Vatikan

Welt im Wandel, Werte im Wandel: Europa und der neue Papst Leo XIV.

, von  Stephan Raab

Welt im Wandel, Werte im Wandel: Europa und der neue Papst Leo XIV.
Bild erstellt mit ChatGPT

Am Nachmittag des 8. Mai 2025 war es soweit. Voller Spannung hatte die Welt darauf gewartet. Die Nachricht “Weißer Rauch aus der Sixtinischen Kapelle“ verbreitete sich rasend schnell. Zu dieser Zeit war ich selbst in Italien und erlebte, wie die Glocken des Doms von Trient zu läuten begannen. Kurze Zeit später trat der neue Papst Leo XIV. auf die Loggia. Allerdings ist eines nicht neu, denn wie sein Vorgänger Papst Franziskus I., aus Argentinien, stammt auch der US-Amerikaner Leo XIV. aus der „neuen Welt“. Die Wahl nicht-europäischer Päpste steht auch sinnbildlich für eine Welt im Wandel. In dieser Welt sucht Europa immer noch seinen Platz.

Vatikan, Heiliger Stuhl, Papst - groß und global im Kleinen

Zwar gilt der Vatikan als das kleinste Land der Welt, mit gerade einmal um die 900 Staatsbürger*innen. Seine Fläche ist mit knapp 0,5 km² nicht viel größer als ein normaler Golfplatz, doch bereits, wenn man die Grenze von Italien überschreitet, wird deutlich, dass hier eine besondere Macht herrscht und ein besonderer Geist der Geschichte weht. Um die Bedeutung der katholischen Kirche als global einzigartige Organisation mit über 1,4 Milliarden Katholik*innen weltweit und Vertretungen in jedem Winkel des Globus zu erfassen, ist zunächst eine Unterscheidung wichtig. Häufig werden die Begriffe Vatikan, Heiliger Stuhl und Papst synonym gebraucht, doch unterscheiden sich diese in Kompetenzen ziemlich deutlich.

Allen voran ist der Vatikan zu nennen, ein souveräner Staat, der 1929 mit den Lateranverträgen gegründet wurde. Nach dem Verlust des Kirchenstaates erhielt die Kirche ein eigenes Territorium mit Gesetzen, Armee, Post und Radiosender. Die Vatikanstadt ist eine absolute Wahlmonarchie, an deren Spitze der Papst als Staatsoberhaupt steht. Einzigartig ist seine völkerrechtliche Rolle: Er ist das einzige Subjekt des Völkerrechts, das untrennbar mit einer lebenden Person verbunden ist. Als solcher führt er die diplomatischen Beziehungen des Heiligen Stuhls, der juristischen Person des Papsttums, bestehend aus dem Papst und der Römischen Kurie. Nicht der Vatikan, sondern der Heilige Stuhl vertritt somit die katholische Kirche nach außen – bei ihm sind internationale Diplomaten akkreditiert.

Die EU und der Vatikan: Zwei Mächte im Dialog

Zwar ist der Vatikan weder Mitglied der Europäischen Union, noch der Europäischen Zollunion, doch verwendet der Vatikan bei Sammlern sehr begehrte eigene Euro-Münzen. Der Heilige Stuhl wiederum ist durch verschiedene bilaterale Abkommen der Mitgliedstaaten, etwa Konkordate zur Rolle des Religionsunterricht, aktiv in die europäische Politik eingebunden.

Papst Franziskus mit Parlamentspräsident Martin Schulz im Europaparlament in Straßburg

Hierbei trägt der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) der historischen Bedeutung der Kirche zur Entwicklung des Kontinents Rechnung, schließt aber auch andere Weltanschauungen mit ein, indem es in Artikel 17 heißt:

  1. Die Union achtet die verschiedenen religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Überzeugungen der Menschen in den Mitgliedstaaten.
  2. Die Union hält einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit diesen Kirchen und Gemeinschaften sowie mit Organisationen und Vereinigungen, die deren Überzeugungen vertreten.
  3. In Übereinstimmung mit den jeweiligen Verfassungen oder Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nimmt die Union deren religiöse und weltanschauliche Überzeugungen und die Rolle, die diese in Gesellschaft, Kultur und Bildung spielen, in angemessener Weise zur Kenntnis.

Über Jahrhunderte regierten vornehmlich italienische Päpste den Kirchenstaat und lenkten die Geschicke in den politischen Verstrickungen des Kontinents. Die Nachfolger auf dem Stuhle Petri waren selbst durch ihr eigenes Erleben des Zweiten Weltkrieges geprägt worden. Der spätere Papst Johannes Paul II. war zu dieser Zeit im polnischen Untergrund aktiv, während sein Nachfolger Papst Benedikt XVI. noch in den letzten Kriegstagen als Flakhelfer eingesetzt wurde. Diese Erfahrungen prägten ihren Blick auf Europa und den Kern ihres Pontifikats.

Spätestens seit der Wahl von Papst Franziskus I. sowie dem aktuellen Papst Leo XVI. findet ein Umbruch statt. Anders als ihre Vorgänger sind diese nicht durch die Erfahrungen der Weltkriege auf dem europäischen Kontinent geprägt worden.

Abschwung im Norden, Aufschwung im Süden: Globale Dynamiken der Kirche

Als an diesem historischen Abend des 13. März 2013 der frisch gewählte Papst Franziskus I. auf die Loggia trat, wandte er sich an die Gläubigen mit den Worten: „Es scheint, dass meine Kardinalsbrüder bis ans Ende der Welt gegangen sind, um einen Bischof für Rom zu finden… aber hier sind wir.“ Zum ersten Mal wurde ein Kardinal aus dem globalen Süden zum Papst.

Diese Wahl symbolisiert gleichermaßen die sich verändernden globalen Verhältnisse in einer Welt, die derzeit auf der Suche nach neuen Strukturen und Ordnungen ist. Während im globalen Norden, dem traditionell geprägten christlichen Europa, die Zahl der Gläubigen immer weiter abnimmt, so erleben die Kirchen im globalen Süden einen regen Zulauf. Nach Zahlen des Pew Research Center zu „The Future of World Religion“ hat sich allein in Afrika die Zahl der Christ*innen in den letzten 50 Jahren mehr als verdoppelt. Selbst in Regionen Asiens, inklusive Chinas, zeigt sich ein wachsendes Interesse am Glauben und den Aktivitäten der Kirchen.

Diese Entwicklungen spiegeln gleichermaßen die global-politischen Entwicklungen wider. Auf der einen Seite steht ein aufstrebender globaler Süden, welcher die zukünftige Entwicklung der Globalisierung mitbestimmen möchte. Auf der anderen Seite steht ein sinnsuchender Norden, der sich angesichts des schwindenden Einflusses seiner neuen Rolle bewusst werden muss. In seinem Pontifikat legte Papst Franziskus daher einen besonderen Schwerpunkt darauf, die katholische Kirche als eine globale Kirche zu verstehen. Seine Reisen bis zu den entlegensten Orten wie der Mongolei oder Papua-Neuguinea sind Ausdruck dieser Bemühungen. Unterstützt wurde dies durch den Prozess einer Weltsynode, welche den globalen Diskurs fördern sollte, um die Kirche offener, inklusiver und partizipativer zu machen. In Deutschland wurde mit dem Synodalen Weg ein Versuch in ähnliche Richtung zur Erneuerung unternommen.

Eine Friedensmacht zwischen den Weltmächten

Anders als die großen (Welt-)Mächte wie China, die USA oder auch die Europäische Union verfügt der Heilige Stuhl als Friedensmacht über einen besonderen Einfluss. Seit jeher ist dieser kleine Staat, ohne nennenswerte Größe, militärische oder wirtschaftliche Macht, für sein besonderes diplomatisches Geschick bekannt. Während der Kubakrise 1962 ermöglichte die Intervention von Papst Johannes Paul XXIII. die verfeindeten Blöcke der USA und der Sowjetunion zu Gesprächen zu bringen, um die Krise friedlich beizulegen. Die Vatikandiplomatie im kommunistischen Polen war geprägt von einer Balance zwischen Dialog und Widerstand. Der Papst fungierte als moralischer Kompass, Vermittler und Unterstützer der Freiheitsbewegungen. In den jüngsten Friedensbemühungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine wurde bereits der Vatikan als Ort für Friedensgespräche vorgeschlagen. Der Papst scheint noch immer eine bedeutende Handlungsmacht zu haben.

In ihrer Doktorarbeit „Religion in der digitalen Gesellschaft - Wenn der Papst twittert ...“ unterstreicht die Medienwissenschaftlerin Christina Behler: „Staatschefs, egal welcher Konfession oder aus welchem Land sie kommen immer freudig herbeieilen, wenn der Papst sie zu einer Audienz ruft oder bei Staatsbesuchen ihnen wichtig ist, mit ihm gesehen und auch fotografiert zu werden.“ Weiter führt sie aus, dass quasi vom Papst gefordert wird, dass er sich zu aktuellen weltpolitischen Ereignissen positioniert und in globale Diskurse einbringt.

Das Gästebuch des Europaparlaments in Straßburg beim Besuch von Papst Franziskus

Gerade hierin besteht ein hohes Potential für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl unter Papst Leo XIV. und der Europäischen Union. Letztere ist selbst als eine Lehre aus der Geschichte heraus als Friedensprojekt entstanden. Sowohl die Europäische Union als auch der Heilige Stuhl stehen für die Förderung und Wahrung der Menschenrechte. Angesichts einer Zeit, in der demokratische Werte zunehmend unter Druck geraten, kann eine Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen dafür sorgen, den Dialog zu ermöglichen. Ähnlich wie der Anspruch, gemeinsam verschieden zu sein, gelingt es der katholischen Kirche, Menschen aus unterschiedlichen Regionen, Sprachen und Kulturen zusammenzubringen, um gemeinsam den friedlichen Austausch zu suchen.

Insbesondere die Wahl des Namens Leo XIV. kann hier richtungsweisend sein, angesichts eines Zeitalters der technischen Umbrüche, in denen künstliche Intelligenz immer weitere Bereiche der Arbeit und des Alltags einnimmt. Gerade Leo XIII. hatte in seiner Sozialenzyklika Rerum Novarum („Über die neuen Dinge“) angesichts der Folgen der Industrialisierung für die Arbeiter*innen die soziale Frage gestellt. Hieran knüpft Papst Leo XIV. an, indem er die wachsende Bedeutung der künstlichen Intelligenz als soziale Frage dieses Jahrhunderts sieht. In Anbetracht dieser wachsenden Umwälzungen und des rasanten technischen Fortschritts fordert der neue Papst daher: „Die Kirche kann und muss bei der ethischen Gestaltung der KI-Revolution eine führende Rolle spielen.“

Als Antwort auf die sozialen Fragen entwickelte sich in Europa das Modell des Sozialstaates. Als Antwort auf die politischen Krisen entwickelte sich die europäische Integration als Motor für gemeinsame Werte und friedliche Zusammenarbeit. Im Gegensatz zum Amerikanischen Traum prägte der US-amerikanische Zukunftsforscher Jeremy Rifkin in seinem Buch The European Dream (2004) einen Europäischen Traum. Diese politische und gesellschaftliche Vision ist ausgerichtet auf Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und die Achtung der Menschenwürde. Europa wird als Modell für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft dargestellt. Trotz aller inneren Spannungen kann dieser Europäische Traum dazu beitragen, angesichts politischer Umwälzungen universelle Werte, Menschenrechte und Frieden zu fördern.

Von Rom in die Welt: Ein Ausblick

„Europa ist auf drei Hügeln erbaut: der Akropolis in Athen, dem Kapitol in Rom und dem Golgatha in Jerusalem“, lautet ein Zitat, das unter anderem Papst Benedikt XVI. zugeschrieben wird. Trotz ihrer weltweiten Verbreitung, teils auch in kritischen Kapiteln der Kolonialgeschichte, war es erst das Zweite Vatikanische Konzil in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das aus der katholischen Kirche eine Weltkirche machte.

Aus der Ewigen Stadt ging ein wichtiger Impuls aus, als sich hier 1958 die Gründungsmitglieder dessen, was später die Europäische Union werden sollte, trafen, um nun nicht mehr als Feinde, sondern als Partner und vielleicht sogar Freunde zusammenzuarbeiten. Allerdings braucht es auch hier neue Impulse, wie die aktuellen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten sowie der Ukraine-Konflikt zeigen. Aktuell zeichnet sich eine Neuordnung der Welt an. Wohin diese Entwicklung führen wird, wie diese Ordnung aussehen wird, ist noch nicht auszumachen. Jedoch versuchen verschiedene Akteure ihren Gestaltungsanspruch geltend zu machen und diese zukünftige neue Ordnung mitzugestalten. Angesichts dieser Umbrüche ist Europa dazu aufgerufen, selbstbewusster als Akteur zu agieren und seine Werte von Demokratie und Menschenrechten zu stärken. Hierzu ist es jedoch wichtig, dass Europa im Inneren zusammenwächst, um nach außen wirken zu können.

Ausblickend zeigen die aktuellen Entwicklungen der katholischen Kirche, dass sich die Welt in einem Wandel befindet. Alte Ordnungen werden in Frage gestellt und neue Antworten gesucht. Wie sein Vorgänger tritt Papst Leo XIV. mit dem Anspruch an, den globalen Dialog zu fördern. Ähnliche Ziele hat auch die Europäische Union, die sich angesichts schwindender globaler Bedeutung in einer Sinnsuche befindet. Die Welt befindet sich auf dem Weg in eine neue Zeit, die durch neue Technologien, den Klimawandel, durch neue Ordnungen, neue Fragen und die Suche nach Antworten auf diese Herausforderungen geprägt ist. Der Heilige Stuhl versteht sich hierbei als Friedensmacht und Europa als Friedensprojekt. Beide können und sollten einander auf dem Weg in die Zukunft begleiten und unterstützen.

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