1. Herausforderung: Die Nichtwähler*innen
Zur Wahl aufgerufen sind alle Franzos*innen, die das 18. Lebensjahr vollendet und sich in die Wahllisten eingetragen haben. Erfahrungsgemäß fällt die Wahlbeteiligung bei den französischen Kommunalwahlen hoch aus. Bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2014 gaben im zweiten Wahlgang 62,1 Prozent ihre Stimme für die Kandidat*innen ihres Stadt- oder Gemeinderates ab. Demgegenüber gingen nur knapp die Hälfte der französischen Wähler*innen bei den nationalen Parlamentswahlen 2017 zum zweiten und – da bei diesem im Gegensatz zum ersten Wahlgang nicht die absolute, sondern relative Mehrheit zum Wahlsieg ausreicht − entscheidenden Wahlgang. Einzig bei den Präsidentschaftswahlen fiel die Wahlbeteiligung mit 74,6 Prozent im zweiten Wahlgang noch höher aus.
Die im Vergleich zu anderen französischen Wahlen hohe Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen stellt jedoch nur eine Seite der Medaille dar. Die andere Seite offenbart, dass der Anteil der Nichtwähler*innen seit den Kommunalwahlen im Jahr 1983 kontinuierlich gestiegen ist und im Jahr 2014 mit 37,9 Prozent seinen bisherigen Höhepunkt erreichte. Da die Höhe und die Verteilung der Wahlbeteiligung für den Wahlausgang entscheidend sind, sind die Parteien gut beraten, potenzielle Wähler*innenschichten zu (re-)mobilisieren. Hierfür müssen sie sich vor allem an die junge Generation richten, da die Gruppe der Nichtwähler*innen unter den 18 bis 25-Jährigen im Jahr 2014 mit Abstand am größten war: Von ihnen gaben besorgniserregende 55 Prozent nicht wählen.
2. Herausforderung: steigender Parteienwettbewerb
Seit der Gründung der französischen Grünen und dem Stimmenzuwachs des rechtsextremen Front National (FN) in der ersten Hälfte der 1980er Jahre ist das französische Parteiensystem komplexer geworden. Für die Kandidat*innen der „Parti Socialiste“ (PS) und der „Les Républicains“ (LR) ist es immer schwieriger, die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang zu erlangen. In knapp 6.500 Gemeinden war bei den letzten Kommunalwahlen ein zweiter Wahlgang nötig. Dort sind drei („triangulaires“), vier („quadrangulaires“) oder sogar fünf („pentagulaires“) konkurrierende Parteilisten keine Seltenheit mehr: 2014 konnten die Wahlberechtigten in 986 Gemeinden über 1.000 Einwohner*innen zwischen drei, in 207 Gemeinden zwischen vier und in 16 sogar zwischen fünf Listen verschiedener Couleur auswählen.
Mit der 2016 von Emmanuel Macron gegründeten Partei La République en Marche (LREM) wird sich der Wettbewerb weiter verschärfen. Für die Parteien stellt der erhöhte Wettbewerbsdruck ein Dilemma dar. Einerseits müssen sie zur deutlichen Abgrenzung untereinander einen intensiveren und inhaltlich schärferen, lokalpolitischen Wahlkampf führen, andererseits aber darauf achten, dass mögliche Listenfusionen oder Wahlallianzen vor dem zweiten Wahlgang nicht gefährdet werden. Listenfusionen sind für Parteien in Gemeinden mit mehr als 1.000 Einwohner*innen entscheidend, die im ersten Wahlgang mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten haben, die für den zweiten Wahlgang erforderlichen zehn Prozent jedoch nicht erreichen konnten. Indem sie ihre Liste mit einer anderen Parteiliste vereinigen, können die „kleinen“ Listen dennoch am zweiten Wahlgang teilnehmen.
Darüber hinaus werden zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang häufig Parteiallianzen geschmiedet: Zeichnet sich nach dem ersten Wahlgang ab, dass eine Partei wenig Chancen auf Erfolg hat, zieht sie ihre Liste zurück und spricht sich für die Wahlunterstützung einer anderen, ihr in der Regel programmatisch nahestehenden Partei aus. Letztere zieht im Gegenzug ihre Liste in einer Stadt oder Gemeinde zurück, wo die Liste ihres Allianzpartners mehr Chancen auf einen Wahlerfolg hat als ihre eigene.
3. Herausforderung: unbeliebte Parteizugehörigkeit
Um Gemeinderatsmitglied zu werden, bedarf es keiner Parteizugehörigkeit. Damit kann man bei den französischen Bürger*innen auch kaum noch punkten. Einer im Januar 2020 veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ELABE zufolge wünschte sich mehr als jede*r Zweite eine*n Bürgermeister*in ohne Parteietikett. Dies trifft vor allem auf die ländlichen Gebiete zu, wo dies sogar 63 Prozent der Bürger*innen befürworten.
Die Parteien reagieren auf diese Entwicklung. Wer das Wahlplakat der Pariser Bürgermeisterin, Anne Hidalgo (PS), genauer betrachtet, wird kein Parteilogo entdecken. Verschwunden ist die Faust mit der Rose, das traditionelle Symbol von Frankreichs Sozialisten, ebenfalls von dem Wahlplakat der Bürgermeisterin von Nantes, Johanna Rolland (PS). Zu dieser Vorgehensweise rät auch die von Macron gegründete LREM in einem von ihr an die Kandidat*innen verteilten Leitfaden. Ihnen wird geraten, während des Kommunalwahlkampfes ihre Partei und den Präsidenten auf Plakaten und Flugblättern nicht zu erwähnen. Ob sich die Wahltaktik, von Parteien aufgestellte oder unterstützte Kandidat*innen als unparteiisch zu deklarieren, langfristig als gute parteipolitische Strategie erweist, ist stark anzuzweifeln. Parteien verbessern nicht ihr Image, indem sie die Parteizugehörigkeit ihrer Kandidat*innen verleugnen. Schlimmer noch: Sie beweisen ihre Schwäche.
4. Herausforderung: Mangel an Kandidat*innen
In einigen Gemeinden steht nicht mehr nur die Frage im Vordergrund, wer gewählt wird, sondern auch, wer sich überhaupt noch wählen lässt. Knapp die Hälfte aller amtierenden Bürgermeister*innen möchte nicht wieder zur Wahl antreten. Dies setzt eine Zwangserneuerung in den Gemeinden voraus, die über die Neuerungsquote im Jahr 2014, als 40 Prozent aller Bürgermeister*innen erstmalig ins Amt gewählt wurden, hinausgehen muss. Doch nicht überall sind die lokalen Mandate gefragt. Besonders im ländlichen Raum gibt es Probleme, die vakanten Stellen neu zu besetzen. In einigen Orten wird händeringend nach Freiwilligen gesucht – bislang zum Teil erfolglos.
Zweifelsohne erschweren auch die hohen Anforderungen an das Bürgermeisteramt die Kandidat*innensuche. In einer im November 2018 veröffentlichten Studie wurden amtierende Bürgermeister*innen zu den Gründen für ihren angekündigten Kandidaturverzicht befragt. Den Aussagen zufolge fällt es vielen von ihnen immer schwerer, ihr Amt auszuführen. Mehr als ein Drittel der befragten Amtsinhaber*innen kritisierten die hohen administrativen Anforderungen und fehlenden finanziellen Mittel. Die psychische Belastung, die sich aus der anspruchsvollen Tätigkeit eines Gemeindeoberhauptes ergibt, wurde letztes Jahr sogar Gegenstand einer französischen Kinoproduktion: In „Alice et le maire“ kommt ein völlig ausgebrannter Bürgermeister dank einer jungen Philosophin auf neue Ideen. In der Praxis hat dieser Lösungsansatz wohl wenig Aussicht auf Erfolg.
5. Herausforderung: Parität
In den Stadträten von Städten mit mehr als 1.000 Einwohner*innen, die dem Paritätsgesetz unterstehen, liegt der Frauenanteil bei beachtlichen 48,1 Prozent. Doch diese Zahl ist trügerisch und trägt dem gesetzlich verankerten Paritätsgebot, nachdem die Hälfte aller Ämter der Stadt-und Gemeinderäte mit Frauen besetzt werden müssen, nur formal Rechnung. Dies verrät der Blick auf die Besetzung des obersten Listenplatzes. Es gilt in Frankreich als ungeschriebenes Gesetz, dass der*die Kandidat*in auf dem obersten Listenplatz der siegreichen Partei vom Stadt- oder Gemeinderat zum*zur Bürgermeister*in gewählt wird. Der Frauenanteil unter den Bürgermeister*innen liegt aktuell jedoch gerade einmal bei 16 Prozent.
Zwar ist dieser Prozentsatz höher als in Deutschland, wo nur etwa jedes zehnte Gemeindeoberhaupt eine Frau ist. Dennoch besteht in der Besetzung des Listenkopfes deutlich Nachholbedarf, wenn die geschlechterparitätische Ämtervergabe in der französischen Politik tatsächlich funktionieren soll. Dies gilt auch für die Partei des Präsidenten: Obwohl die paritätische Ämtervergabe ein Leitmotiv Macrons ist, liegt der Frauenanteil unter den führenden LREM-Listenkandidat*innen für die bevorstehenden Kommunalwahlen bei nur 24 Prozent.
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