Debatten, Partizipation und Kunst verbinden, um eine Auseinandersetzung mit Europa zu entfachen. Gelungen ist das den Organisatoren des EuropaCamps der Zeit-Stiftung durchaus. Workshops und Planspiele machten Europa für die Teilnehmer erfahrbar. Der Schwerpunkt aber lag vor allem bei den Diskussionsrunden mit Personen aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Journalismus. Perspektiven wurden diskutiert, Standpunkte gepoltert und doch war man sich nur selten wirklich uneinig.
Böhmermann hat keine Lust auf rechte Thesen
Hitzig wurde das Panel „Kampf der liberalen Demokratie. Europas Populisten“. Publikumsmagnet Jan Böhmermann, der die bei den Panelisten oft unterrepräsentierte junge Generation vertrat, war zunächst gewohnt reflektiert in die Debatte eingestiegen: „Komiker wie ich sind inzwischen häufiger auf Bühnen zu finden, weil wir zusammen mit Journalisten noch in der Lage sind, Debatten anzustoßen.“ Etwas, das Böhmermann bei Politikern sträflich vermissen würde. Als jedoch das Thema kultureller Identität aufkam, gerieten der Bonner Professor Frank Decker und Böhmermann schnell aneinander. Für den Satiriker stand vor allem das Bekenntnis zur deutschen Verfassung und ihrer Werte im Mittelpunkt. Decker wollte aufzeigen, dass nicht alle Menschen der Zuwanderung gegenüber ohne Sorge sind, verfing sich aber im Dschungel identitärer Begriffe. Am Ende konnte er keine konkrete Beschreibung liefern was deutsche Kultur bedeute.
Moderator Matthias Naß schien sichtlich überfordert, die Debatte wieder in eine konstruktive Richtung zu führen.
Anfangs konnte man beide Positionen gut verstehen, aber spätestens als Frank Decker mit rechtspopulistischen Plattitüden wie „die Mehrheit hätte auch Rechte“ nachlegte, ging es Böhmermann deutlich zu weit – vielen der Zuschauer auch. Dabei ist Frank Decker sicher kein Rechtspopulist. Aber er hat unfreiwillig aufgezeigt, wie schnell sich rechtspopulistische Thesen in der Normalität des gesellschaftlichen Diskurses festsetzen. Schließlich fasste Spiegel-Redakteurin Melanie Amann zusammen, dass die Diskussion der beiden „die Schiefe der Debatte aufzeigen würde“.
Was unterging und eigentlich wichtiger gewesen wäre: Das Problem, dass oft mit den Existenzängsten sozial schwächerer Menschen nicht nur Meinung gemacht wird, sondern auch die Schwachen gegeneinander ausgespielt werden. Auch nach Ende des Panels ließ das Thema Jan Böhmermann allerdings nicht los.
Es ist sehr angenehm, dass sich die „Kritik an der Flüchtlingspolitik“ so langsam wieder zur guten alten, leicht erkennbaren Fremdenfeindlichkeit zurückverwandelt, die immer ihr eigentlicher Kern war.
— Dr. Dr. Dr. Jan Böhmermann, MdB 🇩🇪 🤨 (@janboehm) February 2, 2018
ich war heute bei #myeurope und denke jetzt den ganzen abend darüber nach ob das konzept gemeinschaft von menschen insgesamt noch tragfähig ist in zukunft in europa WEIL MENSCHEN SICH SELBST UNTER ZWANG NICHT AUF EINE IDENTITÄT EINIGEN KÖNNEN!
— Dr. Dr. Dr. Jan Böhmermann, MdB 🇩🇪 🤨 (@janboehm) February 2, 2018
Steinbrück poltert, Guérot triezt zurück
Ähnlich kontrovers aber weniger feindselig ging es gleich darauf beim Panel „Krisen – Ein europäisches Kontinuum?“ zu. Dort sorgten vor allem die Schlagabtausche zwischen dem früheren Minister Peer Steinbrück und der Europaprofessorin Ulrike Guérot für Spannung. In seiner gewohnt polterigen Art trumpfte Steinbrück gleich zu Anfang damit auf, dass es ein föderales Europa nie geben würde, da immer der Wunsch nach nationalem bestehen würde. Guérot entgegnete, dass auch die EU ganz lange als Utopie galt, welche in die Realität geholt wurde, indem man es – frei nach Hilbert Meyer - einfach gemacht hat.
Auch darüber, wie die Dauerkrise überwunden werden kann, war man voneinander weit entfernt. Idealismus sei Quatsch, sagte Steinbrück anfangs. Dann differenzierte er erst und gab am Ende sogar zu, dass man Idealismus durchaus brauche. Ulrike Guérot ist dafür bekannt, die europäische Debatte mit streitbaren Thesen aufzurütteln. Sie konterte oft mit Witz und Charme, versteifte sich dann aber auf ihre Forderung, man solle bis 2025 jedem EU-Bürger eine EU-Sozialversicherungsnummer geben. Wie das zu realisieren sei, erklärte sie leider nicht.
Allerdings verdeutlichte ein Satz von Guérot ein schwerwiegendes Problem der aktuellen Europapolitik, das in vielen anderen Panels ebenfalls offensichtlich wurde: „Politik, welche die Menschen da abholt, wo sie gerade stehen, ist keine Führung.“ Ohne idealistische Gegenkonzeption, ohne zu zeigen, wohin der politische Weg führen soll und warum, wird sich die Spirale aus Krise und Populismus nicht durchbrechen lassen.
Terrorismus, Russland, Balkan, Krisen – Die Panels am Samstag
Mit einem Insiderblick auf Russland startete das Panelprogramm am Samstag. Russland wird von vielen Europäern mit Sorge betrachtet – nicht nur wegen der angespannten Lage in der Ukraine, sondern auch, weil Europa und Russland kein einfaches Verhältnis haben. Es fehlt an einer gemeinsamen, europäischen Strategie und Außenpolitik.
Darüber war man sich auch in der Folgedebatte „Europe as seen from abroad“ einig. Tragisch fehlbesetzt war dafür das Panel zu Extremismus und Terrorismus. Statt auch den immer gefährlicheren Rechtsextremismus zu behandeln, ging es nur um den Islam. Moderator Constantin Schreiber setzte dafür in einem Nebensatz die G20-Proteste mit Terrorismus gleich.
Auch wenn sich die Professorin Gudrun Krämer nach Kräften bemühte, die Debatte differenziert zu halten, blieb doch ein unangenehmer Nachgeschmack. Das Konzept des Panels schien zu sein: Terrorismus ist primär ein islamisches Thema. Damit schlägt man in dieselbe Kerbe wie die Angstmacher von AfD und CSU. Eine Gelegenheit zum Einspruch blieb dem Publikum verwehrt – für Moderator Schreiber waren Zuschauerfragen scheinbar unerwünscht.
Spannender gestaltete sich dafür das Panel über die vieldiskutierten Balkanstaaten. Die Vertreter der EU-Beitrittskandidaten verdeutlichten einen Punkt, der aktuell etwas vergessen scheint: Durch die Aussicht auf Beitritt werden die Länder der ehemaligen Krisenregion dazu gebracht, sich wie EU-Mitglieder zu benehmen. Beitrittsgespräche erzwingen, Demokratisierung, Reformen und Rechtstaatlichkeit.
Was beim EuropaCamp abschließend offensichtlich wurde: Begeisterung für Europa, das scheint oft eine Sache der jüngeren Generationen zu sein. Es sind die jungen Leute, die in diesem gemeinsamen Europa auch aufwachsen, die es zu schätzen wissen. In den Panels waren sie nur wenig vertreten, bei den Teilnehmern und kritischen Nachfragen umso mehr.
Hier passen die Worte eines Aufregers von Peer Steinbrück nach einer Zuschauerfrage: „Meckert nicht immer über „die da oben“! Meine Partei ist hoffnungslos überaltert. Macht mit! Mischt euch ein! Ändert was!“ Es scheinen bereits weit mehr dabei zu sein, als man denkt.
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