Denn nicht nur müssen bestehende Ziele , wie das neue KI-Gesetz oder der Beschluss des umstrittenen Asylpakets, finalisiert werden, noch dazu steht Anfang Juni auch die Wahl zum Europäischen Parlament an. Was bis Ende April nicht von Parlament und Rat verabschiedet wurde, kann erst im Herbst auf den Weg gebracht werden. Welche Prioritäten also hat die belgische Regierung? Wie will sie mit dem Zeitdruck umgehen und wie treibt man Vorhaben voran, während das Parlament sich auf den Wahlkampf vorbereitet?
Was genau macht die EU-Ratspräsidentschaft?
Zum 01.Januar 2024 hat Belgien von Spanien den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen. Das auch Ministerrat genannte Gremium ist eines der wichtigsten Organe der Europäischen Union, da es neben dem Europäischen Parlament der Gesetzgeber der EU ist. Eine weitere zentrale Aufgabe ist auch, die Politik der Mitgliedstaaten zu koordinieren.
Formal handelt es sich beim Rat der Europäischen Union zwar um ein einziges Organ, die Sitzungen finden aber getrennt nach Politikbereich statt. In den unterschiedlichen Runden der verschiedenen EU-Minister*innen werden die belgischen Kolleg*innen bis zum 31.Juni die Sitzungen leiten, koordinieren und eigene Themen einbringen. Das ist für ein Land immer eine gute Möglichkeit, eigene Interessen in die Arbeit des Rates einfließen zu lassen.
Fünf Ziele in sechs Monaten
Für diese Zeit hat sich die belgische Regierung unter Premierminister Alexander De Croo viel vorgenommen.
- Ein großes Vorhaben ist die Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Einheit. Hierfür sollen im Rahmen des Bürgerbeteiligungsprogramms “beEU” auch zufällig ausgewählte Belgier*innen angehört und befragt werden. Auch für die EU-Beitrittskandidatenländer will sich Belgien stark machen.
- Weiteres zentrales Element ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Damit Europas Wirtschaft global mithalten kann, setzt Belgien auf viele Förderungen und Investitionen, gerade für kleinere und mittlere Unternehmen, aber auch für die Forschung und die wirtschaftliche Zusammenarbeit innerhalb der EU.
- Klimaschutz ist ein weiteres großes Ziel Belgiens. Die Energiewende, hin zu erneuerbaren Energiequellen und Weg von Kohle und Gas, soll vorangebracht werden, alles im Einklang mit dem European Green Deal, dem Klimaschutzplan der EU.
- Große Pläne gibt es auch für die Sozial- und Gesundheitspolitik. Eine “Sozialagenda” soll sich neben der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern auch mit Themen wie Wohnungsnot oder zu geringem Lohn beschäftigen. Die Gesundheitsversorgung, gerade in Form von Arzneimitteln, soll besser geregelt werden.
- Unter dem Begriff “Schutz von Menschen und Grenzen” verbirgt sich die Unterstützung der EU-Asylreform. Mit ihr wurde 2023 festgelegt, welcher Mitgliedstaat wie viele Geflüchtete aufnehmen soll. Durch diese festen Regelungen werden jedoch insgesamt weniger Geflüchtete aufgenommen. Auch in der Verteidigung möchte die belgische Regierung mehr Zusammenarbeit voranbringen, etwa in Sachen militärischer Ausrüstung.
Der Zeitdruck für die Vorhaben ist enorm
Doch auch wenn der belgische Premierminister De Croo in seinem Video erklärt, das speziell für die eigene Website der belgischen Ratspräsidentschaft aufgenommen wurde, dass Belgien „sein Äußerstes“ für das Erreichen dieser „ehrgeizigen Agenda“ tun werde, fehlt im Programm ein entscheidendes Details: konkrete Zeitpläne. Denn anders als die regulären Ratspräsidentschaften hat Belgien kein halbes Jahr, um Entscheidungen voranzubringen. Im April beginnt der Wahlkampf für die Europawahl und ab dann können keine Entscheidungen mehr getroffen werden, für die die Zustimmung des Europäischen Parlaments benötigt wird. Ungefähr 150 Gesetze stehen noch aus, die in einer begrenzten Anzahl von Sitzungen beschlossen werden müssen.
Wie erfolgreich die belgische Ratspräsidentschaft wird, liegt maßgeblich an der Vorbereitung und der klaren Strukturierung der Sitzungen. Hierbei möchte Belgien seine Verantwortung wahrnehmen, die darin besteht, die insgesamt zehn Minister*innenrunden angemessen und pragmatisch zu leiten. Generell hängt der Erfolg der Arbeit vom gemeinsamen Willen aller Mitgliedstaaten ab.
Die Rolle der Europawahl
Genau das ist in der letzten Zeit aber immer schwieriger geworden. Immer mehr Regierungen setzen auf rechte Parolen und Populismus statt auf den gewünschten Dialog. Sie wollen stoisch ihre nationalen Interessen durchsetzen, von Schweden und Finnland im Norden über und Ungarn im Osten, bis hin zu Italien im Süden. Besonders deutlich wird dies in der Migrationsfrage, die in der EU gerade große Bedeutung einnimmt.
Die anstehende Europawahl sorgt dafür, dass gerade bei diesen wichtigen Themen Handlungsdruck besteht. Nur, wenn sich die europäischen Staaten schnell auf gemeinsame Entscheidungen einigen und den Wert der Demokratie hochhalten, können sie die Wähler*innen zufriedenstellen und einen großen Rechtsruck verhindern. Einen Rechtsruck, der sich somit dann auch auf das Europäische Parlament übertragen und seiner Arbeit langfristig schaden würde.
Also bringen sie´s voran!
Nur, wenn ein kühler Kopf bewahrt wird, kann die Präsidentschaft in diesen herausfordernden Zeiten wirklich ihre Ziele erreichen. Belgien ist danach bestrebt, indem es über die Wahlen hinaus denkt und die „Strategische Agenda 2024-2029“ mit auf den Weg bringen will. In ihr stecken wiederum die Ziele, auf die sich der Europäische Rat einigt, und nach denen er in einer Legislaturperiode arbeiten will. Die Unterstützung Belgiens soll so zu einem nahtlosen Übergang in die nächste Legislaturperiode des EU-Parlaments verhelfen.
Es gilt nach wie vor, einen gemeinsamen europäischen Konsens zu suchen und an einem Strang zu ziehen, wie im Logo der Präsidentschaft bereits sichtbar wird.. Denn dies ist ”eine Grundsatzerklärung, die Belgiens Engagement für ein geeintes, starkes und solidarisches Europa widerspiegelt, das in der Lage ist, die Herausforderungen von heute und morgen zu meistern.” , wie es auf der Website der Ratspräsidentschaft heißt.
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