Interview zum Arbeitszeitmodell in Belgien

4-Tage-Woche: Freitage frei!

, von  Lina Abraham

4-Tage-Woche: Freitage frei!
Freitags frei und nur vier Tage die Woche arbeiten - in Belgien ist das jetzt möglich. Foto: Unsplash / Headway / Lizenz

In Deutschland wird an der Fünf-Tage-Woche seit mehr als 50 Jahren nicht gerüttelt. Wer Vollzeit arbeitet tut dies in der Regel von Montag bis Freitag, jeweils acht Stunden. Nicht alle Länder in Europa sehen dies so streng.

Bereits letztes Jahr führte Spanien im Zuge eines Pilotprojektes die Vier-Tage-Woche für 200 Unternehmen ein. Belgien zieht jetzt nach. Dort dürfen sich Arbeitnehmer*innen nun verbindlich einen Tag in der Woche freinehmen. Im Gegensatz zu Spanien bleibt die Arbeitszeit jedoch gleich und steigt bei einer Vier-Tage-Woche von täglich acht auf zehn Stunden. Dies soll dennoch zu mehr Flexibilität im Arbeitsalltag führen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Gleichzeitig soll die Motivation der Arbeitnehmer*innen steigen und die Produktivität dadurch verbessert werden – und somit auch den Arbeitgeber*innen nutzen. Klingt phantastisch oder etwa nicht?

Ob dieses Konzept wirklich aufgeht und auch ein Zukunftsmodell für Deutschland darstellen könnte, hat treffpunkteuropa.de Dr. Stephan Thomsen gefragt. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Leibniz Universität Hannover und Research Associate am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.

treffpunkteuropa.de: Für immer langes Wochenende! Weniger wird die Arbeitszeit dadurch nicht, man darf sie nur stärker konzentrieren. Kann man dann überhaupt von einer großen Reform des Arbeitsmarktes sprechen?

Dr. Stephan Thomsen: Eine verpflichtende Einführung halte ich für schwierig. Bei einem liberalen Staat, wie wir ihn in Deutschland haben, schließen zwei Parteien im Sinne der Privatautonomie untereinander einen Vertrag und zwar so wie sie es für richtig halten - vier Tage, fünf Tage, wie sie wollen. Es gibt aus gutem Grund den Arbeitsschutz, der eine Höchstarbeitszeit und die Sonntagsfreiheit festlegt. Auch unser wirtschaftliches Gesamtsystem orientiert sich an fünf Arbeitstagen. Eine sprunghafte Veränderung auf vier Arbeitstage, in der dieselbe Art von Leistung verlangt wird, bedenkt viele Dinge nicht mit.

Zum einen gibt es nur ein bestimmtes Spektrum an Berufen, die eine gewisse Eigenverantwortlichkeit aufweisen und sich ihre Arbeitszeit problemlos aufteilen können. Aber selbst bei freien und eigenständigen Berufen stellt sich beispielsweise die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir haben jetzt schon Probleme durch zu wenig Kitaplätze und Angebote der Kinderbetreuung. Dies wird nicht dadurch gelöst, dass eine Erziehungskraft an einem Tag zwei Stunden länger bleibt und dafür freitags frei hat. Zum anderen wird die Belastbarkeit der Arbeitsnehmer*innen zu wenig bedacht. Ich komme sehr schnell zu dem Schluss, dass ein solches System nicht generell für die ganze Wirtschaft gelten kann.

Allerdings gibt es in Belgien keine Pflicht, sondern nur ein Recht darauf sich einen Tag mehr frei zu nehmen. Man muss dies also nicht tun.

Ja, aber was passiert, wenn sich ein Teil der Belegschaft dieses Recht herausnimmt, der andere jedoch nicht? Wenn ein*e Arbeitnehmer*in für ein Projekt alleine zuständig ist, mag dies funktionieren. Bei kleinteiligen Arbeitspaketen, in denen viele Arbeitsschritte ineinandergreifen, entsteht jedoch ein unglaublich hoher Koordinationsaufwand. Gerade bei kleineren Betrieben, in denen eine oder zwei abwesende Personen schon 20% der Belegschaft ausmachen, ist dies problematisch. Ich glaube, dass durch ein solches Modell nicht die Produktivität erhöht werden kann, sondern eher, dass einiges an Produktivität verloren gehen würde.

Sie haben bereits die unterschiedlichen Spektren von Berufen angesprochen. Bezogen auf das Stichwort Produktivität – Kann man beispielsweise von Pflegekräften verlangen noch mehr Menschen in noch weniger Zeit zu betreuen?

Jeder Beruf ist anstrengend und herausfordernd, nicht nur der von Pflegekräften. Nehmen wir beispielsweise einen LKW-Fahrer. Dieser hat fest definierte Ruhephasen. Bei allen manuellen, körperlichen Tätigkeiten ist es kaum denkbar noch mehr zu arbeiten. Die Fünf-Tage-Woche wurde ja gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen einer Arbeitergesellschaft eingeführt, in der es normal war, 48 oder mehr Stunden in der Woche zu arbeiten, allerdings an sechs Tagen. Dies hatte einen unglaublich hohen körperlichen Verschleiß zur Folge. Eine Vier-Tage-Woche, in der täglich zehn Stunden gearbeitet werden, würde das Rad wieder zurückdrehen. Keiner kann genau vorhersagen, was es langfristig bedeuten würde zehn Stunden am Tag zu arbeiten.

Die jährlichen Auswertungen der Krankenkassen stimmen Ihnen da zu. Gerade Erschöpfung und mentaler Stress haben in den letzten Jahren im Arbeitsalltag zugenommen. Müsste sich erst unsere (Leistungs-)Gesellschaft verändern, bevor die Arbeitszeit komprimiert werden kann?

Der Leistungsdruck, den wir verspüren, liegt an unserem Wohlstand und unseren Wohlstandserwartungen. Wir haben umlagefinanzierte Sozialversicherungssysteme, die unglaublich aufwändig sind und immer aufwändiger werden. Nehmen Sie die Rentenfinanzierung, die ca. 20% des Einkommens ausmacht, aber bereits heute einen dreistelligen Milliardenzuschuss aus Steuermitteln jährlich erfordert. Jetzt, wenn die Babyboomer nach und nach aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, werden diese Belastungen weiter steigen. Eine Vier-Tage-Woche passt nicht zu unserer alternden Gesellschaft.

Natürlich ist es legitim zu überlegen, ob in einer sich verändernden Gesellschaft andere Ansprüche an Gleichberechtigung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestellt werden. Individuell kann man auch jetzt schon die Arbeitszeit reduzieren. Beispielsweise können beiden Elternteile in Teilzeit gehen, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Dann müssen sie aber auch bereit sein, individuell auf einen Teil ihres Wohlstandes oder ihrer Rentenansprüche zu verzichten.

Die Pandemie hat das Rad zurückgedreht: In den letzten zwei Jahren haben insbesondere Mütter reihenweise ihre Arbeitszeit reduziert und die Familie aufgefangen, während die meisten Väter weiter voll gearbeitet haben. Würde eine verbindliche Vier-Tage-Woche es Vätern erleichtern, sich einen Tag für die Familie einzuplanen?

Als Ökonom kann ich nur auf das sogenannte „Anreizmodell“ verweisen. Simpel und sehr verkürzt erklärt ist der Grund warum Mütter vermehrt zu Hause bleiben und Väter weiter zur Arbeit gehen, der Unterschied des Arbeitseinkommens. Es wird immer derjenige weiterarbeiten, der auswärts pro Stunde mehr verdient. Der Gender Pay Gap fördert dementsprechend ein solches Verhalten. Solange dieser nicht aufgelöst wird, gibt es weniger Anreize für Väter zu Hause zu bleiben. Deshalb muss an der Ursache angesetzt werden. Sowohl die fehlende Kinderbetreuung und der erschwerte Wiedereinstieg in das Berufsleben als auch das gesellschaftliche Verständnis, dass die Mutter zu Hause beim kranken Kind bleibt, spielen eine Rolle. Dementsprechend würde ein Modell der Vier-Tage-Woche die Geschlechter nicht gleichmäßig erreichen und bestehende Unterschiede vermutlich nur noch weiter verschärfen.

Die Vier-Tage-Woche soll die Zivilgesellschaft fördern. Ein zusätzliches Ehrenamt, eine neue Sprache oder mehr politisches Engagement - Was würden Sie mit einem zusätzlichen Tag Wochenende machen?

Ich kenne die Argumente, aber ich glaube nicht, dass die Arbeitszeit dabei der limitierende Faktor ist. Wenn die schon angesprochene Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht besser wird, wird die Hoffnung, dass nun auf einmal unglaublich viel ehrenamtliches Engagement entsteht, enttäuscht werden. Die Arbeitslast im Beruf und zu Hause bleibt ja dieselbe.

Und was ich persönlich tun würde: Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht was ich jetzt mit einem Tag mehr Wochenende mehr machen würde. Mein Beruf ist jetzt schon sehr flexibel. Ich bin zufrieden mit dem, wie es gerade ist.

Vielen Dank für das Gespräch Herr Dr. Thomsen!

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