Die ungarische Bevölkerung feiert ihren Sieg über Viktor Orbáns freiheitsfeindliches Gesetzesvorhaben. Nach den Plänen der ungarischen Regierung hätte jeder Internetnutzer im Land eine Abgabe von 150 Forint, umgerechnet 50 Cent, pro Gigabyte entrichten sollen. Offiziell hatte das Kabinett das Vorhaben damit begründet, die Staatskassen sanieren zu wollen. Offensichtlich zielte es aber in erster Linie darauf ab, den Einfluss des Internets einzudämmen – eines der letzten Räume für freie Meinungsäußerungen, die noch nicht der Kontrolle des ungarischen Staates unterliegen.
Zehn Jahre nach Ungarns EU-Beitritt ist Orbáns autoritärer Führungsstil inzwischen fest etabliert. Doch der ungarische Ministerpräsident hatte mit einem Akteur nicht gerechnet, der in seinem Land oft unterschätzt wird, nämlich dem Volk. Das französischsprachige Nachrichtenportal Hu-lala berichtete, dass am 26. Oktober etwa 10.000 Personen auf den Straßen von Budapest gegen die geplante Internetsteuer demonstrierten. So viel Widerstand gab es seit Orbáns Regierungsantritt 2010 noch nicht. Angesichts der massiven Proteste kündigte die Regierung eine Obergrenze von 700 Forint, etwa 2 Euro, pro Internetnutzer im Monat an. Schließlich wurde das Gesetzesvorhaben am 31. Oktober ganz zurückgezogen.
Kaum Reaktionen in Europa
Dass die Demonstranten ihr Ziel erreichten, ist erfreulich. Zugleich ist aber bedauerlich, dass weder die EU-Behörden noch die anderen Mitgliedstaaten auf die geplante Einschränkungen oder auf die Proteste reagierten. Immerhin ließ die damalige EU-Kommissarin für Digitale Agenda Neelie Kroes mehrfach auf Twitter ihre Unterstützung der Proteste gegen die „schändliche“ Abgabe verlauten. Eine Stellungnahme der Kommission in ihrer Funktion als Wächter der EU-Verträge blieb jedoch aus. Bei diesem Verstoß gegen das Recht auf Internetzugang hätte es sich zugleich um eine Verletzung der Meinungsfreiheit der ungarischen Bevölkerung handeln können. Mit anderen Worten wäre es zu einem Verstoß gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gekommen. Ähnlich schweigsam zeigten sich die Mitgliedstaaten und der neue Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk.
Indem er die Grundrechte berührt, schadet der ungarische Ministerpräsident jedoch den Fundamenten, auf denen Europa basiert. Umso bedauerlicher ist es, dass die europäischen Behörden in diesem Fall nicht agierten, während sie die im Jahr 2011 geplante Reform der ungarischen Verfassung weitaus schärfer kritisierten. Selbst der Europäische Gerichtshof befasste sich damals mit dem Thema, zeigte sich in seinen Urteilen allerdings eher zurückhaltend.
Wie weiter in Ungarn?
Ein Ähnliches Bild lieferten die Medien in den anderen europäischen Ländern, die sich – anders als 2011 – teilweise nur am Rande mit den Protesten beschäftigten. Für Ungarn bedeutet die gekippte Internetsteuer aber bei Weitem nicht das Ende des politischen Kurses der Regierung Orbán. Der Ministerpräsident kündigte für nächstes Jahr einen erneuten Versuch auf der Basis eines nationalen Konsultationsverfahrens an. Umstrittene Gesetzesvorhaben vorerst zurückziehen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt unbemerkt wieder einzuführen: Das ist für Viktor Orbán mittlerweile zur Routine geworden. Angesichts des überwältigenden Sieges, den seine Partei Fidesz bei den Kommunalwahlen im vergangenen Oktober erzielte, kann man davon ausgehen, dass in Budapest das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
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