Die Vier Tage Woche – ein zukunftsfähiges Arbeitsmodell?

, von  Léa C. Glasmeyer

Die Vier Tage Woche – ein zukunftsfähiges Arbeitsmodell?
Vier Tage Woche Illustration: Kann das die Zukunft sein? / Quelle: Treffpunkteuropa.de

Seit Beginn der Corona-Pandemie wird zunehmend über die Einführung neuer Arbeitsmodelle nachgedacht. Mit der weitgehenden Etablierung von Homeoffice und flexibleren Arbeitszeiten haben sich gesellschaftliche Erwartungen an das Arbeitsleben verändert. Insbesondere die Vier-Tage-Arbeitswoche scheint zunehmend attraktiver zu werden. Aber was genau bedeutet eine solche Umstellung?

Mehr Zeit für sich selbst und die eigenen Hobbys, effizientere Arbeitsgestaltung, ein spürbares Gefühl von Ausgeglichenheit und erhöhter Motivation bei der Arbeit, das und noch vieles mehr erhoffen sich die Befürworter*innen der Vier-Tage-Arbeitswoche. Und das bei gleicher Produktivität und Leistungserbringungen. Grob zusammengefasst: Weniger Arbeiten, um gleich viel zu verdienen. Oder auch weniger arbeiten, um besser zu leben, wie es die französische Philosophin Céline Marty in ihrem gleichnamigen Buch formulierte.

Erste Versuche in mehreren europäischen Ländern

In einigen europäischen Ländern hat die Idee bereits ihren Weg in die Praxis gefunden, so haben Spanien und Island in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Vier-Tage-Modell experimentiert. Zwischen 2015 und 2019 führte Island das weltweit größte Pilotprojekt einer Arbeitswoche mit 35 bis 36 Stunden durch. Ein Erfolg, der zu flächendeckenden Arbeitszeitverkürzungen führte, da nun fast 90 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung von dieser oder anderen Vorkehrungen profitieren.

Auch in Schottland war das Modell ein Wahlkampfversprechen der regierenden Schottischen Nationalpartei (SNP), die sich auf eine Umfrage der Denkfabrik Institute for Public Policy Research (IPPR) stützt, der zufolge 80 Prozent der Befragten die Vier-Tage-Woche als Verbesserung für ihre Gesundheit und ihr Glück ansehen. Die SNP unterstützt die teilnehmenden Unternehmen hierbei jetzt mit rund 11,8 Millionen Euro. Auch in Wales wurde die Regierung von dem Petitionsausschuss des walisischen Regionalparlaments aufgefordert, zumindest im öffentlichen Sektor eine Vier-Tage-Arbeitswoche einzuführen.

Seit November 2022 gelten auch in Belgien flexiblere Arbeitszeiten: Nicht nur haben Beschäftigte Anspruch auf die Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohnausgleich, sie können ebenfalls ihre Stundenzahl pro Tag verringern, das jedoch gegen Gehaltsabzug. Premierminister Alexander De Croo erhofft sich dadurch eine höhere Beschäftigtenquote durch größere Flexibilität, beispielsweise bei Nachtdiensten oder im Falle einer geteilten Elternschaft. So soll auch die Wirtschaft an Dynamik hinzugewinnen.

In Deutschland gibt es ebenfalls bereits erste Ansätze, wobei laut einer Forsa-Umfrage aus dem April 2023 lediglich 42 Prozent der Beschäftigten die Vier-Tage-Woche befürworten. Insbesondere in Ostdeutschland äußerten sich 62 Prozent der Befragten skeptisch. Unter den Liberalen seien sogar 76 Prozent gegen die Einführung einer Vier-Tage-Arbeitswoche. Für die meisten Gegner*innen sei die Arbeitsbelastung auf weniger Stunden verteilt einfach unrealistisch und schlichtweg nicht realisierbar.

Covid-19 - von der Notwendigkeit neuer Arbeitsmodelle

Mit der Covid-19-Pandemie änderte sich unsere Beziehung zur Arbeit. Einerseits wurden insbesondere Frauen zusätzlich belastet, da sie nach wie vor primär für Care-Arbeit zuständig und somit diejenigen sind, die sich an erster Stelle um Angehörige kümmern. Andererseits führte die immer weiter schwindende Trennung von beruflichem und privatem Leben und die daraus resultierende stetige Abrufbarkeit zu einer zunehmenden Belastung für Arbeitnehmende. Die Diskussionen um die Vier-Tage-Arbeitswoche wurden durch die Pandemie dementsprechend neu entfacht, da sowohl Arbeitnehmer*innen als auch Arbeitgeber*innen anfingen, zunehmend über die Bedeutung von Flexibilität und Wohlergehen am Arbeitsplatz nachzudenken. Die 32-Stunden Woche könnte für viele das Ende einer ungewollten, aber unausweichlichen Teilzeitarbeit bedeuten, zu der sich Frauen insbesondere aufgrund von Familienpflichten gezwungen sehen.



Gründe für Teilzeittätigkeit. Foto: Statistisches Bundesamt (DeStatis), 2023


Die Einführung der Vier-Tage-Arbeitswoche löste in den Pilotländer auch weitere ethische, moralische und soziale Fragen auf. So wurde vermehrt über den Wert der Arbeit und deren Bedeutung für das individuelle und gesellschaftliche Wohl nachgedacht. Arbeit ist für viele nicht mehr nur ein Mittel zur Existenzsicherung, sondern auch Quelle von Bedeutung, Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung. Kürzere Arbeitszeiten und weniger Arbeitstage perpetuieren in diesem Kontext jedoch den Eindruck, Arbeit sei bloß eine Pflicht, der es nachzukommen gelte.

Auch die Verteilung von Arbeit und Wohlstand in der Gesellschaft wurde Thema einiger Diskussionen. In dieser Hinsicht könnte die Einführung der Vier-Tage-Arbeitswoche zu einer ungleichen Verteilung von Arbeit und Einkommen führen, sollten nicht alle Arbeitnehmer*innen gleichermaßen von Arbeitszeitreduzierungen profitieren können. Auch scheint ein solches Arbeitsmodell für bestimmte Berufe oder Branchen schwer realisierbar zu sein. Gleichzeitig stehen Homeoffice und flexiblere Arbeitszeiten bei jungen Generationen inzwischen höher im Kurs als Karriere und hohes Gehalt.

Ein kurzer Blick in die Geschichte…

Um aktuelle Debatten besser zu verstehen, lohnt es sich, die Ursprünge der 40-Stunden-Woche anzuschauen, die ihre Wurzeln in der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts hat. Vor dieser Zeit arbeiteten viele Menschen in Fabriken und anderen Produktionsstätten oft wöchentlich 60 Stunden oder mehr, ohne klare Arbeitszeitregelungen oder Arbeitnehmer*innenrechte. Mit dem Aufkommen von Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung im 19. und frühen 20. Jahrhundert, begannen Arbeitnehmer*innen für kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Eine der zentralen Forderungen war die Einführung einer Arbeitszeitbegrenzung, um Überarbeitung und Ausbeutung zu reduzieren.

Im Jahr 1914 führte die Ford Motor Company in den USA die 40-Stunden-Woche für seine Fabrikarbeitenden ein, wodurch sie im Schnitt zwar weniger Stunden arbeiteten als zuvor, eine kontinuierliche Produktivität jedoch dabei sichergestellt werden konnte. Dies wurde als wegweisender Schritt angesehen und von anderen Unternehmen übernommen.

In Deutschland kämpften ab Mitte des 20. Jahrhunderts Gewerkschaften zunehmend für eine Arbeitszeitverkürzung, die sie unter anderem dank technischer Fortschritte und erhöhter Produktivität nach und nach umsetzen konnten. In den USA wurde 1938 der Fair Labor Standards Act verabschiedet. Er sah unter anderem eine Höchstarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche vor, wobei denjenigen, die darüber hinaus arbeiteten, Überstunden zugesagt wurden. Mit diesem Gesetz wurde die Notwendigkeit einer standardisierten Arbeitswoche festgestellt.

In den folgenden Jahrzehnten wurden in vielen Ländern Gesetze und Regelungen erlassen, die die 40-Stunden-Woche als Standardarbeitszeit etablierten. Wenn zu Beginn der 1990er Jahre Gewerkschaften in Deutschland in einigen Branchen sogar eine 35-Stunden Woche durchsetzen konnten, wurde jener Trend mit der sich verändernden Konjunktur und steigender Arbeitslosigkeit jedoch bald wieder revidiert, sodass die 40-Stunden Woche prädominant zurückkehrte.

… und in gesellschaftliche Strukturen

Die Wahl von 40 Stunden als Arbeitswoche entstand also nicht aufgrund von wissenschaftlichen Berechnungen oder einer fest beschlossenen Regel, sondern aus historischen und politischen Gründen. Es wurde als ein Kompromiss zwischen den Forderungen der Arbeitnehmer*innen nach kürzeren Arbeitszeiten und den Bedürfnissen der Arbeitgeber*innen nach ausreichender Produktivität betrachtet. Die Grundlage für den Achtstundentag war nichts anderes als die Idee, dass ein vierundzwanzig Stunden Tag, der in drei angenommene Acht-Stunden-Abschnitte unterteilt ist, logisch klingt. Ein Abschnitt für den Schlaf, einer für die Arbeit und einer für die Freizeit.



Trotz dieser Errungenschaften darf gleichzeitig nicht vergessen werden, dass ein geringeres Arbeitspensum zwar möglich wurde, es sich hier aber ausschließlich um Lohnarbeit handelte und somit viele Frauen ausgeschlossen blieben, da sie primär unentgeltliche Hausarbeit verrichteten. Ihre Bedingungen verbesserten sich also nicht maßgeblich. Insbesondere durch den Slogan “Samstags gehört Vati mir” des Deutschen Gewerkschaftsbundes wird auch deutlich, dass der Kampf patriarchale Strukturen perpetuierte.

Der Traum einer Vier-Tage-Woche - nur eine Illusion?

Vergessenheit geraten. Um ihr gesamtes Wochenpensum zu bewältigen, berichten Arbeitnehmer*innen häufig von längeren Arbeitstagen, sodass die Stundenzahl insgesamt gleich bleibt. Das Vier-Tage-Modell kann Unternehmen ebenfalls vor betriebliche Herausforderungen stellen, etwa durch die Koordinierung von Zeitplänen und die Sicherstellung einer angemessenen Personalausstattung. Dies kann in Branchen oder Funktionen, die einen kontinuierlichen Betrieb oder eine strikte Abdeckung des Kund*innendienstes erfordern, eine größere Herausforderung darstellen. Wenn Mitarbeiter*innen an weniger Tagen arbeiten, kann es darüber hinaus zu einer geringeren Verfügbarkeit für Kund*inneninteraktionen kommen. Und bekanntlich wirkt sich ein geringeres Serviceniveau negativ auf die Kund*innenzufriedenheit und letzten Endes somit auch auf die Unternehmensleistung aus.

Kritiker*innen führen noch ein weiteres Gegenargument an: Niedriglohnbeschäftigte, Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmer*innen in prekären Beschäftigungsverhältnissen können nicht immer in gleichem Maße von einer verkürzten Arbeitswoche profitieren. Es treten daher Fragen zur sozialen Gerechtigkeit, zur Lohngleichheit und zum Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten auf. Gleichzeitig herrschen noch viele Unsicherheiten, was die Gewährleistung von Unternehmensproduktivität und -wettbewerbsfähigkeit betrifft, da ein Vier-Tage-Arbeitsmodell auch Auswirkungen auf die Sozialversicherung oder die Rentenberechnung beispielsweise haben könnte.

Ebenfalls wird befürchtet, dass eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen könnte, wenn die Produktivität nicht im gleichen Maße steigt. Abgesehen von solch praktischen Bedenken äußern misstrauische Stimmen Vorbehalte insbesondere in Bezug auf die Integration einer neuen Arbeitsweise in bestehende Arbeitskulturen, da eine Veränderung von Normen, aber auch von Erwartungen, mit der Vier-Tage-Woche einhergeht.

Der Schlüssel für eine erfolgreiche Umstellung

Am Ende könnte doch noch ein Argument überzeugen, denn laut einigen Studien arbeiten viele Menschen bloß 2,5 Stunden am Tag wirklich produktiv und etliche weitere Stunden einfach nur ab. Laut Gesundheitsexpert*innen erhöht es nicht nur das Risiko für psychologische Belastungserkrankungen, auch die Kreativität leidet unter langem, monotonem Sitzen. Unproduktive Zeitfresser zu beseitigen – und darunter fallen regelmäßige Meetings oder chronische Unterbrechungen durch E-Mails und Anrufe – kann eine effizientere Arbeitsorganisation nach sich ziehen. Dabei kommt es vor allem auf eine Sache an: Kommunikation und Transparenz. Tatsächlich können durch verbesserte Kommunikation Produktivität und Effizienz gesteigert werden, da Zuständigkeiten klar verteilt werden und sich Fehler besser vermeiden lassen.

Letzten Endes stellt sich aber die Frage, was denn Arbeit überhaupt ist? Kommt es wirklich darauf an, noch effizienter und produktiver zu sein? Oder sind es gerade diese angeblich ineffizienten Interaktionen, die eigentlich das ausmachen, was für viele Arbeit ist: ein Ort zwischenmenschlichen Austauschs.

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