Ein Blick in die Zukunft
Das Jahr 2050: Europa ist vergreist [1], die ländlichen Regionen in Deutschlands Osten im Besonderen [2]. Der Spielplatz ist verlassen, kein Kind wippt auf der Schaukel, keine Eltern sitzen auf der Bank. Die Schule nebenan ist ein gespenstischer Ort, die Fenster sind zugenagelt und der Pausenhof verwaist. Schüler gibt es schon lange keine mehr.
Dafür umso mehr Rentner, die vormittags zum Supermarkt schleichen. Dort schieben sie sich langsam durch die Gänge, wackelig auf den Beinen. Es geht ihnen nicht gut, aber immerhin haben sie etwas Geld im Portemonnaie. Anders als die dunkelhäutige Kassiererin, die für einen Hungerlohn die Ware über den Scanner zieht. Sie verabscheut die Alten, die auf ihre Kosten leben, die sich nie für bessere Bildungschancen für ihre Migrantenfamilie eingesetzt haben.
Nun, da die Alten die demokratische Macht [3] und ihren relativen Reichtum verwalten, haben junge Menschen nicht mehr viel zu lachen - und schlecht Gebildete erst recht nicht [4]. Das weiß auch der Filialleiter, der trotz Ausbildung und 50 Stundenwoche mehr schlecht als recht durchs Leben kommt: die Sozialabgaben fressen den Großteil seines Gehalts auf und außerhalb der Arbeit läuft es auch nicht gut, denn eine neue Freundin hat er immer noch nicht gefunden. Frauen sind rar in Mecklenburg-Vorpommern [5]. Vielleicht hätte er es machen sollen wie so viele nach dem Abi, einfach abhauen in den Westen oder Süden [6]. Dort wo es mehr Geld und mehr Frauen gibt und Deutschlands wirtschaftlicher und politischer Machtverlust noch [7] nicht so spürbar ist, wie hier. „Warum“, fragt er sich oft, „haben die Menschen damals nicht an uns gedacht?“
Handeln, jetzt!
Die oben genannte Schilderung ist eine Zuspitzung, aber wenn wir nicht handeln, könnte sie Realität werden (Die Zahlen zu den Aussagen wurden als Fußnoten angefügt). Die Demographie bietet zwar keine hundertprozentige Vorhersage der Zukunft, ist aber relativ genau, was die Bevölkerungsentwicklung in den kommenden 40 Jahren angeht. Denn die Faktoren dafür - Geburtenrate, Sterblichkeit und Migration - kennen die Wissenschaftler bereits. Jedem Mädchen, das heute geboren wird, können sie vorhersagen, wie viele Kinder sie statistisch eines Tages gebären wird. An den Zahlen besteht kein Zweifel - und was die Wissenschaft weiß, muss der Politik auch bekannt sein. „Warum handeln die Politiker dann nicht dementsprechend?“, fragt man sich als junger Mensch. Eine naheliegende Erklärung ist, dass die Probleme der alternden Bevölkerung nicht innerhalb einer Legislaturperiode sichtbar werden und notwendige, einschneidende Sozialreformen die Chancen auf Wiederwahl gen Null sinken lassen.
Es muss also Druck aufgebaut werden - von uns allen. Von den Jüngeren sowieso, aber auch die Älteren haben sicherlich kein Interesse daran, später kalt gestellt zu werden, wie etwa in der ZDF Doku-Fiktion 2030: Aufstand der Alten (2007). Falls die Gefahr endlich erkannt ist, wird die Praxis des demokratischen Diskurses von Politik, Wirtschaft und Bürgern die Reformen bestimmen.
Strategievorschläge
Der demographische Wandel lässt sich nicht mehr aufhalten, das steht fest. Zu wenig Kinder wurden in den letzten Jahrzehnten geboren und zu wenige Migranten sind eingewandert. Die Konsequenz ist, dass es nur darum gehen kann, den Wandel an sich und seine negativen Folgen, so gut es geht, zu mildern. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Verhältnis der arbeitsfähigen Bevölkerung zu der nicht arbeitsfähigen. Denn all jene, die arbeiten, zahlen in die Sozialsysteme ein und finanzieren damit den nicht-arbeitenden Teil. Erstere Gruppe besteht aus den über 15- bis 64-Jährigen [8], letztere aus Senioren. Oberstes Ziel ist somit, die mittlere Altersgruppe, erstens so groß (1) und zweitens so beschäftigt (2) wie möglich zu halten. Dass sich beide Faktoren ergänzen, zeige ich anschließend (3).
1. Länger arbeiten und mehr Kinder
Die offensichtlichste Maßnahme ist eine längere Arbeitszeit. Erhöht man das Renteneintrittsalter um zwei Jahre, verringert sich die Belastung der Kassen um vier (2 Jahre mehr Einzahlung + 2 Jahre weniger Auszahlung). Natürlich ist eine längere Arbeitszeit nicht in jedem Beruf möglich, aber doch in den meisten, dem medizinischen Fortschritt sei dank. Außerdem brauchen wir mehr Nachwuchs. Um dies zu erreichen, müssen die Bedingungen zum Kinderkriegen weitgehend verbessert werden, quantitativ und qualitativ. Sprich: Mehr Kindergartenplätze, mehr Ganztagsschulen und mehr steuerliche Entlastungen. Der Nebeneffekt ist eine größere Geschlechtergerechtigkeit, da es den Müttern erleichtert wird, Kinder und Karriere zu vereinbaren.
2. Reserven aktivieren
Wo wenig Wirtschaftsleistung, da wenig Beschäftigung, das ist klar. Man kann Betriebe ja nicht zu Einstellungen zwingen. Allerdings sinkt die Bevölkerung in Deutschland, von momentan 82 auf 75 Millionen Einwohner bis 2050.
Es gibt also immer weniger potentielle Beschäftigte und Auszubildende. Auf Letzteres weisen bereits heute die Meldungen des Handwerks und der Industrie hin, die wahrscheinlich dieses Jahr 10.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen können. Jene, die arbeitsfähig, aber nicht im Arbeitsmarkt eingebunden sind (arbeitslos oder nicht nach Arbeit suchend), müssen also aktiviert werden. Die Europäische Union verfügt über zwei große Reserven an Arbeitskräften: Immigranten und Frauen. Von den letzteren sind 43 % überhaupt nicht aktiv und von den ersteren sind gut 14 % arbeitslos [9]. Warum ist das so? Vereinfacht gesagt und dennoch wahr ist, dass viele der Einwanderer aus dem EU-Ausland miserabel gebildet sind; doch ohne Bildung keine Arbeit und ohne Arbeit keine Integration. Dass dies eine Folge jahrzehntelanger fehlender Integrationspolitik der meisten EU-Staaten ist muss jedem klar sein. Die Schuld liegt also eigentlich bei uns, den EU-Inländern. Im Jahr 2010 hat sich die Lage allerdings soweit zugespitzt, dass drastische Maßnahmen unumgänglich sind: Integration muss erfolgen, um jeden Preis. Dazu müssen Migranten ausgiebig und hochwertig gefördert werden, in Sprache und Beruf. Denjenigen unter ihnen, die solche Maßnahmen ablehnen, sollte die Ausweisung drohen [10].
3. Synergieen nutzen
Beide Ansätze lassen sich gut kombinieren. Der Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung hilft nicht nur den potentiellen Müttern Beruf und Familie zu vereinbaren, sondern ermöglicht es den Kindern bildungsferner Eltern, der Misere ihrer Familie zu entkommen. Sprache, Wissen, Fleiß und Umgangsformen können so trotz schlechter Voraussetzungen gelernt werden.
4. Reformen!
Allerdings wird es nicht reichen, die Bildungsausgaben zu vervielfachen. Auch Reformen müssen durchgeführt werden: Mehr private Altersvorsorge und keine Rentenerhöhungen ab eines bestimmten Auszahlungsbetrages. Damit würden Senioren mit mittleren und hohen Renten wegen der Inflation verlieren, doch dieses Geld wird für Rücklagen für das Jahr 2025 gebraucht. Denn ab dann werden innerhalb kürzester Zeit Hunderttausende zu Pensionären [11]. Zusätzlich sollte eine Basisversicherung im Gesundheitswesen eingeführt werden. Jeder Bürger zahlt einen, ans Einkommen angepassten, Basisbetrag, der die Grundversorgung sicherstellt. Wer eine bessere Versorgung haben will, muss private Zusatzversicherungen abschließen. Die Zweiklassenmedizin würde damit zwar nicht abgeschafft werden, aber immerhin wird sichergestellt, dass alle, ob Geringverdiener oder Topmanager, solidarisch in eine Kasse einzahlen. Die Folge ist eine stabile Grundsicherung aller.
All diese Maßnahmen kann der Staat leisten und er muss sie leisten, wenn er ab 2025 keine Spaltung der Gesellschaft riskieren will: in Arm und Reich, Ungebildet und Gebildet, Jung und Alt.
Meine Vorschläge in Kurzform
- Informationskampagne starten um über Gefahren aufzuklären.
- Investitionen in Bildung maximieren, notfalls mit Staatskrediten. Denn jeder ausgegebene Euro fließt später vervielfacht in die Staatskasse zurück [12]
- Schulreformen nach skandinavischen Vorbild. Einführung von Ganztagsschulen.
- Integration durch staatliche Programme fördern. Falls jene von guter Qualität sind, muss der Druck auf Migranten erhöht werden. Bei Verweigerung sollte Ausweisung oder eine drastische Kürzung der Beiträge drohen [13]
- Die jüngeren Generationen darauf einstellen, dass sie ihre Altersvorsorge privat sichern müssen.
- Abschaffung des heutigen Gesetzlich-Privat-Kassenmodels im Gesundheitswesen. Ersetzen mit einer Basisversicherung für jeden plus private Zusatzmodule.
Dass wir auf den demografischen Wandel reagieren müssen, ist offensichtlich. Das „wie“ dagegen ist weit weniger klar. Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre Gedanken in einem Kommentar mitteilen / Du mir sagst, ob Du es ähnlich drastisch siehst.
1. Am 19. Mai 2010 um 13:25, von johhny_walker Als Antwort Europa 2050: Vorausgesagte Katastrophe
Sehr geehrter Herr Venus,
die Katastrophe ist heute bereits Realität!
Angesichts der Tatsache dass in deutschen Kommunen seit Jahren Schulen geschlossen werden, um die Kosten zu reduzieren muss man nicht erst 40 Jahre weiterdenken.
Offenkundig ist Ihnen dies bei Ihren Studien in Masstricht, fernab der politischen Realität und Heimat, aus dem Blickfald geraten.
Leider werden Personen wie Sie zukünftig unser aller Leben von Brüssel aus „fernsteuern“.
Dazu bleibt nur zu sagen: Mitnichten! Ich wage die kühne Prognose dass sich Europa 2013 erledigt haben wird, für alle Zeiten!
Grüsse, Johhny_Walker
2. Am 16. August 2010 um 17:35, von ? Als Antwort Vorausgesagte Katastrophe nur wenn die Welt einfrieren sollte
Im Jahre 2050 wird man solche Prognosen als Anekdoten erzählen, ähnlich wie heute die Zukunftsprogrnosen der Vergangenheit.
Es wird vollkommen der technische Fortschritt in der Medizin ignoriert. Lesen Sie mal die derzeitigen Ergebnisse der Stammzellforschung. Mit entsprechend ausgereifter Technologie wird man die meisten Altersgebrechen heilen können. (Schlechte Augen, Schwerhörigkeit, Herz, Kreislauferkrankungen usw.). Dann spielt es auch nicht mehr eine so grosse Rolle ob man 40, 60, 80 oder 90 ist.
Die reinen Statistiker vergessen leider immer wieder, dass mit der erhöhten Lebenserwartung auch die gesunde Zeit verlängert wird.
3. Am 11. Dezember 2010 um 20:28, von Peter Laffin Als Antwort Europa 2050: Vorausgesagte Katastrophe
Hi Vincent,
eine gute Zusammenstellung von verschiedenen Aspekten der Zukunftsforschung!
Natürlich wird man einzelne Details diskutieren und ihre Prognostizierbarkeit bezweifeln können, dennoch gibt Dein Text ein Bild dessen, was uns in 40 Jahren in etwa erwarten wird. Daran sollten wir auch unsere politischen Visionen ausrichten.
4. Am 13. Dezember 2010 um 14:12, von Vincent Venus Als Antwort Europa 2050: Vorausgesagte Katastrophe
Danke Peter,
klar kann man die Zukunft nicht genau voraussagen. Dass da riesige Probleme auf uns zukommen, ist allerdings ne Tatsache (die von vielen einfach ignoriert wird).
5. Am 3. Februar 2011 um 09:24, von Ralf Als Antwort Europa 2050: Vorausgesagte Katastrophe
In Singapur besucht der Staat seit langem die einzelnen Bürger auch zuhause. Singapur fördert Familienbildung von Eliten. Ein interessantes Resultat dieser Vorgehensweise ist, daß trotz Förderung die Zahl der Kinder aus eben diesem Bevölkerungskreis immer weiter zurückgeht. Es kostet Zeit und Energie, Mitglied dieses Teils zu werden. Die Welt dieser Gruppe ist so abstrakt geworden, daß für profanes Windeln und Laufenlernen doch überhaupt kein Platz im Denken ist. Die Bevormundungsstrategie bewirkt genau das Gegenteil: man strebt nach Ausweitung persönlicher Freiheit.
Der Staat in Europa zieht sich zwar aus immer mehr Bereichen zurück, aufgrund der Bevölkerungsdichte weitet er aber den regulatorischen Apparat immer weiter aus. Und es kommt zu ständigen Gesetzesänderungen, die den Bürger völlig überfordern. Der juristische Stand überblickt ja selbst nicht mehr die Zusammenhänge - dieselben Worte haben in unterschiedlichen Rechtsbereichen eine unterschiedliche Bedeutung, Spezialisierungen greifen um sich, so daß ein Anwalt keine Ahnung mehr in anderen Rechtsbereichen hat und auf einen anderen verweist - , unterläßt es aber aufgrund eigener Interessen eine grundsätzliche Änderung herbeizuführen.
Kindeswohl ist ja schön und gut, aber was nützt dies, wenn die Eltern mit einem Bein im Gefängnis stehen? Es gibt ein einfaches Rezept dafür: die Freigabe von Adoptionen. Im Einzelfall mag dies zwar ein schweres Schicksal bedeuten, das Kind könnte aber gegebenenfalls bei neuen Eltern sein Glück versuchen. Und die Gesellschaft kann besser bestehen.
Die Eltern werden derart mit Verantwortung überfrachtet, daß das Kindkriegen völlig in den Hintergrund tritt. In Gegensatz zu früher ist es eben nicht mehr so, daß jeder seines Glückes Schmied ist. Die Grundstrukturen von Kultur werden im Kindesalter gelegt. Wenn jedoch die eigene ökonomische Situation völlig ungewiss ist, wie soll man dann Verantwortung für ein Kind übernehmen, wohlwissend das Wohl des Kindes angesichts gesteigerter kultureller Forderungen nicht erfüllen zu können.
Will der Staat bestehen, kann er Nachwuchs vor allem durch GEZIELTE Verantwortungsentlastung der Eltern erreichen. Die dankbaren und beeindruckbaren Augen eines Kindes tun ihr Übriges.
6. Am 11. März 2011 um 13:44, von Thomas Als Antwort Europa 2050: Vorausgesagte Katastrophe
Wann genau hat man eigentlich das Überbevölkerungsproblem der Welt so fantastisch ausgeblendet? Seitdem die Zeitungen den politischen Diskurs vom „überalterten Deutschland“ propagieren, vergessen wir, dass die eigentliche Lösung vieler Probleme auf der Welt (Nahrungsmangel, steigende Preise für Nahrung, Rohstoffmangel, Klimaveränderung, CO2 Ausstoß, im Müll ersticken, hoher Ölpreis, explodierende vollkommen anonymisierte entsolidarisierte Megastädte, Staus, Kriege um Rohstoffe, Weideflächen und „Lebensraum“) eigentlich in einer Reduzierung der Bevölkerungszahlen liegt^^. Ich erinner mich noch an Zeitungsartikel, die die Einkindpolitik Chinas als ökonomisch unglaublich wertvoll für langfristige Nachhaltigkeit, SChonung der Resourcen, Naturschutz etc bezeichneten. Es tut mir ja leid, aber nicht jede Cindy aus Marzahn UND nicht jeder Guttenberg aus Guttenberg muss seine Gene weitergeben, und selbst wenn, reicht auch schon ein Kind. Die UNO warnt vor Überbevölkerung im Jahr 2050 und gleichzeitig führt man in Europa wieder Karnickelorden ein. Dabei würde Zuwanderung aus den kargen Wüsten Afrikas oder den Slums in Mumbai eigentlich auch reichen. Aber das will ja keiner, weil im Grunde sind wir alle kleine Rassisten und die Kinder müssen unsere eigenen sein und eine Kevin-Prädisposition haben und keine Mehmethautfarbe. Schönen Gruß ans Hypokritariat.
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