„Wenn sie beschlossen hätten, ihn umzubringen, wäre er schon tot.“

, von  Die Redaktion von treffpunkteuropa.de

„Wenn sie beschlossen hätten, ihn umzubringen, wäre er schon tot.“
Kann er bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2018 antreten? Alexej Nawalny ist für junge Oppositionelle in Russland ein Hoffnungsträger. Immer wieder ist er politisch motivierten Gerichtsverfahren und Attacken ausgesetzt. author: MItya Aleshkovskiy / wiki / CC BY-SA 3.0

Alexej Nawalny ist das Gesicht der russischen Opposition. Die Enthüllungen seines Büros gegen Korruption bringen Tausende auf die Straße. Im Interview mit Stepan Goncharov wollen wir der aktuellen Protestbewegung in Russland auf den Grund gehen. Der junge Soziologe arbeitet für das Moskauer Meinungsforschungsinstitut Levada. Nawalnys Chancen den Machtapparat herauszufordern hält er für gering.

Montag vor einer Woche am 12. Juni kam es im ganzen Land zu Protesten am sogenannten „Tag Russlands“. Um was für einen Feiertag handelt es sich dabei?

Dieser staatliche Feiertag bezieht sich auf die Erklärung der Souveränität, die Russland, zu dieser Zeit noch die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) am 12. Juni 1990 unterzeichnete.

Alexej Nawalny wählte dieses Datum aus, um seine eigene Agenda voranzubringen, den Kampf gegen Korruption und seine Untersuchungen zu russischen Amtsträgern.

Nawalny rief die Leute zum Protest auf. In Moskau sollte die Demonstration zuerst in der Sacharowa stattfinden. Aber nur zwölf Stunden vor Beginn der Demonstration wurde der Versammlungsort auf die Twerskaja verschoben. Die Straße liegt direkt am Kreml, was für mehr Aufmerksamkeit sorgte.

Zur gleichen Zeit fanden dort historische Reenactments statt. (Reenactement bedeutet das Nachspielen historischer Szenen unter Einsatz von Komparsen, Kostümen und künstlichen Kulissen. Anmerkung: A. Molt)

Die offizielle Regierungszeitung gazeta.ru schrieb, dass die Menschen eher gekommen waren, um an den Reenactment-Shows teilzunehmen statt am Protest gegen Korruption.

Nun, hätte der Protest in der Sacharowa stattgefunden, hätte er sehr viel weniger Menschen angezogen. Das steht fest.

Glaubst du, die Leute sind zur Twerskaja gekommen um sich dem Protest anzuschließen oder um den Feiertag zu begehen?

Sowohl zum Protest als auch zu den Feierlichkeiten. Es waren viele, die zu den Protesten kamen, aber sie waren nicht die Mehrheit.

Abgesehen von Moskau gab es Proteste in über 140 Städten in Russland. Wie erklärst du das?

Es gab Aktionen in anderen Städten, aber sie waren weniger populär als in Moskau und Sankt Petersburg. Es waren jeweils nur ein paar Hundert Menschen in diesen Städten.

Was Nawalny erreicht hat, ist Leute im ganzen Land zu mobilisieren. Er hat ein sehr gutes Netzwerk seiner Büros und Unterstützer. Aber es ist nicht die Mehrheit, die ihn unterstützt.

Die größten Proteste fanden in Moskau, Sankt Petersburg und Jekaterinburg statt. In diesen Städten waren es mehrere Tausend, die teilnahmen.

Der letzte große Protest fand am 26. März 2017 statt, nachdem eine von Nawalnys Team angefertigte Dokumentation Fakten über den geheimen Besitz von Premierminister Medwedew enthüllte. Damals gab es Proteste in rund 100 Städten, inzwischen sind es über 140 Städte. Der Protest scheint zu wachsen.

Ja, es gibt Proteste in mehr Städten. Aber dies liegt nur an der besseren Organisation der Veranstaltungen. Und wenn formal ein Protest stattfindet, heißt dies nicht, dass der Protest besonders populär ist.

Lass uns genauer betrachten, welche Menschen sich den Protesten anschließen. Habt ihr bei Levada untersucht, wer die Protestierenden sind?

Wir haben bisher noch keine Studie dazu gemacht. Aber ich war selbst als Beobachter bei den Protesten in Moskau. Es waren hauptsächlich junge Menschen Mitte zwanzig. Viele von Ihnen waren Unterstützer Nawalnys. Er ist sehr gut darin, seine Message über das Internet zu verbreiten.

Das Levada-Institut hat die Bekanntheit Alexej Nawalnys gemessen. Über 55 Prozent der Befragten antworteten, dass sie Nawalny kennen, davon gaben zwölf Prozent an, dass sie sich vorstellen könnten ihn zu unterstützen, zwei Prozent sind sich sicher, dass sie ihn unterstützen wollen.

Es gibt Menschen, die die bisherigen Oppositionsparteien radikal ablehnen und deshalb unterstützen sie Nawalny. Gegen Nawalny wird momentan ermittelt. Es ist schwierig jemanden zu unterstützen, der als ein „outlaw“ gilt. Das ist der Grund, warum die Zahl seiner Unterstützer nicht so groß ist. Aber sie sind sehr aktiv und machen sehr bunte Aktionen.

Nawalnys Image im staatlichen Russischen Fernsehen ist sehr negativ. Und viele Oppositionspolitiker unterstützen ihn nicht oder unterstützen ihn nur in manchen Aspekten.

Nächstes Jahr im März finden in Russland die Präsidentschaftswahlen statt. Gibt es eine realistische Chance, dass Nawalny an den Wahlen teilnimmt?

Das ist schwer vorauszusagen. Ich glaube nicht, dass Nawalny selbst daran glaubt, dass ihm die Regierung gestatten wird bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten. Seine vorrangige Idee ist es, an Bekanntheit zu gewinnen, Menschen anzuziehen und seinen Kreis an Unterstützern auszubauen.

Ich denke er hat in der Zukunft gute Aussichten. Es kann ihm vielleicht gelingen, zum Bürgermeister in Moskau gewählt zu werden.

Du hast erwähnt, dass gegen Nawalny derzeit ermittelt wird. Es gab bereits ein Gerichtsverfahren gegen ihn, er wurde attackiert und verlor teilweise sein Augenlicht. Kommen mehr Repressionen auf ihn zu?

Es ist immer gefährlich ein Oppositionspolitiker in Russland zu sein. Aber ich glaube nicht, dass er massiv bedroht ist. Hätte die Regierung entschieden, dass er ins Gefängnis soll, hätten sie dies bereits getan. Hätten sie entschieden, ihn zu töten, wäre er bereits tot.

Im Moment versucht er seine Beziehung mit der Regierung ins Gleichgewicht zu bringen. Deswegen hat er sich auf den Premierminister konzentriert (Dmitri Medwedew, Anmerkung A. Molt). Dieser ist immer ein Ziel von Spott und Gelächter. Putin dagegen wird von Nawalny weniger kritisiert.

In der Zukunft wird er versuchen, seinen eigenen Weg in die politische Elite zu finden und seinen eigenen Platz im System der Macht.

Du hast also den Eindruck, dass Nawalny nicht wirklich das System herausfordert?

Es ist immer eine Herausforderung. Aber gleichzeitig glaube ich nicht, dass sich die Dinge von Grund auf ändern werden.

Das Interview für treffpunkteuropa.de führte Arthur Molt.

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