Alles umsonst? Nach anderthalb Jahren Stillstand sah es im Juli so aus, als die ob österreichische Politik am Scheideweg stand. In der Großen Koalition hatten sich die beiden „Partner“ gegenseitig gelähmt, was für viel Enttäuschung und Politikverdrossenheit in der Bevölkerung gesorgt hatte. Am 7. Juli war es so weit : mit den Worten „es reicht“ rief Finanzminister Wilhelm Molterer (ÖVP) das Ende dieser „Zwangsregierung“ aus .
Auslöser für das Ende der Koalitionsregierung war der Europaschwenk der SPÖ : in einem offenen Brief an das Boulevard-Blatt Neue Kronen Zeitung hatten die führenden Politiker der Partei ihren Willen angekündigt, das Volk bei zukünftigen europäischen Verträgen systematisch wählen zu lassen. Die europäische Union war eines der wenigen Themen, auf das sich beide Parteien bisher auf eine pro-europäischen Linie verständigen konnten.
Ohne Überraschung waren dann die Ergebnisse der Wahlen am 28. September. Die beiden etablierten Parteien mussten deutliche Verluste verzeichnen und auf einem historischen Tiefstand landen . Ganz im Gegensatz gewannen die verfeindeten Rechtsparteien FPÖ (Strache) und BZÖ (Haider) deutlich an Stimmen hinzu : zusammen erhielten die Parteien beinahe 30% der Wählerstimmen.
Die Krise beschleunigt die Koalitionsverhandlungen
In diesem Kontext war eine neue große Koalition die einzige Option, um die Rechtsparteien von der Macht fern zu halten. Nach den Wahlen wurde die ÖVP mit 25,6% der Stimmen (gegen 29% für die SPÖ) als Verlierer bezeichnet : Spitzenkandidat Molterer musste folglich zurücktreten und wurde von dem „ewigen Kronprinzen“ Josef Pröll ersetzt. Dies ebnete den Weg für eine Neuauflage der Koalition zwischen den beiden „Mittelparteien“ : vor den Wahlen hatte SPÖ-Kandidat Faymann betont, dass Molterer die einzige Hürde für eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der ÖVP war.
Die darauf folgenden Koalitionsverhandlungen zwischen den Sozialdemokraten und der bürgerliche Partei sind im Vergleich zu den letzten, die sich Januar hingezogen hatten, ziemlich kurz gewesen. Die Tatsache, dass die wesentlichen Meinungsverschiedenheiten nach der letzten Koalition schon bekannt waren, hat zu diesem schnellen Ergebnis beigetragen. Darüber hinaus betonen heute die Spitzenpolitiker der beiden Parteien, dass eine handlungsfähige Regierung angesichts der aktuellen Finanzkrise dringend nötig war.
Aus diesem Grund haben die Koalitionspartner ziemlich pragmatisch verhandelt : zum Beispiel ist ein fünf Milliarden Euro Konjunkturpaket geplant, dessen Finanzierung noch unklar ist : „man werde sparen, wo es möglich ist“. Dieser Pragmatismus hat zu einem schwammigen Programm für die nächste Regierung geführt, das bereits als „Kaugummiprogramm“ kritisiert wird .
Die EU-Frage ungeklärt
Stein des Anstoßes war allerdings die europäische Frage. Seit dem Streit am Ende der letzten Koalition hatte keine Partei ihre Position verändert : in dieser Hinsicht bringt das Koalitionspakt nicht viel Neues. Beide Parteien bekennen sich zur Weiterentwicklung der Union, und angesichts des Zeitdrucks wurde einfach beschlossen, dass eine Volksabstimmung nicht gegen den Willen der ÖVP durchgesetzt werde. So ist diese grundlegende Frage nicht entschieden, sondern aus praktischen Gründen einfach bei Seite gelassen.
Die pro-europäische Außenministerin Ursula Plassnik (ÖVP) konnte sich mit diesem Kompromiss nicht zufrieden geben, und weigerte sich deswegen, an der kommenden Regierung teilzunehmen .
Wie neu ist die neue Koalition?
Die Frage bleibt offen : wie neu ist diese große Koalition, deren Angelobung übernächste Woche stattfinden wird? Inwiefern glauben die österreichischen Wähler, die die letzte SPÖ/ÖVP Regierung satt hatten, dass sie tatsächlich eine neue politische Führung bekommen haben?
Die Ressortverteilung erinnert sehr stark an die alte Regierung : nach wie vor ist die SPÖ für Verkehr, Unterricht, Verteidigung, Frauen und Soziales zuständig, dazu kommt neuerdings die Gesundheit. Die ÖVP ihrerseits stellt wie bisher die Minister für Finanzen, Außenpolitik, Innenpolitik, Wirtschaft und Wissenschaft, und von nun ab auch Justiz.
Von den achtzehn Mitglieder der neuen Regierung waren nur acht an der letzten Koalition nicht beteiligt. SPÖ-Kandidat Faymann wird zum Bundeskanzler während ÖVP-Chef Pröll gleichzeitig Vizekanzler und Finanzminister wird. Viele Indikatoren veranschaulichen mit Nachdruck, dass die neue Koalition als bloße Fortsetzung der alten wahrgenommen werden könnte.
Die letzte Chance?
Diese Frage steht allerdings nicht im Vordergrund. Was wichtig ist, ist nicht so sehr, wie „neu“ diese Koalition ist, sondern welche Ergebnisse sie vorweisen wird. Finanz- und Wirtschaftskrise, Verschuldung der Krankenkassen, Steuerreform, Integration der Immigranten... Die Herausforderungen sind zahlreich. Der erste Schritt ist allerdings, eine verbesserte Zusammenarbeit innerhalb der Rot-Schwarzen Koalition zu schaffen : beide Seiten betonen die Notwendigkeit, auf „Teamgeist und Arbeit“ zu setzen, um die Glaubwürdigkeit der Politik zurückzugewinnen .
Die Zielsetzung Faymanns ist bescheiden : es geht einfach darum, nach der Wahl, das zu tun, was man vor der Wahl versprochen hatte. Es ist das einzige Mittel, um die wachsende Macht der Rechtsparteien zu bewältigen. Innerhalb anderthalb Jahren hat die enttäuschende Koalition von Gusenbauer und Co den Stimmenanteil von FPÖ und BZÖ so gut wie verdoppelt.
Der großen Koalition wird jetzt eine zweite Chance gegeben. In einem Land, in dem Politikverdrossenheit und Populismus besonders stark ausgeprägt sind, und wo 43% der Jugendlichen rechtsradikal wählen , könnte man auch annehmen, dass es vielleicht auch die letzte ist.
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