeichnen würde. Stattdessen sollte die Ukraine einer Zollunion mit Russland, Kasachstan und Weißrussland beitreten. Putin sieht diesen Zusammenschluss als Vorreiter einer politischen Union nach Vorbild der EU an. Die „Eurasische Nation“, so ihr Name, soll 2015 stehen und neben der Ukraine weitere EX-Sowjetstaaten einbeziehen. Russland möchte durch den Staatenbund seine Vormachtstellung in der Region sichern und seinen Einfluss in der Welt weiter erhöhen.
Das Buhlen um den östlichen Staat belastet auch das Verhältnis zwischen EU und Russland. Beide Parteien beschuldigen sich, zu viel Druck auf Kiew ausgeübt zu haben. So bezeichnete Deutschlands Außenminister Westerwelle das russische Vorgehen als „schlicht inakzeptabel“.
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