Wasser ist ein Menschenrecht
Ohne Frage ist der Streitpunkt hochsensibel. Sauberes und bezahlbares Trinkwasser gehört zu den fundamentalen Lebensnotwendigkeiten. Wasser ist nicht irgendein Gut, sondern die Essenz unseres Erdendaseins. In ihrer Resolution 64/292 aus dem Jahr 2010 erhob die UN Vollversammlung einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung sogar zum Menschenrecht, das unverzichtbar für den vollen Genuss des Lebens und aller Menschenrechte ist [1].
Aber auch die EU hält in ihrer Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 fest, dass „(...) Wasser (...) keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut [ist], das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss“ [2]. Weiter ging 2012 das Europäische Parlament, welches sich in einem Entschluss dafür aussprach, den Zugang zu Wasser zu einem Grundrecht zu erheben [3]. Diese Beispiele unterstreichen eindrücklich, welcher Rang dem Gegenstand der Debatte zukommt.
Privatisierung durch die Hintertür?
In ihrer Richtlinie über Bau- und Dienstleistungskonzessionen drängt die Kommission nun auf eine Marktöffnung im Bereich Wasserversorgung. So sieht die Richtlinie vor, dass Aufträge mit einem Volumen von mehr als 5 Millionen Euro EU-weit ausgeschrieben werden müssen. Nach den Worten des Kommissars für Binnenmarkt und Dienstleistungen, Michel Barnier, soll dadurch die Transparenz bei der Auftragsvergabe der Kommunen gestärkt werden. Wenn Aufträge an private Unternehmen vergeben werden, müsse dies auf transparente und wettbewerbsgestützte Weise geschehen. Für Barnier steht fest, Preis als einziges Kriterium der Auftragsvergabe, beeinträchtige die Qualität der Wasserversorgung nicht.
Das sehen die Kommunen anders. Sie argumentieren, mit der Privatisierung könnten steigende Preise und eine sinkende Qualität der Trinkwasserversorgung einhergehen. Jüngere empirische Studien legen nahe, dass die Privatisierung der Wasserversorgung im Durchschnitt keine Effizienz- oder Kostenvorteile mit sich bringt. Dies wird etwa auf den hohen Investitionsbedarf in die Leitungsinfrastruktur zurückgeführt [4], [5]. Ganz im Gegenteil lässt das Beispiel England vermuten, dass die Orientierung der Konzerne an der Gewinnmaximierung das Ziel einer effizienteren und günstigeren Wasserversorgung durch Privatisierung torpediert [6].
Eben jene multinationale Konzerne, die kommunalen Versorgern mit Dumpingpreisen durch Marktmacht das Leben schwer machen könnten, fürchten die Kommunen. Denn: Städte und Gemeinden rechnen damit, dass die Richtlinie erst der erste Schritt auf dem Weg zu einer flächendeckenden Privatisierung der Wasserversorgung ist. Für diese Sorge spricht etwa, dass die Troika in Griechenland und Portugal die Privatisierung öffentlicher Wasserversorger fordert. Auf eine schriftliche Anfrage von NGOs vom 15. Mai 2012 bezüglich Privatisierungsabsichten der Kommission im Bereich Wasserversorgung, antwortete die Kommission, dass eine umsichtige Privatisierung der Wasserversorgung Vorteile für die Gesellschaft bringen könne.
Im Kern dieser Debatte dreht es sich also auch um eins: Kompetenz – und die Frage, wer die Wasserversorgung zu regulieren hat. Städte und Gemeinden sehen die Kommission in ihren Zuständigkeitsbereich eindringen und machen eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips geltend. Dieses schließt ein Tätigwerden der Union dann aus, wenn eine untergeordnete politische Einheit eine Angelegenheit wirksam regeln kann. Bei der Wasserversorgung ist das wohl der Fall.
Europäisches Parlament zeigt sich irritiert
Nicht nur die Kommunen, auch das Europäische Parlament (EP) zeigt sich vom Verhalten der Kommission irritiert. So wandte sich das EP in einer schriftlichen Anfrage an die Kommission [7]. Darin stellte das EP fest, dass eine Privatisierungsabsicht der Neutralitätsverpflichtung der Kommission, in Sachen öffentlicher oder privater Wasserversorgung, zuwider laufe. Auch zieht das EP in Erwägung, dass es sich um einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip handeln könnte und stärkt den Kommunen damit indirekt den Rücken.
Schallende Klatsche für die Zivilgesellschaft
Schwer wiegt auch, dass die Haltung der Kommission den Zielen der Europäischen Bürgerinitiative „right2water“ zuwiderläuft. Diese fordert nämlich den freien Zugang zu Trinkwasser, was deren Ansicht nach nur durch die öffentliche Hand sichergestellt werden könne. Die europäische Bürgerinitiative ist ein Mittel direkter Demokratie, bei dem sich eine Million EU-Bürger aus mindestens 7 Mitgliedstaaten mit einem Anliegen an die EU-Kommission wenden können. Diese entscheidet dann, ob und wie sie tätig wird. Gerade da es ein wesentliches Ziel der Bürgerinitiative ist, dem oft zitierten Demokratiedefizit der EU durch die direkte Einbeziehung der Bürger entgegenzuwirken, ist das Verhalten der Kommission kurzsichtig.
Mit ihren Vorstößen erweckt die Kommission den traurigen Eindruck, einen möglichen Erfolg der Bürgerinitiative, durch das Schaffen politischer Tatsachen, bereits im Voraus untergraben zu wollen oder deren Begehren doch äußerst gering zu achten. Dies wird durch die Tatsache noch verschärft, dass sich die Kommission bei ihrem Vorstoß offenbar hauptsächlich von Vertretern der Wasserwirtschaft und artverwandter Industrien beraten lies [8]. Das ist eine schallende Ohrfeige in das Gesicht des engagierten Bürgers, dessen beträchtlicher Aufwand im Zuge der Europäischen Bürgerinitiative dadurch ins Leere zu laufen droht.
Die Frage ist: sollte die Kommission einer laufenden Bürgerinitiative, die nüchtern betrachtet noch Aussicht auf Erfolg hat, zuwider handeln? Auch wenn sie das darf: klug ist es nicht. Insbesondere dann nicht, wenn sie durch ihr Tätigwerden in Verdacht gerät, gegen die sensible Kompetenzverteilung im politischen Gefüge der EU zu verstoßen und – willentlich oder nicht - der Vollstrecker kommerzieller Interessen zu sein.
Ob die Kommission die Privatisierung der Wasserversorgung EU-weit anstrebt, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit völliger Sicherheit sagen. Wahrscheinlich ist jedoch ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip. Davon abgesehen steht fest: an Fingerspitzengefühl hat es die Kommission allemal missen lassen. Zu mehr demokratischer Legitimität dürfte ihr Verhalten wohl kaum führen.
1. Am 19. Dezember 2012 um 11:08, von Niklas Als Antwort Kommission will Wasserversorgung dem Wettbewerb öffnen
Ich stimme im Grundsatz mit dem kritischen Ton gegenüber der Kommission überein. Ich beschäftige mich gerade in meiner MA-Arbeit über die Daseinsvorsorge im EU-Beihilfenrecht und den Vorgaben, welche die Kommission an dieser Stelle macht, um Quersubventionierungen zu verhindern. Auch hier gibt es eine Tendenz zum Vergaberecht, um hier im Vorfeld einen Wettbewerb zu ermöglichen. Mit der Auftragsvergabe würde ich aber in Frage stellen, ob wirklich nur der Preis ausschlaggebend ist. Qualität lässt sich in jedem Falle vorschreiben. Genausogut ist fraglich, ob man der Tatsache, dass man die Wasserversorgung an eine Kommunale GmbH ausgibt, nicht auch eine Vermutung hinsichtlich einer höheren Zuverlässigkeit rechtfertigt. Abgesehen von kompletten Inhouse-Vergaben, die auch weiterhin frei vom Vergaberecht bleiben dürften, müsste man also hier nochmal im Detail prüfen. Davon abgesehen ist natürlich die Frage der Kompetenz: Ich würde mal die Frage aufwerfen, warum die Kommune eigentlich nicht frei sein darf, selber zu entscheiden, ob sie die Wasserversorgung nun ausschreibt oder nicht. Zumal wir mit dem Fiskalpakt ja eigentlich bereits auf EU-Ebene ein Regelwerk geschafft haben, was die öffentlichen Finanzen schützen sollen. Und der Wettbewerb? Unabhängig der Schutznorm des Art. 106 AEUV, die ohnehin hier die Daseinsvorsorge schützen will, ist der Binnenmarktverweis m.E. immer all zu schnell an der Hand. Leider steht auf Drängen Frankreichs mit dem Art. 14 AEUV eine Zuständigkeitsnorm im Vertrag, auf die sich vermutlich die Kommission beruft. Es wäre daher letztendlich wohl notwendig den politischen Druck über die Parlamente zu suchen. Neben einer möglichen Subisdiaritätsklage der Nationalen Parlamente, muss das EP sich hier klar dagegen stellen.
2. Am 22. Dezember 2012 um 19:12, von Manuel Als Antwort Kommission will Wasserversorgung dem Wettbewerb öffnen
Ich kann mich meinem Vorredner nur anschließen, würde aber von allgemeiner Panik oder Aufregung Abstand nehmen. In der Praxis sieht es oftmals so aus, dass Kommunen einen sehr großen Spielraum bei der Ausschreibungsgestaltung haben. So wird eine 10 km lange Straße eben in 5 einzelnen Projektabschnitten a 2 km vergeben, um mit dem jeweiligen Auftragsvolumen die Grenzen nicht zu überschreiten, die eine EU-weite Ausschreibung vorsehen. Natürlich ist das im Prinzip ein unnötiger Kniff, aber es schützt mindestens kurzfristig vor dem befürchteten Preisanstieg.
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