5 Jahre von der Leyen-Kommission

Der European Green Deal: Klimapolitik im Schatten anderer Krisen

, von  Marlene Massen

Der European Green Deal: Klimapolitik im Schatten anderer Krisen
Die EU-Kommissar*innen Kadri Simson und Frans Timmermans bei der Vorstellung eines Teils des European Green Deals am 14. Juli 2021. Fotos: Europäische Union, 2021 / Christophe Licoppe / Copyright; Canva Pro Lizenz

Unsere Welt, wie wir sie kennen, ist von der Klimakrise existenziell bedroht. Die durch menschliches Verhalten verursachte Klimaerwärmung kann von unserem Planeten langfristig nicht getragen werden, was die kompromisslose Aufrechterhaltung unseres jetzigen Lebensstils unmöglich macht. Innerhalb der EU scheint sich ein Bewusstsein dafür entwickelt zu haben, dass jetzt gehandelt werden muss. Doch was konnte konkret in den letzten fünf Jahren umgesetzt werden? Wir ziehen Bilanz.

Dieses Jahr geht Ursula von der Leyens erste Amtszeit als Kommissionspräsidentin zu Ende. Seit 2018 hält sie als Führungskopf der Kommission und damit eine der wichtigsten Leitfiguren der gesamten EU das Zepter der politischen Gestaltung in der Hand und hatte die Klimakrise als dringliches Anliegen priorisiert. Dadurch hat sich im Namen der “Klimadiplomatie”, wie Josep Borrell, der hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, das Engagement der EU 2022 bezeichnete, in den vergangenen fünf Jahren einiges in der Klimapolitik bewegt. Die Staaten Europas haben die Klimakrise erheblich mitverursacht, woraus sich eine globale Verantwortung zur Milderung der Folgen ableiten lässt. In Anbetracht dessen ist die EU tätig geworden und arbeitet daran, nationale Anreize für den ökologischen Wandel zu schaffen, um so die Folgen der Klimakrise abzumildern.

Seit 1979 fallen die europäischen Emissionswerte kontinuierlich. Im globalen Vergleich ist Europa für 7,28% (2022) der weltweiten CO2 Emissionen verantwortlich. Trotzdem bewertet der Climate Action Tracker die europäischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels als “ungenügend” und bemängelt, dass die EU zu wenig auf Dekarbonisierung setze. Obwohl die Emissionswerte 2019/20 aufgrund der COVID19-Pandemie kurzzeitig abfielen, haben sie im 4. Quartal 2021 den Ausgangswert von 2019 erneut überschritten. Auch die durch den Klimawandel verursachten wirtschaftlichen Schäden sind nicht zu unterschätzen. Die durch Extremwetterereignisse entstandenen Kosten liegen seit Anfang des Jahrhunderts in Deutschland bei schätzungsweise 145 Milliarden Euro.

Der ‘European Green Deal’

Das wohl wichtigste Ereignis der letzten fünf Jahre war die Verabschiedung des ‘European Green Deal’ im Mai 2023. Diese Zusammenstellung klimapolitischer Initiativen legte Ursula von der Leyen 2019 nach nur elf Tagen im Amt vor. Mit der Motivation, Nachhaltigkeit als ein Kernziel der Union zu etablieren, ist der European Green Deal Teil einer weitreichenden Wachstumsstrategie im Rahmen einer zukünftigen “modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft”. Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden, was die EU-Kommissionspräsidentin als den “ambitioniertesten Fahrplan überhaupt” bezeichnete.

Erreicht werden soll dies durch erhebliche Emissionsreduktion in fast allen Sektoren, die Förderung von natürlichen CO2-Senken und den Ausbau nachhaltiger Energien. Eine grüne und digitale Gestaltung der Zukunft beabsichtigt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten, ohne wirtschaftliche Stabilität einzubüßen. Im Zentrum stehen vor allem der Naturschutz, eine umweltfreundliche Industrie und nachhaltige Mobilität. Dies soll durch die Revision und Aktualisierung von EU-Rechtsvorschriften umgesetzt werden. Rechtlich verankert wurde dieses Ziel durch das Europäische Klimagesetz im Juli 2021, das alle fünf Jahre eine Fortschrittsanalyse vorsieht. Da die Amtszeiten der EU ebenfalls fünf Jahre betragen, ist die Kritik der mangelnden Rechenschaftspflicht berechtigt. Gesetzentwürfe müssen auf Vorschlag der Kommission noch von Parlament und Rat gebilligt werden, was sich nicht selten durch mehrere Etappen der Revidierung verzögert. Dadurch können zwischen Vorschlag und Verabschiedung mancher Ziele mehrere Jahre liegen. So kam es beispielsweise erst im Februar 2024 zu einer Einigung zwischen Rat und Parlament zur Netto-Null-Industrie-Verordnung.

Ausklappen für mehr InfosIm Dezember 2023 hat die Kommission erstmals eine Fortschrittsanalyse durchgeführt und offizielle Empfehlungen an einzelne Mitgliedstaaten ausgesprochen. Diese werden als Reaktion auf NECPs (National Energy and Climate Plans) der einzelnen Mitgliedstaaten erarbeitet. Österreich, Polen, Irland, Belgien, Bulgarien und Lettland haben 2023 keinen NECP vorgelegt, weshalb die EU an diese Staaten nur komprimierte Versionen des vorgesehenen Umfangs der Empfehlungen aussprechen konnte. Kerninhalte des Austausches sind Dekarbonisierung, Energieeffizienz, Energiesicherheit, Schaffung eines Energiebinnenmarkts, Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

‘Fit für 55’

Das ‘Fit für 55’-Gesetzespaket, das Teil des European Green Deals ist, soll für langfristige europäische Klimaneutralität und für die Einhaltung des 1,5°C-Ziels sorgen. In einer ersten Etappe ist eine Verringerung des Kohlenstoffdioxid-Emissionen der EU bis 2030 um 55% vorgesehen. Gerechnet wird dabei mit dem Vergleichsjahr 1990. Darauf folgt bis 2040 eine Verringerung von 90% der Emissionen und schließlich soll die EU nach 2050 gar keine oder Negativ-Emissionen produzieren. Für den größten Anteil der CO2-Emissionen sind die Sektoren Industrie, Energie und Verkehrs verantwortlich.

Im Jahr 2023 wurden in der gesamten EU 29,7% weniger Emissionen als im Jahr 1990 verzeichnet. So konnte Deutschland beispielsweise seit 1990 einen Rückgang von 39% verbuchen und liegt damit über dem EU-Durchschnitt.

Das Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) hat im Februar 2024 tatsächlich einen EU-weiten Rückgang fossiler Emissionen von 8% im Vergleich zum Vorjahr vermerkt, was größtenteils auf den vermehrten Energiebezug von Solar- und Windkraft zurückzuführen ist. Allerdings wurde bei der Berichtserstellung der Landwirtschaftssektor ausgelassen. Wichtig ist auch, dass bei vielen Berechnungen Emissionen von Gas- und CO2- Leakage außen vorgelassen werden. Konkret heißt das: Emissionen, die bei der Herstellung von Gütern im EU-Ausland und dann in die EU importiert werden, werden nicht in die Berechnungen miteinbezogen.

Die vom Rat im März 2023 angenommenen Vorschriften beinhalten verbindliche Vorgaben zur Reduzierung der Emissionen für die einzelnen Mitgliedstaaten. Forstwirtschaft und Landnutzung sind hiervon ausgenommen. Die sogenannte EU-Verordnung für Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) wurde mit dem Ziel der Förderung natürlicher CO2-Senken im Mai 2023 überarbeitet. Eine natürliche CO2-Senke ist ein Reservoir, welches ohne Einsatz von Technologie CO2 bindet, zum Beispiel Moore, und damit zur Verringerung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre beiträgt. Die Menge des von der Natur aufgenommenen CO2s verringerte sich aufgrund des schlechten Zustandes der Wälder zwischen 2010 und 2020 um 29%. Im Vergleich zu der vorherigen Regelung von 2018 wurde das geforderte Ziel des Emissionsrückganges um 15% erhöht und ein Ziel von 310 Millionen Tonnen Emissionsreduzierung im Jahr 2030 im LULUCF-Sektor etabliert. Dies soll durch ’Effort-Sharing’, nationale Zielgebungen und durch die ‘No-Debit-Regel’, einem langfristigen Verbot von Minusbilanzen im Land- und Forstwirtschaftsektor, erfolgen. Trotzdem geht die Kommission davon aus, dass sie ihr selbstgestecktes Ziel nicht erreichen wird, unter anderem da weiterhin viele Waldgebiete abgeholzt werden und sich ihr Zustand verschlechtert.

Reform des Emissionshandels

Ein weiteres Instrument der europäischen Klimapolitik ist das Europäische Emissionshandelssystem (EEHS), welches bereits 2005 eingeführt wurde. Die EU-Kommission hat eine Stärkung und den Ausbau dieses Systems erarbeiten lassen, demzufolge bis 2030 eine Reduzierung der Emissionen in Höhe von 61% gegenüber 2005 erfolgen soll. Die Verkehrs-, Gebäude- und Landwirtschaftssektoren sind vorerst nicht von dieser geforderten Reduzierung betroffen, allerdings ist die Ausweitung auf besagte Sektoren eine zentrale Forderung vieler Umweltverbände.

Der Emissionshandel ist praktisch eine Kohlenstoffbepreisung und zielt auf die Verringerung von Treibhausgasemissionen ab. Momentan sind 40% der EU-weiten Emissionen beziehungsweise 5% der weltweiten Emissionen von diesem Handelssystem betroffen. Bis spätestens 2026 soll der gesamte CO2-Ausstoß diesem System unterliegen, was viele für längst überfällig halten. Durch die Kohlenstoffbepreisung bekommt jede Tonne CO2 und damit jede Tonne Verschmutzung einen Preis.

Für jede ausgestoßene Tonne CO2 muss dann eine Berechtigung erworben werden. Während die Staaten lange selbst einen festen Preis für ein Zertifikat festsetzten, ist der freie Handel dieser Emissionsrechte das Ziel, wodurch der Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird.Weil das Angebot an neuen Zertifikaten von der EU verknappt wird, steigt der Preis der Zertifikate und ein festes Budget für CO2-Emissionen wird eingehalten. Dieser ökonomische Zwang soll zur Umstellung auf nachhaltige Technologien drängen. Ein solches Anreizsystem zur Einführung erneuerbarer Kraftstoffe soll bewirken, dass Unternehmen ‘freiwillig’ in nachhaltige Technologie und Produktion investieren, da sich dies ökologisch und ökonomisch langfristig auszahlen wird.

Ausklappen für mehr InfosDieses Jahr tritt außerdem die Erweiterung des EEHS auf den maritimen Sektor in Kraft, wozu 2024 79,4 Millionen neue Zertifikate gehandelt werden sollen. Vergeben werden diese durch Auktionen. Bereits seit 2012 nimmt auch der Luftverkehrssektor an diesem Handel teil, momentan noch beschränkt auf innereuropäische Flüge. Geplant ist für dieses Jahr eine Reduzierung der an Fluggesellschaften kostenlos ausgegebenen CO2-Zertifikate. In der Folge muss schließlich ab 2026 für alle Emissionen ein Zertifikat erworben werden.

Anfang Januar 2024 hat der Europäische Klimabeirat einen Bericht veröffentlicht, demnach die EU mehr tun müsse, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Der WWF sieht nur in einer Emissionsreduzierung um 70% bis 2050 einen effektiven Beitrag zur Bekämpfung der Erderwärmung. An Maßnahmen mangele es insbesondere im Verkehrs- und Gebäudesektor sowie in der Land- und Forstwirtschaft. Dabei sei die EU jetzt vor allem auf das Engagement der Mitgliedstaaten angewiesen, die aufgefordert sind, verstärkt an der Erarbeitung zielgerichteter Maßnahmen mitzuarbeiten. Ein Lösungsansatz wäre in diesem Zusammenhang, Subventionen für fossile Energie zu reduzieren oder ganz zu eliminieren.

Netto-Null Industriegesetz und nachhaltige Energie

Das Netto-Null Industriegesetz, Teil des grünen Energieplans, sieht vor, dass die EU bis 2030 in der Lage sein wird, mindestens 40% ihres Energiebedarfs mit sauberen Technologien zu decken. Parlament und Rat sind sich inhaltlich einig; verabschiedet wurde dieses Gesetz aber bislang nicht.

Um dem Klimawandel effektiv entgegenwirken zu können, muss eine Dekarbonisierung des Energiesektors zügig vollzogen werden. Das bedeutet, dass sowohl weniger Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangen darf, als auch bestehender Kohlenstoff gespeichert und abgebaut werden muss. Carbon Capture and Storage-Technologien (CSS) können bei letzterem helfen, obwohl ihre Effektivität nicht eindeutig bewiesen ist. Richard Klein, Klimaforscher am Stockholm Environment Institute, warnt:

Es wäre sehr gefährlich, stark auf Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CSS) zu setzen, denn das würde das Signal senden, dass man grundsätzlich weiterhin in fossile Brennstoffe investieren kann.

Verbrennung und damit die Erzeugung von fossilen Energie aus Kohle, Öl und Gas muss abnehmen. Es gilt, unerschöpfliche Ressourcen wie Wind und Solar vermehrt zu nutzen.

Ausklappen für mehr InfosUneinigkeit besteht in diesem Zusammenhang bei der Rolle der Atomkraft im Kampf gegen die Klimakrise. Es stimmt, dass während der Stromproduktion kaum Treibhausgase produziert werden. Allerdings entstehen diese anderweitig, beispielsweise bei Abbau und Endlagerung von Uran. Hinzu kommt, dass Atommüll schwierig zu lagern ist; das in großen Mengen enthaltene Plutonium weist eine Halbwertszeit von 24000 Jahren auf. Ferner birgt der radioaktive Abfall ein großes gesundheitliches Risikopotenzial.

Frankreich und Polen sehen in der Atomkraft eine Lösung der Klimakrise, Deutschland und Österreich sind hingegen nicht überzeugt. Durch den Ausbau der Atomkraft kann die Stromerzeugung durch fossile Brennstoffe reduziert werden, aber mit Klimaneutralität hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun. Am 1. Januar 2023 wurde die Atomkraft trotz Widerstand in die EU-Taxonomie-Verordnung aufgenommen. Diese besagt, dass Atom- und Gaskraftwerke eine “notwendige Tätigkeit für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft” seien. Atomkraft ist also nicht unbeliebt: 12 der 27 Mitgliedstaaten betreiben weiterhin Atomkraftwerke, die Internationale Atomenergiebehörde hat sich gerade erneut zur Kernenergie bekannt und plant die Verdreifachung der Atomkraftwerke bis 2050.

Das Aus für den Verbrenner-Motor?

Eine weitere Problemzone der anvisierten Klimaneutralität ist der Verkehrssektor, denn Verbrennungsmotoren sind für ein Fünftel der Treibhausgase verantwortlich. Die direkten CO2-Emissionen seit 1995 sind um 12% bei Personenkraftwagen und um 8,5% (Stand 2023) bei Lastkraftwagen gefallen, da Autos heutzutage energieeffizienter fahren. Allerdings hat sich die Gesamtzahl der Lastkraftwagen im Straßengüterverkehr erhöht, weshalb die CO2-Gesamtemissionen heute 23% höher sind im Vergleich zu 1995 (Stand 2023).

Klimaneutralität im Jahr 2050 bedeutet, dass dann nur noch emissionsfreie Autos fahren dürfen. Dies soll durch die schrittweise Abschaffung von Benzin- und Dieselfahrzeugen bis 2035 erfolgen. Die C02 Emissionen durch PKW sind in den letzten fünf Jahren zwar durch Corona zwischenzeitlich eingebrochen, befinden sich aber jetzt wieder im Aufwärtstrend. Damit sind die Zahlen wieder mit denen der letzten 30 Jahre im Einklang. Die Europäische Volkspartei (EVP), der Kommissionspräsidentin von der Leyen angehört, stimmte im Februar 2023 als einzige europäische Fraktion gegen das Gesetz und hat nun Sonderregelungen für den Gebrauch von E-Fuels für Verbrenner-Autos erzielt- und das obwohl von der Leyen das Gesetz vorschlug. Wie genau ein solches Sonderrecht aussehen könnte, wird momentan noch erarbeitet.

Ausklappen für mehr InfosVorgesehen ist, dass ab 2035 in allen Mitgliedstaaten nur noch PKW und leichte Nutzfahrzeuge, die nicht mit Benzin oder Diesel fahren, verkauft und zugelassen werden dürfen. Für gebrauchte Fahrzeuge wird eine Ausnahme gemacht, jedoch sind entsprechend steigende Betriebskosten zu erwarten. Als Alternative sieht die EU batterieelektrische sowie in geringerem Maß Wasserstoff- und E-Fuel-betriebene Autos vor. Das European Alternative Fuels Observatory (EAFO) bemängelt, dass bereits jetzt extreme Ungleichheit beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos besteht. In fünf von zweiunddreißig europäischen Ländern befinden sich 73% aller öffentlichen Ladestationen. Deutschland und Frankreich, die als politische Motoren der Union gelten, beherbergen mit den Niederlanden die größte Anzahl. Daher besteht Sorge, dass einheitliche Lösungen bei wichtigen Fragen zur Mobilität und Infrastruktur des täglichen Bedarfes zur Spaltung führen könnten.

Klimaziele im Gebäudesektor

Der Gebäudesektor ist europaweit ebenfalls für große Mengen an Treibhausgasen verantwortlich, er macht rund etwas mehr als ein Drittel der Emissionen aus. Bis 2028 müssen alle Neubauten im Eigentum öffentlicher Einrichtungen emissionsfrei gebaut und betrieben werden, ab 2030 weitet sich diese Vorschrift auf alle Arten von Gebäuden aus. Vereinbart werden muss hier die Reduzierung des gesamten Energieverbrauchs und eine grundsätzlich höhere Energieeffizienz. Interessanterweise ist Andalusien dank des preisgekrönten PICSA-Programmes Vorreiter des ökologischen Bauens in Europa. Durch dieses Projekt, das 2022 den dritten Platz auf der Liste der vom EU-Kohäsionsfonds geförderten Projekte belegte, sind die Zuschüsse für die Wärmedämmung von Fassaden und Dächern auf 70% gestiegen, der Verbraucht zahlt den Rest. Finanziert wurde PICSA zu fast 55% mit europäischen Geldern unter dem Gesichtspunkt Kohäsionspolitik. In einem Zug konnten 80.000 Arbeitsplätze in den beteiligten Unternehmen geschaffen und 85.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.

Die EU, als supranationale Organisation, gibt den Mitgliedstaaten in der Umsetzung ihrer Ziele keine einheitlichen Richtlinien vor, da dies vor dem Hintergrund der zahlreichen Klimazonen innerhalb der Union wenig Sinn ergibt. Darum ist die EU in der Verwirklichung ihrer Ziele auf nationale Initiativen angewiesen, die die Vereinbarkeit von gleichzeitiger wirtschaftlicher Innovation und Klimaschutz unter Beweis stellen sollen.

Förderung der Biodiversität

Im Juni 2023 wurden Ziele zur "Wiederherstellung der Natur” festgelegt, die als Grundlage weiterer Verhandlungen für rechtskräftige Vorschriften im Parlament dienen sollen. Das darauf aufbauende, aber noch nicht verabschiedete Renaturierungsgesetz zielt auf die Wiederherstellung von 20% der Land- und Meeresflächen bis 2030 ab. Bis 2050 sollen mindestens 90% der geschädigten Ökosysteme renaturiert sein. Denn um die Biodiversität in Europa steht es schlecht. Das Fachmagazin Plos One veröffentlichte Ende letzten Jahres eine Studie, der zufolge ein Fünftel der auf der roten Liste stehenden Arten im nächsten Jahrhundert vom Aussterben bedroht sein wird. 27% der heimischen Pflanzen, 24% der wirbellosen Tiere und 18% der Wirbeltiere in Europa sind betroffen.

Als Gründe identifizierten die Forscher*innen die ökologische Überbelastung durch Landwirtschaft und Meereswirtschaft, die Ausbeutung biologischer Ressourcen und Extremwetterereignisse. Die Wiederherstellung der Natur beinhaltet Maßnahmen wie die Vernässung trockengelegter Moore und die Aufforstung von Wäldern, damit diese wieder effektiv als natürliche CO2-Senken fungieren können. Zusätzlich sieht es die Wiederherstellung freifließender Flüsse, die Vermehrung des Baumbestandes und die Verbesserung der Biodiversität in Agrar- und Wald-Ökosystemen vor. Erweitert werden diese Maßnahmen durch die im Mai 2020 beschlossene “Vom Hof auf den Tisch”-Strategie. Dadurch soll der ökologische und klimatische Fußabdruck des EU-Lebensmittelsystems verringert werden. Der Einsatz von Pestiziden soll um 50% verringert werden, von Düngemitteln um 20% und eine strikt ökologische Bewirtschaftung soll auf mindestens 25 % der landwirtschaftlichen Flächen stattfinden.

Das Renaturierungsgesetz scheiterte im Sommer 2023 im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments. Wieder war es die christdemokratische EVP, die das Gesetz entgegen ihrer pro-europäischen Haltung ablehnte. Die EVP verstehe sich als “Bauernpartei” und Abgeordnete befürchteten, dass die Verabschiedung des Gesetzes zu Schwierigkeiten bei der Ernährungssicherheit führe, da Agrarnutzfläche aufgegeben werden müsse. Daraus würde eine Importabhängigkeit resultieren. Die Grünen hingegen betrachten das Gesetz als notwendig, um die Ernährungssicherheit aufrechterhalten zu können. Experten halten die Sorgen der EVP für überflüssig, denn schließlich sei die schwindende Biodiversität das größere Risiko für die Lebensmittelversorgung.

Ausklappen für mehr InfosBereits im Februar konnte unter Protest der EVP eine verwässerte Version des Renaturierungsgesetz verabschiedet werden. Auf Bestehen der EVP wurde es um eine Klausel erweitert, die bestimmt, dass unter bestimmten Umständen, zum Beispiel angesichts auftretender Versorgungsengpässen, die Renaturierungs-Ziele ausgesetzt werden könnten.

Diese Version des Gesetzes muss nun noch vom Rat durch die Mitgliedstaaten bestätigt werden. Damit es verabschiedet werden kann, muss es bei mindestens 55% der EU-Staaten, die mindestens 65% der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren, Anklang finden. Für die ursprüngliche Version des Gesetzes, das einen 30% Wiederherstellungsmarker festlegt, konnte diese Schwelle am 22. März nicht überschritten werden. Ungarn, Schweden, Italien, Polen und die Niederlande stimmten dagegen.

Hindernisse und Herausforderungen

Das Institute for Climate Economics veröffentlichte im Februar 2024 einen Bericht, demzufolge der EU 406 Milliarden Euro fehlen, um ihre Emissionsziele 2030 einzuhalten. Desweiteren stellen die strikten EU-Haushaltsregeln ein Hindernis für die Mitgliedstaaten dar, die in der Zuweisung ihrer Gelder durch Regeln zur Staatsverschuldung beschränkt sind. Laut einem Bericht des Institut Rousseau wären grüne Investitionen gerade trotz der vorübergehenden Haushaltsdefizite notwendig. Zusätzliche Investitionen von 260 Milliarden Euro (1,6% des gesamteuropäischen BIP) pro Jahr seien notwendig, um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.

Der Klimawandel erlegt sich durch seine Omnipräsenz allen auf, er macht vor nationalen Grenzen keinen Halt. Obwohl die Europäische Union von Meinungsverschiedenheit gekennzeichnet ist, befindet sich in der Überwindung dieser auch ihr politischer Auftrag. Ursula von der Leyen hat mit der Verabschiedung des European Green Deals vorgelegt- die entsprechenden Vorsätze waren als klimapolitische Notwendigkeit überfällig. Durch Etappenziele sollen einzelne Länder dem ökologischen Wandel gegenüber verstärkt rechenschaftspflichtig gehalten werden. Doch an einem Strang zu ziehen, erweist sich als kompliziert und erfordert Durchhaltevermögen und Kompromisse. Das Erstarken von rechts-konservativen Parteien in Europa und die zahlreichen sicherheitspolitischen Krisen werden das Einstehen für diese Ziele und das Gelingen des ökologischen Wandels erschweren.

Dabei besteht keine Alternative zum European Green Deal, wenn wir unsere Lebensgrundlagen sichern wollen. Verantwortlich für die fortschreitende Umsetzung konkreter Legislativvorschläge und Zielerweiterungen wird dann im Juni die neue EU-Kommission mit einem neuen EU-Parlament sein. Es liegt an uns Wähler*innen, hier den Auftrag klar zu vermitteln.

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