Wahl in Tschechien: als ob es kein Europa gäbe

, von  Christoph Sebald, Marina Mantay

Wahl in Tschechien: als ob es kein Europa gäbe
Foto © Felix Mayer: „Sonniges Prag“, http://tinyurl.com/okl7lf6, Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Generic: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Tschechien hat gewählt. Das Ergebnis ist eine schallende Ohrfeige für die etablierten Parteien. Während das große Wundenlecken noch andauert, stellen sich jedoch drängende Fragen: Was bedeutet die Wahl für die tschechische Politik und welche Folgen hat das für Europa? Unsere Autoren haben nachgehakt.

Gewählt – und was nun?

So viel steht fest: bei den Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus gibt es keine klaren Gewinner, sondern sieben Parteien und keine eindeutige Regierungsperspektive. Das schlechte Abschneiden der etablierten Parteien ist wesentlich auf innenpolitische Gründe zurückzuführen. Einerseits ist da die chronische Korruption in den Parteispitzen zu nennen, andererseits aber auch der ökonomische Stillstand, eine hohe Arbeitslosigkeit sowie die Sparpolitik der letzten Jahre.

Ungewiss ist nun die Regierungsbildung. Sollten die Sozialdemokraten als stärkste Partei scheitern, stehen wohl Neuwahlen ins Haus. Für klare Verhältnisse werden aber auch die kaum sorgen. Einige politische Beobachter, etwa PhDr. Havlik, Dozent für vergleichende Politikwissenschaft an der Masaryk Universität in Brno, prognostizieren eine dauerhafte Schwächung des Parteiensystems. Gerade der weitverbreitete Frust in der tschechischen Bevölkerung über die politischen Eliten könne in den nächsten Jahren in eine Art „Populisten Karussell“ münden. Also einen Zustand, bei dem immer neue populistische Bewegungen entstehen und ältere verdrängen.

Wird das Ergebnis Auswirkungen auf die Europapolitik haben?

Zwei Beobachtungen lassen sich feststellen: Europa hat im Wahlkampf keine Rolle gespielt und das war mit ein Grund, weshalb explizit euroskeptische Parteien an der 5-Prozent-Hürde scheiterten. Dies könnte sich bei der kommenden Europawahl jedoch wieder ändern. Euroskeptische Parteien, etwa die Bewegung um den ehemaligen Staatspräsidenten Vaclav Klaus, könnten dann durchaus wieder an Fahrt gewinnen.

Dr. Milena Vicenova, ehemalige tschechische Botschafterin bei der EU, geht davon aus, dass die neue Regierung den ’pragmatischen’ Ansatz der Übergangsregierung fortsetzen wird. Abhängen werde dies jedoch von der jeweiligen Koalition. In den Reihen der JEF Tschechien wird auf einen leicht ’pro-europäischeren’ Kurs gehofft. So sagte Vladka Jelinkova, Vorsitzende der JEF Brno: „Auch wenn sich die Protestpartei ANO noch nicht klar positioniert hat, können die anderen Mitgliedstaaten zumindest von den Sozial- und Christdemokraten eine stärker pro-europäische Politik erwarten.“ Einen Beitritt Tschechiens zum Euro hält sie bis 2020 für möglich.

Hintergrund zur Wahl

Seit den Wahlen im Jahr 2010 wurde die Regierungsarbeit von mehreren Korruptionsskandalen überschattet. Im Juni 2013 zerbrach die Mitte-rechts-Koalition von Premierminister Petr Necas an einer Korruptions-, Sex- und Bespitzelungsaffäre. Einer von Staatspräsident Miloš Zeman installierten Technokraten-Übergangsregierung unter der Leitung des früheren Finanzministers Jiri Rusnok, entzog das Parlament bereits nach drei Monaten im Amt das Vertrauen. Vorgezogene Neuwahlen waren damit unausweichlich.

Während der Regierungsperiode 2010 bis 2013 haben die etablierten Parteien massiv an Rückhalt verloren. Erstmals seit der Staatsgründung im Jahre 1993 konnten sich nach der jetzigen Wahl, im bis dahin stabilen Parteiensystem Tschechiens, neue Formierungen durchsetzen. Diese Fragmentierung der Parteienlandschaft ist auf den Unmut der Bürger und deren Protestwahlverhalten zurückzuführen. Sowohl die anhaltende Korruption als auch die wirtschaftliche Stagnation, gepaart mit einer strikten Sparpolitik, sind hierfür ursächlich.

Stärkste Kraft im neuen Parlament sind die Sozialdemokraten (CSSD) mit einem Viertel der Sitze. Dennoch ist das Ergebnis für die CSSD eine Enttäuschung, hatten sie doch auf bis zu 30 Prozent der Stimmen und eine stabile Regierungsperspektive spekuliert. Zusätzlich lähmt die Partei ein interner Machtkampf, der eine rasche Regierungsbildung erschwert. Empor gespült hat die Protestwelle hingegen den Agrar-Milliardär Andrej Babiš. Dieser warb im Wahlkampf mit seiner Partei ANO damit, Tschechien wie ein Unternehmen zu führen und sagte der Korruption den Kampf an. Einige politische Beobachter sprechen von einem tschechischen Berlusconi, nicht zuletzt deswegen, weil Babiš zwei überregionale Tageszeitungen besitzt. Als drittstärkste Kraft kommen die Kommunisten auf 15,1 Prozent der Stimmen, während die konservativ-liberalen Parteien bei knapp 13 Prozent liegen.

Eindeutig Vorteile aus dem Wahlergebnis kann wohl nur Staatspräsident Miloš Zeman ziehen. Schon vor der Wahl hatten ihm Kritiker vorgeworfen, seine Kompetenzen auszudehnen und das parlamentarische System schleichend in ein präsidiales überführen zu wollen.

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