Um mir ein genaueres Bild von der Lage zu machen, bin ich nach Warschau gefahren, um dort mit Journalist*innen zu sprechen. Doch kaum in der polnischen Hauptstadt angekommen, merke ich, dass das schwieriger sein wird als gedacht. Die meisten Journalist*innen der polnischen öffentlich-rechtlichen Medien wollen mit mir nur “off the record” sprechen. Sie äußern die Angst, dass sie durch kritische Kommentare ihren Job verlieren könnten. Das öffentlich-rechtliche Angebot wird immer mehr zum Staatssender, und Journalist*innen geraten unter Druck.
Pol*innen sorgen sich um die Pressefreiheit in ihrem Land
Wie in den anderen Visegrad-Staaten auch, herrscht in der polnischen Bevölkerung eine große Sorge um die Lage der Pressefreiheit. Laut Media Freedom Poll sehen 63% der Pol*innen diese in ihrem Land als gefährdet an. Bei Befürworter*innen der Opposition sind es sogar 90% der Befragten.
Im Zentrum der Debatte um die Pressefreiheit steht das Fernsehen. Die öffentlich-rechtlichen Sender TVP 1, TVP 2 und TVP sind im ganzen Land verfügbar, genauso wie die privaten Sender TVN und Polsat. Mit einem Zuschaueranteil von 21,7% ist “Facty” die beliebteste Nachrichtensendung im Land. Auf Platz zwei und drei kommen die Sendungen “Wiadomości” (TVN) und Wydarzenia (Polsat). Junge Menschen in Polen, wie der Präsident der JEF Polen, Aleksander Lis, berichten mir, dass sie diese Nachrichtensendungen allerdings kaum ertragen können. Die staatlichen Sender verbreiteten Lügen, Manipulation und Parteipropaganda und private Sender seien zögerlich, kritisch über die Regierung zu berichten.
TVN ist der wichtigste unabhängige Kanal, doch die rechtsnationale PiS-Regierung hat im vergangenen Jahr mehrfach versucht, Einfluss auf den Sender zu nehmen. Ende 2021 plante die Regierung die Einführung eines neuen Mediengesetzes, das es außereuropäischen Organisationen verbieten sollte, Anteile an polnischen Medien zu besitzen. Nach Ansicht von Kritiker*innen zielte das auf den Privatsender TVN ab, der aktuell Teil des US-Konzerns Discovery ist. Auf Druck der US-Regierung, der EU-Kommission und tausenden Bürger*innen auf den Straßen in Polen, legte Staatspräsident Duda schließlich ein Veto gegen das Gesetz ein, das zuvor vom Parlament verabschiedet wurde.
Thousands again are on the streets in Poland..and they're waving EU flags. Because that's the Europe we promised: a guarantee of freedom, democracy, rule of law - and you cannot have that without media freedom.#Poland: we hear you. We see you. You are not alone. 🇪🇺 🇵🇱#lexTVN pic.twitter.com/MClL4Prsx2
— Roberta Metsola (@RobertaMetsola) December 19, 2021
Repressionen gegen Journalist*innen
Doch die Einschränkung der Pressefreiheit geht noch weiter. Als im Herbst 2021 der belarussische Präsident Lukaschenko Geflüchtete gezielt in das eigene Land holt, um sie dann an die EU-Außengrenze zu Polen zu schicken, reagiert die polnische Regierung nicht nur gegen die Geflüchteten auf brutale Weise. Journalist*innen wurde die Arbeit in einem drei Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze verboten. Verstöße konnten laut Gesetz mit bis zu 30 Tagen Gefängnisstrafe oder 5.000 zloty (1.062 Euro) geahndet werden.
Ohnmächtig und mit über den Kopf gefesselten Händen mussten ein tschechischer Pressefotograf und zwei polnische Kolleg*innen eine Lawine von Beleidigungen über sich ergehen lassen, während ihre Kameras, Mobiltelefone und ihr Auto am 16. November von polnischen Soldaten durchsucht wurden, nachdem sie einen Militärstützpunkt fotografiert hatten, der sich in Grenznähe befand.
#Poland: After last week’s forcible arrests of 3 journalists & many other cases of reporters being obstructed near the border with #Belarus, @RSF_inter calls on the parliament to lift all restrictions on the media so that they can cover the migrant crisis.https://t.co/Z4VljI1IxH pic.twitter.com/4KnQu5GAFF
— RSF in English (@RSF_en) November 23, 2021
Systematischer Demokratieabbau
Doch die Strategie scheint aufzugehen: Im vergangenen Juli wurde Staatspräsident Andrzej Duda von der PiS-Partei im Amt bestätigt. Vorausgegangen war ein unfairer Wahlkampf mit seinem Herausforderer Rafał Trzaskowski von der oppositionellen “Bürgerplattform” (PO). Wahlbeobachter der OSZE kritisierten die öffentliche Berichterstattung von TVP als Wahlkampf-Vehikel für den Amtsinhaber. Über Trzaskowski wurde sehr wenig und meist negativ berichtet. Der Nationale Rundfunkrat KRRiT sei seiner Aufgabe der Kontrolle der Berichterstattung über den Wahlkampf nicht nachgekommen.
Die Pressefreiheit in Polen steht auf dem Spiel, doch die meisten Bürger*innen des Landes lassen sich nicht so einfach blenden. Die Zuschauerzahlen der staatlichen Nachrichten sind rückläufig, und auch neue Onlinemedien, wie das englischsprachige Grassroot-Netzwerk "Notes from Poland", wollen der Regierung kein freies Feld überlassen. Die Attacken auf freien Journalismus und der Missbrauch der Medien durch die Regierung tragen zum systematischen Demokratieabbau in Polen bei. Deutschland muss hier kritische Worte finden, und sich klar auf die Seite der unabhängigen Journalist*innen in Polen stellen.
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