Nobelpreis: Contra. Frieden, aber für wen?

, von  Christoph Beeh

Nobelpreis: Contra. Frieden, aber für wen?
Pressekonferenz zur Nobelpreis-Verleihung Quelle: Audiovisuelle Dienste der Europäischen Kommission

Am 12. Oktober verlieh das norwegische Nobel-Komitee den Friedensnobelpreis des Jahres 2012 an die Europäische Union (EU). Der Beitrag der Union zur „Förderung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten“ wird dabei als Begründung genannt. Geehrt wird damit eine tolle Idee – die Realität jedoch sieht anders aus.

Es ist ein Motivationsschub in der Krise, die seit mehreren Jahren die Europabegeisterung ausbremst und zwischen den EU-Ländern Unmut aufkommen lässt. Mehr aber auch nicht. Ja, die EU ist ein wunderbares, nie dagewesenes Friedensprojekt. Aber entweder denkt die EU ihren Frieden zu klein, oder das Nobelkomitee macht sich unglaubwürdig. Denn, so gilt es zu fragen, für wen gab es diesen Frieden?

In ihrem Verkündungsschreiben nennt das Komitee vorrangig den Versöhnungsprozess der beiden Unions-Motoren Frankreich und Deutschland. Nach drei Kriegen innerhalb von nur siebzig Jahren sei die langersehnte Versöhnung nach 1945 endlich Realität und ein Krieg heute undenkbar geworden. Das mag sein, ist aber viel zu kurz gedacht. Gerade Frankreich und Deutschland sind es, die in einer Art kollektiven Amnesie ihre blutigen kolonialen Vergangenheiten vergessen und ihren Frieden nicht zuletzt auch auf dem Rücken ihrer heute unerwünschten Migranten erbaut haben. Ein großes Schweigen herrscht in den Parlamenten, ein großes Unwissen in den Bevölkerungen.

Mit Blick auf die 1980er- und 90er-Jahre rühmt das Komitee weiter die ersten politisch motivierten Entscheidungen der damaligen Europäischen Gemeinschaften, nämlich Griechenland, Spanien und Portugal als Vollmitglieder aufzunehmen, sowie durch Aussicht auf Mitgliedschaft für die osteuropäischen Länder auch „die Teilung zwischen Ost und West größtenteils zu beenden“. Damit wird dem gängigen Demokratiediskurs voll Rechnung getragen, demzufolge Europa die Heimstätte der Demokratie, ja der Inbegriff von Demokratie ist, als wäre sie unerreichbar für andere Staaten. Vergessen ist das bemängelte Demokratiedefizit der Internationalen Organisation, vergessen die Verpflichtung zum Minderheitenschutz, der lediglich den neuen Unionsmitgliedern verordnet wird. Demokratie und Gerechtigkeit sind einfach, wenn wir die Maßstäbe selbst festlegen dürfen.

Ebenso mit den Menschenrechten, ein weiterer europäischer Lieblingsbegriff. In seinem Ausblick auf die Zukunft der Balkanländer und der Türkei sieht das Nobelkomitee die EU als die treibende Kraft im Entstehen einer „Brüderschaft zwischen den Nationen“, die Alfred Nobel laut seinem Testament aus dem Jahre 1895 sicher auch gern gesehen hätte. Dass die EU genau hier an Bedeutung eingebüßt hat, weil sie sich weder zum Balkan, noch zur Türkei bekennen will, wird übersehen. Gerade Frankreich und Deutschland, die versöhnten Brüder, waren es, die in den letzten Jahren am deutlichsten einem Türkei-Beitritt entgegengewirkt haben. Was ist ihr langersehnter Frieden wert, wenn er nicht weitergetragen wird, sondern sich nach außen hin neue (alte) Feinde schafft?

Es bleibt fraglich, ob sich zur Umsetzung von Demokratie und Menschenrechten auf europäischem Boden wirklich die EU und ihre Vorgänger verdient gemacht haben, als vielmehr der Europarat (der die Europäische Menschenrechtskonvention ausarbeitete), die OSZE oder überhaupt eine Anzahl kleinerer Organisationen und Vereine. Den eigenen Frieden zu wahren ist wichtig und schwer genug. Die EU als Friedensförderer auszuzeichnen, die sich bislang weder zu Massakern in Algerien und Namibia bekennt, noch jene in Bosnien oder Berg-Karabach verhindern konnte, ist ein Schlag ins Gesicht für all jene, denen der Zugang zu europäischem Frieden auch heute noch verwehrt bleibt.

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