Ioane Teitiota hätte Geschichte schreiben können: Der Mann wollte als erster Mensch als Klimaflüchtling anerkannt werden, um Asyl in Neuseeland zu erhalten. Sein Heimatland Kiribati, ein Inselstaat im Pazifik, sei aufgrund des steigenden Meeresspiegels unbewohnbar, so das Argument. Tatsächlich wird nach Meinung von Experten Teitiotas Heimat in wenigen Jahrzehnten nur noch als eine Sandbank im Ozean existieren. Die Richter in Auckland lehnten seinen Antrag dennoch ab. Begründung: Flucht vor Wasser fällt nicht unter die UN-Flüchtlingskonvention.
Wenn auch juristisch (noch) nicht anerkannt, so befinden sich Schätzungen zufolge bereits heute 50 Millionen Menschen aufgrund des Klimas auf der Flucht. Steigen die globalen Temperaturen weiter wie bisher, könnten es 2050 viermal so viele sein. Im Kampf gegen diese dramatischen Folgen des Klimawandels hat die EU-Kommission vergangene Woche den ersten Vorstoß in Richtung „Klimaziele 2030“ gewagt. Nach Vorstellung Barrosos und den zwei zuständigen Kommissaren Connie Hedegaard und Günther Oettinger soll bis 2030 der CO2-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 sinken. Zudem soll der Marktanteil an Erneuerbaren Energien auf 27 Prozent im Durchschnitt europaweit steigen. Inwieweit die Energieeffizienz verbessert werden soll ließ die Kommission zunächst offen.
Die Regelungen werden die bisherigen Vorgaben ersetzen, die bis 2020 gelten. Bis dahin soll der Anteil an Erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz in jedem Mitgliedsland um 20 Prozent gegenüber 1990 steigen. Gleichzeitig wird der Ausstoß an Treibhausgasen um 20 Prozent reduziert.
Wenig ambitionierte Ziele
Nicht nur das Fehlen fester Vorgaben für die einzelnen Mitgliedsstaaten in Sachen Ausbau Erneuerbare Energien wird von Klimaschützern am jetzigen Vorstoß der Kommission kritisiert. Sie erwarten ein zermürbendes Feilschen in Brüssel um jeden Prozentpunkt, welchen Anteil jeder Mitgliedsstaat an den vorgegebenen Durchschnittswert tragen muss. Auch bleiben die Vorstellungen ihres Erachtens weit hinter den zwingend Notwendigen zurück. So muss die EU bis 2050 die CO2-Emissionen um mindestens 80 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Das ist Europas Beitrag zum Zwei-Grad-Ziel. Ausgehend von 40 Prozent im Jahr 2030 ist das kaum machbar, heißt es von Umweltschutzseite.
Selbst das verlautbarte 40-Prozent-Ziel ist laut Expertenmeinung nur Augenwischerei. Auf 33 Prozent schmilzt dieses ab, werden die überschüssigen CO2-Zertifikate mit eingerechnet, die zur Stabilisierung des Emissionshandels vorübergehend vom Markt genommen worden.
Klimaschützer fordern aus diesen Gründen ein Reduktions-Ziel von mindestens 55 Prozent. Außerdem soll der Anteil an Erneuerbaren Energien bis 2030 in jedem Mitgliedsland bei 45 Prozent liegen.
Vorreiterrolle ade?
Die Kritik mag einleuchten, umso verständlicher ist aber die Haltung der Kommissare. Sie möchten europakritischen Kräften kurz vor der Europawahl keinen Auftrieb gewähren, indem sie Staaten ihren zukünftigen Energiemix vorschreiben. So setzen Großbritannien und Frankreich weiterhin auf Kernkraft, während Polen an seiner Kohle festhält. Müssten diese Länder laut Europäischem Gesetz einen hohen Anteil an regenerativen Energien in ihre Stromnetze einspeisen, würde dies einen radikalen Schnitt mit ihrer bisherigen Politik bedeuten. Ein unzumutbarer Eingriff von Seiten der EU in nationale Angelegenheiten, der bestehenden Ressentiments neue Argumente liefert.
Kopfzerbrechen bereitet der Kommission zudem die steigenden Energiekosten. Europäische Unternehmen zahlen bereits jetzt drei bis vier Mal so viel für Gas und doppelt so viel für Strom wie ihre Konkurrenten in den USA. Das gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Staatengemeinschaft, zumal Brüssel jüngst in einem Grundsatzpapier ein klares Bekenntnis zur stromintensiven Industrie geliefert hat. Das produzierende Gewerbe soll demnach die Union in Zukunft krisenfester und wettbewerbsfähiger machen, denn: „Ohne eine starke industrielle Basis wird Europa nicht prosperieren können“, heißt es darin. Rigorose Klimaziele würden die Energiekosten jedoch weiter in die Höhe treiben und die Preis-Kluft zwischen den USA und der EU vergrößern.
Die Kommission versucht mit ihren Vorschlägen den Spagat zwischen der Bewältigung der derzeitigen Problemlagen und einer verantwortlichen Haltung gegenüber zukünftigen Generationen zu meistern. Nun liegt es am Europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten, den Schwerpunkt festzulegen. Sie haben die letztendliche Entscheidungsgewalt. Bereits Ende März wird sich zeigen, welche Position die Staats- und Regierungschefs einnehmen werden. Dann nämlich tagt der Europäische Rat.
1. Am 6. Februar 2014 um 14:32, von Anne Als Antwort Klimaziele 2030: Heute Frieden, morgen Chaos
Ein guter Artikel, der die Komplexität des ganzen Thema sehr differenziert und dennoch gut lesbar darstellt, und somit einen umfassenden Überblick über die Materie bildet. Vielen Dank für diesen Beitrag! ,)
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