Finnland: Experiment Grundeinkommen

, von  Cédric Dufréchou, übersetzt von Stéphanie-Fabienne Lacombe

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Finnland: Experiment Grundeinkommen

In Finnland wird seit 1. Januar diesen Jahres das bedingungslose Grundeinkommen ausprobiert. 2000 Arbeitslosen soll es ausgezahlt werden. Ein lang erwartetes Experiment, denn die Idee findet in mehreren europäischen Ländern hohen Zuspruch.

Eine alte Idee, jetzt neu aufgelegt

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist, jedem Bürger, unabhängig von finanziellen Bedingungen, monatlich eine Geldsumme auszuzahlen, die ihm frei zur Verfügung steht. Das Konzept klingt modern, geht aber schon auf Thomas Mores „Utopia“ von 1516 zurück, in dem der Autor sich eine Insel ausmalt, deren Bewohner ohne Lohnarbeit leben können. Im 19. Jahrhundert kamen Denker auf die Idee, jedem Bürger eine „Territorialdividende“ auszuzahlen. Im 20. Jahrhundert wurde das Grundeinkommen weiter gedacht: der liberale Ökonom Milton Friedman schlug eine Negativsteuer vor, um gegen Armut vorzugehen, ohne den Markt zu beeinträchtigen. 1971 appellierte der Philosoph John Rawls an die Regierungen, ein Sozialeinkommen zu verteilen, um eine reale Chancengleichheit zu ermöglichen. Diese theoretische Entwicklung des Konzepts hat sich heute bereits materialisiert. Im Iran und in Koweit werden Dividenden verteilt und in North Carolina zum Beispiel werden die Einnahmen von Casinos an die Cherokee-Indianer ausgezahlt. Der Erfolg ist messbar: die Gesundheit der Empfänger hat sich verbessert und es gelingt mehr Bürgern ein Abschluss. Ähnliche Effekte konnten in anderen Ländern und Testregionen festgestellt werden. In Namibia war das Ergebnis besonders interessant: von 2008 bis 2010 wurden während eines Pilotprojekts jedem Einwohner der Dorfgemeinschaft Otjivero-Omitara 100 Namibia-Dollar zur Verfügung gestellt. Das Resultat erstaunte die Kritiker des Bedingungslosen Grundeinkommens. Denn anstatt Arbeitslosigkeit zu fördern, wurde diese verringert, denn in der Region florierten bald zahlreiche kleine Unternehmen.

Letzte Chance für Finnland?

Im Kontext wachsender Ungleichheit und der Notwendigkeit den Sozialstaat an veränderte sozioökonomische Bedingungen anzupassen, erhält das Grundeinkommen in Europa immer mehr Zuspruch. Überraschend ist dabei, dass es Parteigrenzen überschreitet. Der linke Flügel sieht im Grundeinkommen eine Möglichkeit, sich aus der Lohnarbeit zu befreien und sich anderen Aufgaben zu widmen, die der Gesellschaft dienen (Familie, Vereine usw.). Der rechte Flügel sieht die Möglichkeit, die Sozialversicherung zu vereinfachen und bürokratisch zu entschlacken, sowie den Individuen ihre Verantwortung bewusst zu machen. Für Finnland ist die Hoffnung noch eine andere: nämlich die marode Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Der Musterschüler der EU hat plötzlich mit einer Arbeitslosigkeit von 10% zu kämpfen. Auch das Wirtschaftswachstum stagniert und hatte 2015 drei Rezessionsjahre hinter sich. Die Papierindustrie hält nicht mehr mit, und der Handyhersteller Nokia hat die Wende zum Smartphone verpasst. Die Exporte in Richtung Russland, einem Haupthandelspartner Finnlands, sinken im Zuge der Krise und wirtschaftlicher Sanktionen. Konkurrent Schweden hat seine Wettbewerbsfähigkeit im Zuge der Abwertung der Krone wiederhergestellt. Die Mitte-rechts Regierung, die seit April 2015 an der Macht ist, strebt nach Veränderung. Nachdem Anfang 2016 ein harte Sparmaßnahmen verabschiedet wurden setzt Premierminister Juha Sipilä nun auf das Grundeinkommen um den Arbeitsmarkt zu revitalisieren. Er appellierte an die Wähler, „Mut zu zeigen und neue Lösungen auszuprobieren“ und möchte das Sozial- und Steuersystem umgestalten, um den Arbeitsmarkt attraktiver zu machen. Nun wird seit 1. Januar das Grundeinkommen an 2000 Arbeitslose ausgezahlt, dazuverdienen kann man ohne Abzüge.

Eine liberale Maßnahme

Das Ziel des Experiments ist klar: den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und die Bürokratie des Sozialsystems entschlacken. Die Regierung setzt darauf, dass die Begünstigten eine Teilzeitarbeit oder eine geringere Bezahlung annehmen werden, was den Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgeben würde. Eine weitere Hoffnung ist, dass Innovation und Unternehmensgründungen gefördert werden, da im Falle eines Fehlschlags oder holprigen Starts das Grundeinkommen als Sicherung gelten könnte. Diese Sicht des Projekts verärgert so manch linke Gewerkschaft und Partei. Das Grundeinkommen von 560€ monatlich wird neben Wohngeld und Sozialleistungen zusätzlich gezahlt. Wenn man die Lebenshaltungskosten des Landes kennt, scheint diese Summe nicht gerade üppig. Die Gewerkschaften kritisieren, dass die Vereinfachung der Sozialleistungen eine Verschlechterung bedeuten werde und dass Studenten oder Teilzeitarbeitende vom Experiment ausgeschlossen wurden.

Die Regierung antwortet, dass, sollte das Experiment Früchte tragen, das bedingungslose Grundeinkommen auf alle Bürger ausgeweitet würde. Die Unterstützer der Reform zeigen einige Lücken im eigentlich sehr großzügigen finnischen Sozialsystem auf. So können zum Beispiel Kleinunternehmer, die sich oft in einer prekären Lage befinden, kein Arbeitslosengeld beziehen. Das Grundeinkommen würde deren finanziellen Nöte verringern. In Wahrheit können Gewinner und Verlierer der Reform nur dann bestimmt werden, wenn man sich mit der Finanzierung des Grundeinkommens beschäftigt. Die Testphase wird rund 20 Millionen Euro kosten, aber wenn das Grundeinkommen auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt werden soll, wird Veränderung nötig. Einerseits könnte eine Pauschalsteuer von 43% des Gehalts erhoben werden, diese würde aber Geringverdiener schlechter stellen. Stattdessen könnte die progressive Einkommenssteuer erhöht werden. In diesem Fall würden quasi nur die Geringverdiener vom Grundeinkommen profitieren, wenn es bei der getesteten Summe bleibt. Bei mehr als 3300 Euro brutto, dem Medianeinkommen des Landes, würde der durch das Grundeinkommen geschaffene finanzielle Vorteil durch die höhere Steuer konterkariert.

Ihr Kommentar
  • Am 17. Februar 2017 um 11:29, von  Sierra Als Antwort Finnland: Experiment Grundeinkommen

    naja, eine andere möglichkeit der besteuerung, die man mit nem grundeinkommen gleich mitliefern könnte (die aber leider viel zu wenig diskutiert wird), wäre es, nicht das, was jemand an seiner (Arbeits)kraft in die gesellschaft hineinsteckt zu besteuern, sondern das, was jemand an ressourcen und umwelt aus der gesellschaft verbraucht.

    wenn man diese besteuerung dann unterteilt in gering besteuerte, lebensnotwendige dinge und teuer besteuerte luxuswaren (bzw vom wert der waren abhängig macht), wäre das nicht auch eine (eigentlich viel fairere) möglichkeit zu besteuern?

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