Die Entwicklung der europäischen Migrationspolitik - Teil 1

Von der Einheitlichen Europäischen Akte zum Vertrag von Maastricht (1957-1997)

, von  John Grosser

Von der Einheitlichen Europäischen Akte zum Vertrag von Maastricht (1957-1997)
Die Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags über die Europäische Union, 1992. Foto: Europäische Gemeinschaften, 1992 / Christian Lambiotte / EC Audiovisual Service

Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten in Migrationsfragen hat in den letzten Jahrzehnten eine enorme Entwicklung durchlaufen. Dabei ist die europäische Migrationspolitik nicht nur für Migrant*innen und Asylbewerber*innen aus Nicht-EU-Staaten von zentraler Bedeutung, sondern auch für die Bürger*innen der EU. Denn der freie Verkehr von Personen und Dienstleistungen, das Ausbleiben von Binnengrenzkontrollen und eine weitgehend gemeinsame Migrationspolitik mögen heute selbstverständlich wirken, wurden jedoch über viele Jahrzehnte hinweg erarbeitet. Wie hat sich die aktuelle Migrationspolitik der EU entwickelt? In diesem Artikel besprechen wir die 80er und früher 90er Jahre, von der Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte bis zum Vertrag von Maastricht. Eine Analyse.

Insgesamt lässt dich in den letzten 40 Jahren eine immer engere europäische Integration in Sachen Migration erkennen, obwohl diese mal schneller und mal langsamer voranschritt. Von einer anfänglichen nationalstaatlichen Souveränität wandelte sich die europäische Migrationspolitik über eine Phase der intergouvernementalen Zusammenarbeit in ein Politikfeld im supranationalen Kompetenzbereich der heutigen Europäischen Union. Damit einhergegangen ist eine stückweise Stärkung der supranationalen Organe und Schwächung der einzelnen Mitgliedsstaaten.

Nationalstaatliche Einwanderungspolitik

In den ersten Jahrzehnten der europäischen Integration existierte die Europäische Union in ihrer heutigen Form noch nicht. Stattdessen kooperierten die beteiligten Europäischen Staaten in den Europäischen Gemeinschaften: der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft. Die Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaften beschränkte sich jedoch im Wesentlichen auf wirtschaftliche Themen: die Migrationspolitik war eine Angelegenheit der Nationalstaaten und migrationspolitische Kompetenzen wurden ihnen überlassen.

Druck zur weiteren migrationspolitischen Integration entstand Ende der 80er Jahre, nach dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA). Dieser Revisionsvertrag brachte weitreichende Änderungen an den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften. Ein Ziel der EEA war etwa die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes und die Sicherung des freien Verkehrs von Personen, Dienstleistungen, Waren, und Kapital. Der freie Personenverkehr und die Abschaffung von Binnengrenzkontrollen waren aber ohne eine (zumindest geringfügige) Integration der Migrationspolitik kaum umzusetzen.

Zwischenstaatliche Zusammenarbeit: Die Verträge von Schengen und Dublin

Dieser durch die EEA geschaffene Integrationsdruck führte in den 80er und 90er Jahren zur Unterzeichnung von zwei zwischenstaatlichen Verträgen, welche die Migrationspolitik in Europa bis heute prägen: Das Schengener Übereinkommen und das Dubliner Übereinkommen. Das Schengener Übereinkommen von 1985 und das spätere Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), welches die konkrete Umsetzung des Vertrages regelte, beschlossen die Abschaffung von Grenzkontrollen zwischen den Vertragspartnern (Frankreich, Deutschland, und den Beneluxstaaten) und diente unter anderem der Sicherstellung des freien Personenverkehrs zwischen den beteiligten Staaten. Bei den Vertragspartnern entstand durch diesen Integrationsschritt jedoch die Sorge, ausbleibende Grenzkontrollen könnten es Asylbewerber*innen ermöglichen, die Grenzen zwischen den Staaten zu überschreiten und in mehreren Staaten Asylanträge zu stellen. Aus diesem Grund enthielt das SDÜ Regelungen zur Verteilung der Zuständigkeit für Asylanträge auf die unterzeichnenden Nationalstaaten.

Diese Regelungen bildeten die wesentliche Grundlage für das 1990/91 unterzeichnete Dubliner Übereinkommen, welches das Zuteilungssystem für Asylanträge von den Schengen-Vertragspartnern auf die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften ausweitete. Diese Verträge machten zwar große Schritte in Richtung einer integrierten europäischen Migrationspolitik, waren aber zwischenstaatliche Abkommen außerhalb der Europäischen Gemeinschaften.

Eine Migrationspolitik für die Europäische Union: Der Vertrag von Maastricht

Der nächste europäische Integrationsschritt war der 1992 in Maastricht unterzeichnete Vertrag über die Europäische Union (EUV). Dieser Vertrag begründete die Europäische Union - ein politisches Konstrukt aus drei Säulen - und übertrug neue Kompetenzen auf die europäische Ebene - unter anderem in der Migrationspolitik.

Die drei Säulen der Europäischen Union waren als erste Säule die supranationalen Europäischen Gemeinschaften, als zweite Säule die intergouvernementale Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und als dritte Säule die ebenfalls intergouvernementale Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres. Der Vertrag von Maastricht ordnete einige wenige Aspekte der Migrationspolitik, wie etwa die einheitliche Gestaltung von Visa, der ersten Säule zu, wesentliche Teile der Migrationspolitik wurden jedoch der intergouvernementalen Justiz- und Innenpolitik zugeteilt.

In dieser Migrationspolitik der dritten Säule war der Rat das maßgebliche Entscheidungsorgan. Dieser hatte jedoch in der Form von gemeinsamen Standpunkte und gemeinsamen Maßnahmen nur schwache Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung und konnte diese im Wesentlichen nur einstimmig einsetzen. Die Migrationspolitik war also formal in den Kompetenzbereich der Europäischen Union gebracht worden, die notwendige Einstimmigkeit im Rat gab allen Mitgliedsstaaten jedoch ein Vetorecht - die Zusammenarbeit in Migrationsfragen blieb also weitestgehend intergouvernemental.

Diese intergouvernementale Zusammenarbeit zeigte sich auch in der relativen Schwäche der supranationalen Organe in der Migrationspolitik. So bekam die Kommission zwar ein migrationspolitisches Initiativrecht, musste sich dieses jedoch (im Gegensatz zu den Politikfeldern der ersten Säule) mit den Mitgliedsstaaten teilen. Und auch das Europäische Parlament erhielt in der Migrationspolitik zwar neue Beteiligungsrechte im Rahmen eines Konsultationsverfahrens, hatte jedoch weder ein Mitentscheidungsrecht noch ein Veto- oder Initiativrecht. Dem Europäischen Gerichtshof wurden derweil im Vertrag von Maastricht ausdrücklich keine migrationspolitischen Handlungskompetenzen übertragen.

Zwischenstand: Die Entscheidungsmacht verbleibt bei den Mitgliedsstaaten

Die späten 80er und frühen 90er Jahre waren also eine Zeit großer Umbrüche in der europäischen Integration. Die Europäische Union wurde geschaffen und erweiterte die ohnehin schon ausgeweiteten Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaften um zahlreiche innen- und außenpolitischen Politikbereiche (unter anderem große Teile der Migrationspolitik), in denen die Mitgliedsstaaten nun intergouvernemental kooperierten. Zuvor hatten außergemeinschaftliche Verträge die Kooperation der europäischen Staaten in migrationspolitischen Fragen schon formalisiert. Trotz dieser Integrationsfortschritte blieb die migrationspolitische Zusammenarbeit in Europa im Wesentlichen intergouvernemental - die Entscheidungsmacht blieb bei den Mitgliedsstaaten.

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