Ungerechtigkeiten auf globaler Skala anpacken

, von  Michele Valente, übersetzt von Lea Keßler

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Ungerechtigkeiten auf globaler Skala anpacken

Man nehme unseren Planeten und teile ihn. Geografisch gesehen repräsentieren die nördlichen Staaten ein Niveau an Wirtschaftswachstum, Sozialstaat und Rechtsschutz, das dem des Südens weit überlegen ist. Sowohl unser Alltagsdenken als auch haufenweise wissenschaftliche Studien drücken uns in Denkmuster, durch welche wir im Sinne „kontinentaler Blöcke“ über globale Asymmetrien denken. Gleichzeitig haben die Globalisierung und verschiedene Konflikte, welche verstärkte Mobilität und Migration erzeugen, soziale, politische und wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Staaten hervorgerufen.

Um es mit Barack Obamas Worten zu sagen: „Die Ungleichheit ist das bestimmende Problem unserer Zeit“ und sie wächst weltweit weiter. Eingehende und umfassende Analysen wie zum Beispiel der Bericht zur weltweiten Ungleichheit (WIR, 2018) zeigen die Dynamik der Ungleichheit im Langzeitvergleich. Dem Forschungsteam „WI Lab“ zufolge sei die Ungleichheit in Nordamerika, China, Indien und Russland seit 1980 rapide angestiegen. Darüber hinaus wuchs auch das Missverhältnis der Verteilung des Reichtums unter den Bürgern: Das obere Prozent der globalen Bestverdiener beansprucht einen zweimal so großen Anteil dieses Wachstums als die ärmsten 50% während auch die Verarmung der Mittelklasse in den USA und der EU weiter fortschreitet. Die Studie „Wo ist der Reichtum der Nationen?“ der Weltbank stellt fest, dass „der globale Wohlstand zwischen 1995 und 2014 um 66% gestiegen ist (von $690 Billionen auf $1.143 Billionen in US-Dollar zu Marktpreisen in 2014), die Ungleichheit wächst allerdings trotzdem, da der pro-Kopf-Reichtum in einkommensstarken OECD-Ländern 53-mal so hoch ist wie in einkommensschwächeren Ländern (Daten von 1995-2014).

Die staatlichen Strategien der westlichen Länder waren nicht dazu in der Lage, Asymmetrien im Innern mithilfe von Maßnahmen zur Umverteilung des Reichtums entgegenzuwirken und den Schutz der schwächsten Bürger zu gewährleisten: Vor allem „eine Kombination aus Privatisierungen großen Ausmaßes und wachsenden Einkommensunterschieden innerhalb von Staaten haben das Entstehen von Wohlstandsungleichheiten zwischen Individuen gefördert (Wir 2018). Wenn wir weiter „Business as usual“ betreiben, werden viele der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs), die in der UN-Agenda bis 2030 verankert sind, wie von zahlreichen Studien bestätigt, nicht erreicht werden können. Gleichzeitig wird die sozio-ökonomische Spaltung der reicheren und ärmeren Staaten im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten weiter vorangetrieben. Wachsende globale Ungleichheiten riskieren Soziale Sicherheit, Vertrauen in die Politik und transnationale Kooperationen zu untermauern.

Veränderungen der Ungleichheiten innerhalb der Länder

Wie sind wirtschaftliche Entwicklung, Sozialschutz und Ungleichheiten auf globaler Ebene verknüpft? Ein vom Think Tank “Bruegel” verfasster Bericht zeigt eine “leichte Verringerung der globalen Einkommensungleichheit zwischen den Bürgern 146 verschiedener Länder zwischen 1988 und 2000“. Wenn man die Nationen mit dem höchsten BIP außerhalb der EU betrachtet, kann man allerdings andere Szenarien beobachten: in den USA wuchs das Vermögen, das dem obersten Prozent der Reichsten gehört von 22% in 1980 auf 39% in 2014. [1] In den 1990er Jahren prägten die Öffnung für internationale Märkte und die Transformation zum kapitalistischen Handeln China und Russland, wo sich ‚das Vermögen, dass in den Händen der reichsten 1% liegt, sich von 15% auf 30% und im Verhältnis von 22% auf 43%‘ verdoppelte.

Wirtschaftsreformen und Finanzvorhaben, die von den 1980ern bis in die frühen 2000er angewandt wurden, waren auf die Reduzierung der steuerlichen Progressivität fokussiert, die, wie statistische vergleiche zeigen, in einer Periode des größten Ungleichheitswachstum resultierte. Das Steuermodell, das von vielen Schwellenländern Afrikas und Asiens übernommen wurde, hatte ähnliche Effekte: obwohl viele Länder einen insgesamt verbesserten „flächendeckenden Wohlstand“ vorweisen können, breiten sich sozio-ökonomische Asymmetrien aus und diversifizieren sich abhängig von Karrierechancen und Rechtsschutz. Die Nachhaltigkeit der Steuersysteme ist entscheidend wie auch von den Forschern des „Wi Lab“ dargestellt, die auch die Veröffentlichung der Panama Papers in 2016 oder der Paradise Papers in 2017 erwähnen, die von investigativen Journalisten ans Licht gebracht wurden. Die in dem Bericht vorgeschlagenen Lösungen beinhalten den Kampf gegen die Steuerhinterziehung, welche „seit den 1970ern verstärkt stattfand und derzeit mehr als 10% des globalen BIP beträgt“, genauso wie Investitionen in Weiterbildung und einen „demokratischen Zugang“ zu Bildung.

EU-Mitgliedsstaaten im Vergleich

Studien zu Einkommensschere und Reichtumsungerechtigkeit offenbaren beachtliche Diskrepanzen innerhalb der Europäischen Union, wo enge wirtschaftliche und politische Verbindungen schnell „Kettenreaktionen“ zwischen Mitgliedsstaaten hervorrufen können. Im Bericht zur Ungleichheit in Europa (2018), der von Social Europe herausgebracht wurde, erklärt Javi López MEP, dass „während eines der fünf Ziele der Strategie „Europa 2020“ anstrebt, die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen oder bedrohten Personen um mindestens 20 Millionen zu reduzieren (von 115,9 Millionen in 2008 auf 85,9 Millionen in 2020), wurden diese Bürgerinnen und Bürger bereits in EU-28 berücksichtigt. Darüber hinaus waren 2010 auch 32,2 Millionen behinderte Personen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, genauso wie 26,5 Millionen Kinder, was den Gesamtanteil auf eine inakzeptable Höhe von 23,7% treibt. In 2014 besaßen die wohlhabendsten 10% in Frankeich 55% des gesamten Reichtums, was verglichen mit 50% in 1984 das niedrigste Ergebnis seit Aufzeichnungsbeginn ist (WIR 2018).

Les trente glorieuses (1945-73) haben das transalpine sozio-ökonomische Profil verändert: nach dem zweiten Weltkrieg produzierten Schwierigkeiten im Bezug auf die Vereinbarung von Kapital und Arbeit wachsende Ungleichheit bei der Verteilung des nationalen Einkommens, genauso wie Einkommensunterschiede je nach Geschlecht und Art der Beschäftigung, aber auch aufgrund der Nichtanpassung der Werte an die Inflation (1983). Ein expandierender Arbeitsmarkt, Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie ein stabiles Wirtschaftswachstum hielten die wachsende Ungleichheit in Deutschland, die auch nach der Wiedervereinigung (1990) weiter anstieg, nicht auf. Der Anteil der unteren Hälfte (des erwirtschafteten Einkommens) schrumpfte deutlich von 22% im Jahr 2001 auf 17% im Jahr 2013, ein Trend, der mit dem Wachstum des Niedriglohnsektors einherging und einem markanten Unterschied zwischen der höchsten und der niedrigsten Einkommensklasse (WIR 2018). Länder auf beiden Seiten des Atlantiks sind an globalen Entwicklungsprogrammen zur Bekämpfung von Ungleichheit beteiligt, die sich in der Strukturierung von Entwicklungsprozessen und der sozialen Inklusion unterscheiden: "Im Rahmen des US-amerikanischen Szenarios für ein Wachstum mit hoher Ungleichheit - wie es im Weltungleichheitsbericht 2018 beschrieben wird - verdient die Hälfte der ärmsten Weltbevölkerung im Jahr 2050 4.500 Euro pro Erwachsenen und Jahr, gegenüber 9.100 Euro im EU-Szenario mit geringer Ungleichheit (bei einem durchschnittlichen Einkommen pro Erwachsenen von 35.500 Euro in 2050 - betreffend beide Szenarien).

Italien unter der Lupe: eine Nation, viele Ungerechtigkeiten

Italien erlebt eine außergewöhnliche Situation, die von wachsenden Diskrepanzen zwischen den nördlichen und südlichen Regionen gezeichnet ist. Eine anhaltende Kluft betreffend Produktivität und Industrie, insbesondere in den am stärksten benachteiligten Gebieten Mittel- und Süditaliens, hat den „Nährboden“ für sozioökonomische Ungleichheiten geschaffen. Ein aktueller Bericht des SVIMEZ (Vereinigung für die Industrieentwicklung im Süden) zeigt einige kritische Sachverhalte: Von 2002 bis 2016 verließen mehr als 1.800.000 Menschen Süditalien; drei Viertel davon waren Jugendliche (15-34 Jahre). Ihr Fortgehen, so erklären die Forscher, „habe zu einer ernsthaften Verschlechterung der demographischen und sozialen Struktur des Landes geführt“.

Die Folgen der zehn Jahre lang andauernden Finanzkrise, das geringe nationale Wachstum und die hohe Staatsverschuldung wirkten sich auf Investitionen, Arbeitsplätze, Sozialhilfe und Bildung aus: Wenn man die Eurostat-Daten (2017) betrachtet, sieht man, dass die 40% der italienischen Bevölkerung mit den niedrigsten Einkommen im Jahr 2016 nur 19,1% des Gesamteinkommens erwirtschafteten - mit einem Rückgang von 20,2% im Jahr 2010 und 19,7% im Jahr 2015. Massimo Baldini (Lavoce.info) zufolge, „habe das Wachstum der frühen 2000er Jahre zu einen Rückgang der Ungleichheit geführt während der spätere Anstieg aus der Krise, die 2008 begann, resultierte“. Die Eurostat-Daten betreffend betonte er, dass „das Wachstum der frühen 2000er Jahre zu einem Rückgang der Ungleichheit und der 2008 eingesetzten Krise geführt hat“. Die Eurostat-Daten betreffend betonte er, dass "das durchschnittliche Realeinkommen der ärmsten 10% bestätigt, dass diese Gruppe in Italien einen starken Einkommensrückgang erlitten hat, während dieselbe Gruppe in Deutschland und Frankreich nicht nur ein höheres Durchschnittseinkommen hat, sondern auch ein stabileres, dass sich im Vergleich weniger verringert.

Bekämpfung des Problems

Seit den 90er Jahren gilt die globale Verschlimmerung der Ungleichheit als historische Ausnahmeerscheinung, die mit der Zweiten Industriellen Revolution begann - die Weltbank beobachtete, dass „die globale Ungleichheit von 1820 bis zu den 90er Jahren stetig zunahm“. Ungleichheit als Herausforderung für die Zukunft anzunehmen, erfordert möglichst breite geteilte Interessen zwischen Bürgern und politischen Entscheidungsträgern, die unbedingt durch transnationale Kooperationsprojekte unterstützt werden sollten um strukturelle Asymmetrien, wie etwa Mikrokredite zur Förderung des Unternehmertums oder eine bessere finanzielle Nachhaltigkeit für kleine und mittlere Unternehmen, zu verringern.

Wie bereits zuvor erläutert schwächen die im großen Stil stattfindende Steuerhinterziehung und eine stark variierende Einkommensverteilung die Effizienz der Arbeits- und Sozialpolitik. Darüber hinaus müssen die Ungewissheiten im Bezug auf den Klimawandel, die wachsenden Migrationsströme und die finanziellen Sprunghaftigkeit - mit Instrumenten und inklusiven Entwicklungsmodellen für Bildung und Gesundheit als Schlüsselfaktoren eines neuen „Sozialpakts“ - angegangen werden: Heute ist die Realität eine Welt, die auf einem kontinuierlichen Austausch von Menschen, Wissen und Gütern basiert, der nur mit globalen sozioökonomischen Strategien bewältigt werden kann.

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