Die EU und die Staaten, die keine sind

Wieso Gebiete nicht als selbstständige Staaten anerkannt werden

, von  Paolo Di Fonzo, übersetzt von Lukas Baake

Alle Fassungen dieses Artikels: [Deutsch] [italiano]

Wieso Gebiete nicht als selbstständige Staaten anerkannt werden
Der Höhepunkt der Trump-Legislatur: Die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt. Foto: Pixabay/Walkerssk/Lizenz

Neben den vielen Problemen auf der internationalen Bühne, zu denen sich die EU in Zukunft eindeutig positionieren muss, ist ein besonders dringliches die Frage nach dem Umgang mit Territorien, deren Unabhängigkeit umstritten ist. Deshalb lohnt es sich, dem Umgang der EU mit solchen Fällen in der Vergangenheit zu betrachten, um die Stärken und Schwächen der bisherigen europäischen Politik zu erkennen.

„Europäische“ Gebiete

Das erste und vermutlich dringendste Anliegen innerhalb der EU selbst ist der Streit um Nordzypern. Der nördliche Teil der Insel ist de facto unabhängig und wird seit der türkischen Invasion 1974 von der selbsternannten Türkischen Republik Nordzypern verwaltet. Außer der Türkei erkennt kein Land der Welt die Legitmität der Republik Nordzypern an. Dennoch ist die Realität auf dem Territorium unbestreitbar: Der EURO ist nicht die offizielle Währung und die EU selbst musste offiziell eingestehen, dass das Gebiet außerhalb der Kontrolle von Zypern liegt. Eine Wiedervereinigung in naher Zukunft ist sehr unwahrscheinlich, insbesondere nach der Wahl von Ersin Tatar zum Präsidenten von Nordzypern im vergangenen Jahr, der an der Zwei-Staaten-Lösung festhält. Ungeachtet dessen, kann diese Lösung nicht von langer Dauer sein. Dafür gibt es zu viele Probleme und offene Fragen: Dies betrifft die Streitigkeiten um die Nutzungsrechte der natürlichen Rohstoffe der Insel, die Staatszugehörigkeit der Menschen, die in Nordzypern leben, und den freien Austausch von Waren. Eine Anerkennung der Türkischen Republik Nordzypern könnte wie ein großer Erfolg für die Türkei wirken, gleichzeitig könnte dies aber auch zum Beitritt der Republik zur Union führen, wodurch die gesamte zypriotische Insel wieder in die europäischen Gebiete zurückkehren und das Risiko einer Annexion durch die Türkei unter Erdogan vermieden wäre.

Ein anderer Fall innerhalb Europas, aber zugleich außerhalb der Grenzen der EU, ist Kosovo. Hier ist die Haltung der europäischen Institutionen ziemlich gefestigt, auch wenn sie durch die Politik der Mitgliedstaaten eingeschränkt wird. Tatsächlich haben nur fünf Länder innerhalb der EU (Griechenland, Slovakei, Zypern, Rumänien und Spanien) die Unabhängigkeitserklärung von Pristina im Jahr 2008 nicht anerkannt. Nichtsdestotrotz hat das Europäische Parlament mehrmals dazu aufgerufen, die Unabhängigkeit der Nation anzuerkennen. Diese mehr oder weniger eindeutigen Aufrufe stehen jedoch in offenem Widerspruch zu dem Beitrittsprozess von Serbien, wovon sich der Kosovo lösen möchte. Bis jetzt wurde die Frage, ob die Anerkennung der Unabhängigkeitserklärung von 2009 eine Bedingung für die Aufnahme Serbiens sei, stets verneint. Es bleibt noch ungeklärt, welche Position die einzelnen Mitgliedstaaten annehmen, die den Kosovo in den letzten Jahren als unabhängige Nation behandelt haben, wenn sie mit denen am selben Tisch sitzen, die den Unabhängigkeitsprozess blockieren.

Die Debatte um Palästina und Taiwan

Unter den Gebieten, deren unabhängig seit Jahrzehnten umstritten ist, ist Palästina sicherlich das bekannteste. In diesem Fall haben die Mitgliedsländer der EU verschiedene Positionen, die von der Anerkennung des Gebietes als unabhängiges Land über eine generelle Offenheit in Bezug auf die palästinensische Frage bis hinzu denen, die den Unabhängigkeitsbestrebungen kritisch gegenüberstehen, reicht. Die Position der Union und ihrer Institutionen blieb lange unklar. Erst 2014 wurde im europäischen Parlament eine Resolution verabschiedet, die die Existenz zweier Staaten als bevorzugte Lösung auswies. Darüber hinaus unterstützen die EU und ihre Mitgliedsstaaten die palästinensische Bevölkerung mit finanziellen Mitteln. Bisher haben die oft vagen Erklärungen der europäischen Staaten nicht nur die Beziehung zu Israel, sondern auch zu den USA belastet. Deshalb wird es interessant sein zu sehen, ob der neugewählte US-amerikanische Präsident Biden die von Trump initiierte Politik fortsetzen wird, deren Höhepunkt die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt war.

Ein anderer Fall, in dem die Position einer Supermacht vollständig die diplomatischen Beziehungen zu einer Region beeinflusst, ist Taiwan. Das Land, das sich auf der Insel befindet, die einst als Formosa bekannt war, wird faktisch nur von sehr wenigen Ländern weltweit anerkannt. Auch wenn die Politik des „einen Chinas“ fast einstimmig verfolgt wird, behandeln die europäischen Länder und die EU selbst Taiwan als unabhängiges Land, mit dem vor allem kommerzielle Abkommen beschlossen werden. Allgemein wird Taiwan in Europa als eigenständige Nation angesehen, man denke nur an die Produktaufschrift „Made in Taiwan“. Auch in diesem Fall scheint die US-Diplomatie in den letzten Jahren ihren Ansatz geändert zu haben: Angefangen bei der Obama-Regierung über die Intensivierung der Beziehungen zu den Behörden der Insel bis hin zum umfangreichen Verkauf von Rüstungsgütern. Derzeit scheint dies jedoch keine wesentlichen Auswirkungen auf die Position der Union oder ihrer Mitgliedsländer zu haben.

Zu guter Letzt: Die Krim

Zuletzt hat die Situation um die Krim als jüngstes Beispiel die augenscheinliche Schwäche der EU auf der internationalen Bühne gezeigt. Im Unterschied zu den vorherigen Fällen geht es hier nicht um die Unabhängigkeit eines Gebietes, sondern um den Übertritt der Insel von einem souveränen Land zu einem anderen. Dieser Übertritt, der mit verdächtigen und umstrittenen Methoden stattfand und gebilligt wurde, ist Realität geworden, obwohl die Union durch ihre Gremien und ihre Mitgliedstaaten wiederholt die Anerkennung ihrer Legitimität verweigert und Russland sanktioniert hat.

Wenn man rückblickend betrachtet, wie sich die EU gegenüber diesen Gebieten positioniert hat, kann man insgesamt eine Reihe von Schwächen in ihrer Außenpolitik feststellen: Unklare Positionierung innerhalb der Mitgliedsstaaten, die Unsicherheit im Umgang mit anderen Weltmächten und die Ineffizienz der gewählten Maßnahmen. Im Zuge der Integration und des Wachstums der Union ist eine entschlossenere und wirksamere Politik eine Notwendigkeit, um auch den unvermeidlichen Sezessionsversuchen der kommenden Jahrzehnte innerhalb der Mitgliedsstaaten zu begegnen.

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom