Interview mit Marc Beckmann, European Citizens Bank

Warum es mehr Bürger*innenbeteiligung in der Geldpolitik braucht

, von  Martin Müller

Warum es mehr Bürger*innenbeteiligung in der Geldpolitik braucht
Schlussendlich sei es der EZB und verbundenen Akteuren nicht gelungen, Geldpolitik so zu kommunizieren, dass Menschen in der Debatte dazu teilhaben könnten, kritisiert Marc Beckmann. Foto zur Verfügung gestellt von Marc Beckmann

Marc Beckmann ist deutschsprachiger Vertreter der „European Citizens Bank“. Mit Diskussionen in mehreren europäischen Ländern versucht das zivilgesellschaftliche Projekt, Stimmen aus der Bevölkerung in der Debatte zur Geldpolitik zu stärken. In einer Bürger*innenversammlung am 25. und 26. Juni können in diesem Rahmen Empfehlungen an die Europäische Zentralbank erarbeitet werden. Mit treffpunkteuropa.de hat Marc Beckmann über das demokratische Defizit der EZB, „grüne“ Geldpolitik und den Vorwurf der Symbolpolitik gesprochen.

Treffpunkteuropa.de: Das Projekt der European Citizens Bank fällt in eine Zeit historisch niedriger Zinsen, in der die EZB versucht, einer von der Corona-Pandemie gebeutelten Eurozonen-Wirtschaft mit umfangreichen Anleihekaufprogrammen unter die Arme zu greifen. Warum braucht es gerade jetzt mehr Bürger*innenbeteiligung in der Geldpolitik?

Marc Beckmann: Der Bürger*innenbeteiligungsprozess läuft gerade simultan zu einer geldpolitischen Strategieüberprüfung der EZB. Diesen Überprüfungsprozess hat die Zentralbank zuletzt vor 18 Jahren durchlaufen, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass das Ergebnis der aktuellen Debatten für ungefähr eine Dekade Bestand hat. Gerade sind somit viele große Fragen zur Grundausrichtung der Geldpolitik der EZB in den kommenden Jahren auf dem Tisch, da werden Weichen gestellt. Und deswegen ist es wichtig, dass sich Bürger*innen zu diesen Fragen eine Meinung bilden können und Stimmen aus der Bevölkerung dann auch in den Prozess einbezogen werden.

Grundsätzlich handelt es sich um einen mächtigen Politikbereich, zu dem in der Bevölkerung allerdings wenig Wissen besteht und bei dem es auch keine institutionalisierten Prozesse gibt, mit denen Bürger*innen einbezogen werden können. Deswegen haben wir die Notwendigkeit gesehen, aus der Zivilgesellschaft heraus einen solchen Bürger*innenbeteiligungsprozess durchzuführen.

Solche zivilgesellschaftlichen Partizipationsformate gibt es aktuell auf vielen verschiedenen Ebenen, am prominentesten unter ihnen vermutlich die seit Mai laufende Konferenz zur Zukunft Europas. Was macht die European Citizens Bank für dich aus?

Das Besondere ist das Thema der Geldpolitik. Wie angedeutet hat dieses Politikfeld in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die EZB hat sich, ungefähr seit der Finanzkrise, mehr eigene Kompetenzen gegeben und neue Instrumente eingeführt, die eine noch direktere Wirkung auf die Finanzmärkte, die Finanzierungsbedingungen und damit letztendlich auch auf die Lebensbedingungen von Menschen haben. Daher ist die Geldpolitik mächtiger geworden, während gleichzeitig die demokratische Legitimation nicht nachgezogen hat. Das Demokratiedefizit auf europäischer Ebene – welches häufig thematisiert wird und weswegen die Konferenz zur Zukunft Europas sehr wichtig ist – ist im Bereich der Geldpolitik besonders in Erscheinung getreten. Und ich kenne kein zivilgesellschaftliches Projekt, welches sich in vergleichbarer Form mit diesem Thema auseinandersetzt. Das macht es einzigartig.

Auf welchem Stand befindet sich die Debatte aktuell?

In Deutschland sind unsere Webinare zu einzelnen Problemfeldern der Geldpolitik durch. Parallel haben Menschen die Möglichkeit, auf der Plattform Vorschläge abzugeben, zu kommentieren und zu bewerten. Und jetzt stehen wir kurz vor dem Highlight des Prozesses, der Bürger*innenversammlung am 25. und 26. Juni. Dort werden letztendlich die konkreten Empfehlungen erarbeitet, die wir an die EZB übergeben und die wir auch weiterhin als Instrument nehmen werden, um die Arbeit in den Zentralbanken mit den Positionen aus der Bevölkerung zu konfrontieren.

Bleiben wir zunächst bei der Strategieüberprüfung der EZB. Welchen Einfluss hat das Ergebnis schlussendlich auf das geldpolitische Tagesgeschäft in der Institution?

Ganz verschiedene. Zwei Punkte werden aber momentan intensiver diskutiert. Der eine ist die Definition des Inflationsziels. Das Mandat der EZB umfasst lediglich, dass Preisstabilität gewährleistet werden soll. Was das genau bedeutet, wird im Rahmen der geldpolitischen Strategie bestimmt. Momentan ist das Inflationsziel definiert als eine Inflationsrate von unter, aber nahe zwei Prozent. Es wird diskutiert, ob dieses Ziel erhöht oder ob es vielleicht durchschnittlich über die nächsten Jahre erzielt werden sollte. Das hätte reale und bedeutende Auswirkungen darauf, wie die EZB ihre Zinssätze setzt, wie sie auf Wirtschaftskrisen reagiert, wann sie die geldpolitische Bremse anzieht. Der andere Punkt ist, wie die EZB mit der Klimakrise umgeht.

… Wie könnte nachhaltige Geldpolitik konkret aussehen?

Mit Blick auf die Debatte halte ich es für am wahrscheinlichsten, dass die EZB zunehmend Klimarisiken in ihren geldpolitischen Operationen berücksichtigen wird. Hierbei wäre es allerdings wichtig, dass die EZB nicht einfach nur auf die Offenlegung von Klimarisiken drängt, sondern dann auch wirklich ihre Instrumente entsprechend ändert. Ein besonders wirkmächtiger Hebel grünerer Geldpolitik wäre es, wenn die EZB bestimmte Kriterien zu Klimarisiken einbezieht in ihrer Entscheidung, welche Vermögenswerte sie als Sicherheit, also als Garantie, dass Banken das von der EZB geliehene Geld auch wieder zurückzahlen, akzeptiert.

Immer wieder wird moniert, dass die Geldpolitik der EZB die ökonomische Ungleichheit in der Eurozone verstärke. Durch Anleihekäufe werde Geld aus dem privaten Sektor unter anderem in den Immobilienmarkt geleitet, wovon wiederum vor allem jene profitieren, die bereits Immobilien besitzen. Wie greift die European Citizens Bank ein solches Thema auf?

Eine Möglichkeit wäre, dass die EZB ihre Anleihekaufprogramme gezielter ausgestaltet, sodass sie zum Beispiel verstärkt Anleihen von Unternehmen kauft, die in Humankapital investieren und Beschäftigung und Löhne erhöhen. Hier würde man bei dem geldpolitischen Wirkungsmechanismus über die Finanzmärkte ansetzen. Ein radikalerer Vorschlag wäre das sogenannte Helikoptergeld, wo Geld direkt von der EZB an Bürger*innen weitergeleitet wird. Dies wäre für die EZB der präziseste Weg, die wirtschaftliche Nachfrage zu stimulieren, ohne dabei die Verzerrungseffekte durch den Umweg über Finanzmärkte und Banken in Kauf nehmen zu müssen.

Du hast das demokratische Defizit in der Geldpolitik angesprochen. Kann ein so anspruchsvolles und komplexes Politikfeld überhaupt unter Bürger*innenbeteiligung verhandelt werden? Oder ist echte Partizipation da eigentlich gar nicht möglich?

Es stimmt natürlich, wir haben uns nicht das einfachste Politikfeld für einen solchen Beteiligungsprozess ausgesucht. Andererseits reflektiert diese Schwierigkeit aber natürlich auch das Problem, das wir adressieren wollen: Die EZB und verbundene Akteure haben es nicht geschafft, Geldpolitik so zu kommunizieren, dass Menschen zumindest in der Debatte dazu teilhaben können. Gerade deswegen finden wir dieses Thema besonders wichtig.

Als Projekt wollen wir dazu beitragen, möglichst viele Menschen einzubeziehen, indem wir versuchen, die Inhalte auf unserer Plattform in einfacher Sprache darzustellen und nach den Anliegen der Bürger*innen aufzubauen. Außerdem bietet das Projekt interaktive Formate an, indem wir beispielsweise in den Webinaren darauf Wert gelegt haben, ausreichend Raum für Fragen zu schaffen und diese in die Debatte einzubeziehen. Letztendlich ist das unser Ansinnen. So versuchen wir, die Schwelle möglichst niedrig zu halten.

Die erarbeiteten Vorschläge sollen anschließend an Vertreter*innen der EZB übergeben werden. Wie versucht die European Citizens Bank sicherzustellen, dass diese auch Einfluss in die Strategieüberprüfung finden und bei den Zentralbanker*innen nicht einfach in irgendeiner Schublade verschwinden?

Der Vorwurf der Symbolpolitik, der auch in deiner Frage enthalten war, ist mir in der Vorbereitung der Veranstaltungen häufig begegnet. Und das Aufbringen dieser Frage finde ich total berechtigt. Zunächst würde ich aber gerne zwei Dinge voranstellen. Zum einen wurden wir häufig nicht als zivilgesellschaftliches Projekt wahrgenommen, sondern als EZB selbst – das ist ein Missverständnis. Als zivilgesellschaftliche Organisation haben wir gar kein Interesse an Symbolpolitik. Zum anderen hat dieses demokratische Projekt, welches in vielerlei Hinsicht ein Experiment ist, was klein anfängt und womit wir erstmal versuchen, Bürger*innen zur Partizipation zu ermuntern, einen Wert an sich, auch unabhängig von den am Ende erarbeiteten Empfehlungen.

Wie wir es schaffen können, Einfluss zu erlangen? Von Beginn des Projekts an hatten wir Kontakt mit Vertreter*innen der Zentralbanken – aus der EZB, aus der Bundesbank –, die, teils privat, teils öffentlich, ihre Unterstützung für das Projekt zum Ausdruck gebracht haben. Daher wurde bereits Interesse formuliert. Außerdem bin ich überzeugt, dass wenn Zentralbanker*innen mitbekommen, dass Bürger*innen sich zu diesem Politikbereich Gedanken gemacht haben und auf eine Wunde zeigen, das einen Stellenwert hat und für sich spricht. Auch in anderen Bereichen haben wir bereits gesehen, dass Zentralbanken durchaus sensibel für Druck von außen sind. Den Einfluss unseres Projekts auf die Arbeit der EZB würde ich also nicht unterschätzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Anmerkung der Redaktion: Zur Anmeldung für die Bürger*innenversammlung der European Citizens Bank am 25. und 26. Juni 2021 geht es hier.

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