Ska Keller treffe ich in ihrem Büro im achten Stockwerk des Brüsseler Abgeordnetenhauses. Mit 32 Jahren ist die grüne Politikerin eine der jüngsten Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Ihre zweckdienlich eingerichteten Büroräume teilt sie sich mit drei Mitarbeiterinnen und einer Praktikantin. An den Wänden hängen Landkarten und Informationsschaubilder zur EU. Ska Kellers politische Schwerpunkte sind Migration und die Beziehungen der EU zur Türkei. Zunächst will ich von ihr wissen, wie ihr typischer Tag im EU-Parlament aussieht. Entspannt lehnt sie sich zurück und zählt auf: „Wir machen Ausschussarbeit, wir betreuen Besuchergruppen, es kommen NGOs und Journalisten vorbei. Ich reise sehr viel und besuche Fraktions- und Plenarsitzungen. Ich stelle Änderungsanträge, schreibe Berichte, mache Öffentlichkeitsarbeit.“
Neben Brüssel sind Straßburg und Luxemburg Arbeitsorte des Europäischen Parlaments. Den Aufwand der monatlichen Plenartagungen im Straßburger Europaparlament kritisiert Keller als übertrieben: „Hier liegt ganz klares, großes Einsparpotential für die EU.“ Im einzigen, direkt gewählten Organ der Europäischen Union gehört sie zu den 766 Abgeordneten der 28 EU-Länder. Alle fünf Jahre werden die Kandidaten als demokratische Vertretung von den EU-Bürgern neu gewählt.
Das Parlament als Teil der EU-Institutionen
Gelegenheit für ihre bevorzugten Vertreter zu stimmen haben die Bürger bei der nächsten und damit achten Europawahl im Mai 2014. Ska Keller wurde jüngst bei den Vorwahlen ihrer Fraktion mit den meisten Stimmen als Spitzenkandidatin für den Europawahlkampf bestimmt. Neben der Europäischen Freien Allianz der Grünen, der Keller angehört, gibt es sechs weitere übernationale Fraktionen. Von etwa 160, im Europaparlament vertretenen, nationalen Parteien gehören 29 Abgeordnete keiner Fraktion an.
Gemeinsam mit dem Europäischen Rat ist das Parlament als Gesetzgeber tätig. Es übt Haushaltsbefugnisse aus und nimmt eine demokratische Kontrolle über die Europäische Kommission sowie eine politische Kontrolle über sämtliche EU-Institutionen, wie dem Rat, wahr. Ferner werden im Parlament über europäische Gesetze (Empfehlungen, Richtlinien und Verordnungen), gemeinschaftliche Haushaltsmittel, EU-Beitritte und das Einsetzen einer neuen Europäischen Kommission entschieden.
Obwohl das EU-Parlament die europäische Kommission berät und auch den Kommissionspräsidenten wählt, werden seine eingeschränkten Kompetenzfelder oft als ein Demokratiedefizit kritisiert. Anders als das deutsche Parlament, besitzt das Europäische kein unmittelbares Initiativrecht und kann deshalb keine eigenen Gesetzesvorlagen einbringen. Eine Einigung des Parlamentes mit der Kommission führte 2010 immerhin zu einem eingeschränkten Initiativrecht. Auf parlamentarischen Anstoß kann die Kommission innerhalb von zwölf Monaten einen Gesetzesvorwurf vorlegen, oder muss dessen Ablehnung nach drei Monaten detailliert begründen.
„Als Abgeordneter hat man ein intensives Leben“
Während Ska Keller hauptsächlich für das Bundesland Sachsen-Anhalt sowie Sachsen, Thüringen und Außengebiet in das EU-Parlament gewählt wurde, vertritt Axel Voss (CDU) die Städte Köln, Bonn und Leverkusen sowie den Rhein- Sieg und Rhein-Erft-Kreis als EU-Parlamentsabgeordneter.
Aktuell überarbeitet der 50-jährige Rechtsanwalt die EU-Datenschutzrichtlinien. Als ich ihn im Europaparlament bei einer öffentlichen Anhörung seiner Partei European People Party’s Group (Christian Democrats) treffe und nach einem typischen Tagesablauf im Parlament frage, erzählt er mir: „Als Abgeordneter hat man ein sehr intensives Leben. Von Freitag bis Sonntag wird in der Wahlregion gearbeitet und versucht Europa vor Ort zu repräsentieren. Brüssel oder Straßburg sind dann von Montag bis Donnerstagnachmittag an der Reihe. Als Rheinländer bin ich aufgrund der guten Erreichbarkeit von Brüssel privilegiert. Andere Abgeordnete kommen zum Beispiel aus Nordfinnland, Südgriechenland, oder Madeira. Sie haben erschwerte An- und Abreisebedingungen. Ich bin mit einem stets vollen Terminkalender sehr an zeitliche Vorgaben gebunden.“
Sowohl Ska Keller als auch Axel Voss versuchen beide durch offensive Pressearbeit oder soziale Medien den Bürgern die Arbeit der EU näherzubringen. Nicht nur die Komplexität der Verfahrensabläufe, sondern jene innerhalb der Kulturen möchte Axel Voss seinen Wählern näherbringen: „Es geht um ein Verständnis von der Existenz anderer Systeme und Kulturen in verschiedenen Ländern. Ich versuche einen Einblick anhand bestimmter Probleme zu geben, die ich in meiner Zeit als Bürgerberater der Europäischen Kommission erlebt habe. Obwohl inhaltlich sinnvoll, wird eine Durchsetzung eigener Anliegen oft schwierig, wenn sie von anderen Abgeordneten mit anderen politischen Systemen nicht verstanden werden.“
Ska Keller möchte den Fokus ihrer Arbeit auf Konfliktpunkte zwischen den einzelnen Parteien lenken. „Ich stelle heraus, was für einen Unterschied es macht, ob ich nun die Grünen wähle oder eine andere Partei“, erklärt sie ihre Methode. Darüber hinaus arbeiten die Abgeordneten fraktionsübergreifend in Ausschüssen oder Intergruppen zu thematischen Schwerpunkten. Im Mai haben wir die Möglichkeit, das intensive Leben im Europäischen Parlament bei der Europawahl zu beeinflussen.
Mehr Infos und die ausführlichen Gespräche mit Ska Keller und Axel Voss erschienen beim Online-Magazin Campus Web.
Foto: European Parliament
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