Mittelmeerunion: Wunschgebilde oder tragfähige Perspektive?

Teil I: Sicherheit, Handel, Energie – viele Interessen und kein Dialog

, von  Christoph Sebald

Mittelmeerunion: Wunschgebilde oder tragfähige Perspektive?
Welche Entwicklungsperspektiven bietet der Mittelmeerraum wirklich? Foto: Eric Gaba - Wikimedia

Der Weg aus dem europäischen Krisendickicht führt über das Mittelmeer, so Claus Leggewie. Nun sollen es also die kranken Männer an der „Wiege Europas“ richten? Die Mittelmeerunion ist gescheitert und so mancher sieht das Euromediterrane-Konzept auf dem Müllhaufen der Geschichte dahin faulen. Doch die Idee ist ein Wiedergänger – die Frage ist: zu Recht?

EUROMED – Im Anfang war das Interesse

Seit Beginn der 90er Jahre suchte die EU den Kontakt mit den Anrainerstaaten des Mittelmeers. Formeller Auftakt einer Euro-Mediterranen Partnerschaft (EUROMED) war schließlich die Konferenz von Barcelona aus dem Jahr 1995 [1], in der die EU den südlichen Mittelmeerraum als „Gebiet von strategischer Bedeutung“ identifizierte.

Zum einen sollte der Barcelona-Prozess Frieden, Stabilität, den Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen und demokratische Bestrebungen im südlichen Mittelmeerraum fördern. Zum anderen sollte bis 2010 eine gemeinsame Freihandelszone errichtet werden. Während die südlichen Mittelmeerstaaten auf eine engere Anbindung an die EU und neue Absatzmärkte hofften, ging es der EU 15 ursprünglich um die Bekämpfung von Drogenschmuggel, organisierter Kriminalität, illegaler Einwanderung und Terrorismus. Durch das Anheben der Lebensqualität vor Ort sollte diesen „Fehlentwicklungen“ der Nährboden entzogen werden.

Große Ziele hatte man sich gesetzt, allein der Prozess verlief schon bald im Sande und viele Einflussfaktoren haben hier eine Rolle gespielt. Von Anfang an behinderte die wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen nördlichen und südlichen Partnerländern die Integrationsbemühungen. Es war die gesamtgesellschaftliche Stagnation der südlichen Partner, die EUROMED die Perspektive raubte. Außerdem mangelte es EUROMED an eigenen Institutionen die den Prozess vorantreiben hätten können und der EU mangelte es an einem klaren politischen Willen. Für Letzteres mag entscheidend gewesen sein, dass der mediterrane Raum nicht für alle EU-Mitglieder die gleiche Bedeutung besitzt. Schließlich war die wachsende Zahl eskalierender Binnenkonflikte im nahen Osten ein wesentlicher Grund für das Stocken des Barcelona-Prozesses.

Spätestens seit dem Krisenjahr 2006 [2] und angesichts des anhaltenden Nahost-Konflikts, galt der Barcelona-Prozess als gescheitert.

Anlass neuerlicher Euro-Mediterraner Integrationsbemühungen war ausgerechnet Russland. Mit der Instrumentalisierung seiner Öl- und Gasressourcen gegenüber der Ukraine, Weißrussland und Georgien im Winter 2006, hatte es sich als „unzuverlässiger Energielieferant“ erwiesen. Dies führte zu einer energiepolitischen Neuorientierung der EU und so rückten insbesondere die Maghreb Staaten wieder ihren Fokus. Energiepartnerschaften waren nun das Ziel, um die Energieversorgungssicherheit der EU zu gewährleisten.

Der Herr im Haus und die assoziierten Nachbarn

Seit 2004 sind die südlichen Mittelmeerpartner bilateral in die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) eingebunden. Diese soll scharfe Trennlinien zwischen der EU und ihren Nachbarn verhindern sowie der Marginalisierung jener Nachbarländer, die nicht an der historischen Erweiterung von 2004 beteiligt waren [3], entgegenwirken. Die Europäische Nachbarschaftspolitik steckt somit auch den Rahmen für EUROMED ab.

Mit Einführung der ENP wurden bilaterale Beziehungen entwickelt und der Barcelona-Prozess dient seither vorwiegend als multilaterales Dialogforum. In diesem Zuge wurde auch die Projektfinanzierung reformiert. Diese läuft mit Beginn des Jahres 2007 über das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI), welches eine flexible Mittelvergabe gewährleistet. Hinzu kamen seither einzelne Fonds und Fazilitäten zur gezielten Förderung oder Darlehensvergabe. Das ENPI ist das wichtigste Finanzierungsinstrument europäischer Nachbarschaftspolitik [4].

Mit den Partnerländern schließt die EU sogenannte Assoziierungsabkommen ab [5], die sowohl den Ausbau des politischen Dialogs, sicherheitspolitische Fragen, eine schrittweise Liberalisierung des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs, wirtschaftliche Zusammenarbeit und die regionale wirtschaftliche Integration sowie den Dialog über soziale, kulturelle und Menschenrechtsfragen fördern. Anders als die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen enthalten sie jedoch keine EU-Beitrittsperspektive.

Angesichts des "Arabischen Frühlings“ entwickelte die EU-Kommission den Ansatz einer „Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand“. Dieser ist „leistungsbezogen“, da er einerseits jenen Ländern EU-Hilfen gewährt, die demokratische Reformen vorantreiben und andererseits jenen Ländern Gelder streicht, die Reformen verschleppen oder nicht umsetzen. Besonders gut kooperierenden Partnerländern sollen vertiefte Assoziierungsabkommen angeboten werden, die eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit, mehr Mobilität und besseren Zugang zum Binnenmarkt umfassen.

Es ist unschwer zu erraten, wer bei diesen bilateralen Abkommen „die Hosen an hat“. Durch die Abkehr von den Dialogformen EUROMEDs und die Hinwendung zu Instrumenten der ENP, wurde die Beziehung zu den Nachbarn nicht nur individueller und „effektiver“, sondern auch deutlich hierarchischer. Die Steuerung nachbarschaftlicher Beziehungen durch die EU hat stark zugenommen.

Viele Interessen + schlechte Verständigung = keine Perspektive

Das Engagement der EU war von Beginn an eigeninteressengeleitet. Generell muss das einer erfolgreichen Zusammenarbeit nicht hinderlich sein. Zwischen der EU und den Mittelmeeranrainerstaaten gibt es jedoch kaum Überschneidungspunkte, was auch an der immensen sozioökonomischen Diskrepanz liegt. Deshalb bedarf es umso mehr eines offenen Dialogs, der die Partnerländer angemessen mit einbezieht. Es gilt eine Brücke zwischen kluger Einbindung der Partnerländer und einer vorsichtigen Führungsposition der EU zu schlagen.

Ohne ein starkes und langfristiges Engagement der EU, das weniger von Eigeninteressen, als vielmehr von einem Gespür für eine langfristige gemeinsame Perspektive getragen sein muss, wird es für EUROMED keine Zukunft geben. Stabile Nachbarn sind in unserem Sinne. Kultureller Austausch, Sicherheit und Prosperität sollten uns ein langfristiges Engagement wert sein.

Anmerkungen

[1EUROMED-Gründerstaaten waren die EU 15, Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten, die Palästinensische Autonomiebehörde sowie Israel, Libanon, Syrien, Türkei, Jordanien, Malta und Zypern.

[2Der sogenannte Karrikaturenstreit Anfang 2006 belastete das Verhältnis zwischen der EU und ihren mediterranen Partnern schwer. Hinzu kam der Libanon-Krieg, also die, durch Raketenbeschuss nordisraelischer Städte sowie die Entführung zweier israelischer Soldaten provozierte, militärische Offensive Israels im Libanon gegen die islamistischen Hisbollah-Milizen im Juli 2006, welche den politischen Dialog lahmlegte. Hierbei wurde auch die Uneinigkeit und Unentschiedenheit europäischer Außenpolitik eklatant.

[32004 fand die sogenannte „Osterweiterung“ der EU statt, die 10 Ost-Zentraleuropäische Staaten in die EU integrierte.

[4Allein über ENPI werden zwischen 2011 und 2013 knapp 7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.

[5Bis zum Jahr 2012 wurden Assoziierungsabkommen mit Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko und Tunesien abgeschlossen. Mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation hat die EU ein Interimsassoziationsabkommen geschlossen. Verhandlungen mit Syrien über ein Abkommen wurden wegen der Unterdrückung des Volkes durch das Regime abgebrochen. Libyen hat sich der Aushandlung eines Assoziierungsabkommens bisher widersetzt.

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