Europawahlkampf 2024

Linkspopulismus: Die übersehene Gefahr für Europa?

, von  Benedikt Putz

Linkspopulismus: Die übersehene Gefahr für Europa?
Linkspopulist*innen wie Sahra Wagenknecht oder Jean-Luc Mélenchon profilieren sich aktuell durch ihre Ablehnung weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine Foto: Wikimedia Commons, Thomas Bresson / Wikimedia Commons, Sandro Halank / Wikimedia Commons, kremlin.ru / Copyright, erstellt mit Canva Pro

Mit Sahra Wagenknechts neuer Partei gibt es in Deutschland einen neuen Player auf dem politischen Spielfeld. Sie setzt auf eine programmatische Mischung aus klassisch linken Positionen und einem konservativen Gesellschaftsbild. Hinzu kommt ein populistischer Politikstil, der bei den großen Themen unserer Zeit auf einfache Antworten setzt. Das ist neu in Deutschland. Mit Blick auf andere EU-Mitgliedstaaten kann von einer Neuheit jedoch nicht die Rede sein. Doch wie stark ist der Linkspopulismus in der EU im Wahljahr 2024? Was zeichnet ihn aus? Und welche Gefahren birgt er für die Zukunft Europas?

In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Populismus oft in die rechte Ecke gestellt. Und das zu Recht. In allen EU-Mitgliedstaaten sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch. Doch der Populismus ist kein rein rechtes Phänomen. Auch der politischen Linken ist das einfache-Antworten-auf-komplexe-Fragen-geben keineswegs fremd. Spätestens seit dem kometenhaften Aufstieg der griechischen Syriza im Zuge der Eurokrise ist der Linkspopulismus im europäischen Mainstream angekommen. Aber noch nie war der Linkspopulismus in der EU so stark wie heute.

Linke gegen die EU – worauf beruht dieser Populismus?

Traditionell sind linkspopulistische Bewegungen vor allem in Lateinamerika zu finden. Die Beispiele reichen hier vom eher gemäßigten ehemaligen bolivianischen Präsidenten Evo Morales bis hin zum venezolanischen Diktator Nicolás Maduro. Die politischen Inhalte könnten dabei oft nicht unterschiedlicher sein. Sie alle vereint jedoch ein Politikstil, der den vermeintlichen „Volkswillen“ in den Mittelpunkt stellt und die Einhaltung demokratischer Prozesse als zweitrangig betrachtet.

Der ehemalige venezolanische Präsident Hugo Chávez war einer der bekanntesten Vertreter des lateinamerikanischen Linkspopulismus
Foto: Wikimedia Commons / Valter Campanato/ABr / Copyright

In der EU steckt der Linkspopulismus im Vergleich dazu noch in den Kinderschuhen. Die ideologische Grundlage für den europäischen Linkspopulismus schuf die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe mit ihrem Buch Für einen linken Populismus. Darin spricht sie sich dafür aus, dass auch die politische Linke vermehrt auf einen populistischen Politikstil setzen soll. Im Gegensatz zum Rechtspopulismus werden dabei jedoch nicht Migrant*innen zum Feindbild des „Volkes“ erklärt, sondern die neoliberalen Wirtschaftseliten.

Was Links- und Rechtspopulismus verbindet, ist eine ablehnende Haltung gegenüber der EU. In den Augen des Rechtspopulismus ist sie eine Gefahr für den Nationalstaat – die wichtigste politische Einheit. Auch der Linkspopulismus rückt den Nationalstaat in den Mittelpunkt, wenn auch nicht aufgrund ethnischer Argumente. Vielmehr spielen volkswirtschaftliche Forderungen hier eine wichtige Rolle. Die EU sei demnach ein System, dass aus Brüssel die Interessen der Bürger*innen vor Ort untergrabe. Stattdessen müsse die eigene Wirtschaft durch protektionistische Maßnahmen wie die Wiedereinführung von Importzöllen vor den Auswirkungen der Globalisierung geschützt werden.

Wie der Rechtspopulismus profiliert sich der Linkspopulismus aber vor allem in Krisen. Die Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist dafür das beste Beispiel. Mit polarisierenden Reden machte die ehemalige Die Linke-Politikerin seit Jahren auf sich aufmerksam. Zur Abspaltung kam es jedoch erst, nachdem sich Wagenknecht in den vielen Krisen unserer Zeit – Corona, Migration, Ukraine – ein Profil schärfen konnte, das es so bei keiner anderen Partei gibt. Linkspopulistische Parteien sind also vor allem Anti-Bewegungen, die in Krisenzeiten aus dem Boden sprießen.

In welchen Ländern ist der Linkspopulismus besonders stark?

Stark sind die linkspopulistischen Parteien vor allem dort, wo es Probleme gibt. Wenn die traditionellen sozialdemokratischen Parteien dann keine Antworten auf diese Probleme finden, ist der Nährboden für den Linkspopulismus gesät. So geschehen im Zuge der Eurokrise in Griechenland: Die Partei Syriza rund um Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis gewann die Parlamentswahl 2015 und führte daraufhin eine Koalitionsregierung an. Besondere Bekanntheit erlangte sie durch ihre harte Ablehnung gegenüber den von der EU angeordneten Sparmaßnahmen. Bei der letzten Parlamentswahl im Juni 2023 wurde die Syriza mit knapp 18% zwar zweitstärkste Partei – im Vergleich zu den 36% 2015 sind das jedoch große Verluste.

Drei Jahre nach dem Wahlerfolg der Syriza in Griechenland siegte bei den italienischen Parlamentswahlen ebenfalls eine linkspopulistische Partei. Die vom Kabarettisten und Komiker Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung profitierte vor allem von der starken Unzufriedenheit im Land. In Zeiten schwachen Wirtschaftswachstums und hoher Arbeitslosigkeit zog die Fünf-Sterne-Bewegung viele Unzufriedene an, die kein Vertrauen mehr in die etablierten Parteien hatten. Ähnlich wie bei der Syriza in Griechenland war der Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung jedoch von kurzer Dauer. Nachdem die Koalition mit der rechtspopulistischen Lega bereits nach einem Jahr scheiterte, war auch die Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen Demokratischen Partei nicht von Erfolg gekrönt. Bei der Parlamentswahl 2022 landete die Fünf-Sterne-Bewegung mit 15% auf dem dritten Platz.

Beppe Grillo machte mit seinem Vaffanculo-Day („Leck mich am Arsch-Tag“) auf die Korruption in Italien aufmerksam
Foto: Wikimedia Commons / piero tasso / Copyright

Aktuell gibt es in der EU nur einen linkspopulistischen Regierungschef: Robert Fico in der Slowakei. Bei der letztjährigen Parlamentswahl wurde seine Partei Smer – SD mit 23% stärkste Kraft. Im Anschluss konnte Fico zusammen mit der Mitte-Links-Partei Hlas – SD und der rechtsnationalen Slowakischen Nationalpartei eine Regierung bilden. Die programmatische Ausrichtung dieses Bündnisses ist immer noch schwer einzuordnen. Während die drei Parteien sich grundsätzlich zu EU und NATO bekennen, setzen sie auf eine stark nationale Rhetorik. Besonders Fico fiel im Wahlkampf durch seine ablehnende Haltung gegenüber weiterer Unterstützung für die Ukraine auf – eine Position, die linkspopulistischen Parteien in der gesamten EU derzeit großen Zulauf zu bescheren scheint.

2024: Das Jahr des Linkspopulismus in der EU?

Im Zuge des Europawahlkampfes 2024 könnte der Linkspopulismus eine prägende Rolle spielen. Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Unsicherheiten und sozialen Spannungen, die Europa in den letzten Jahren erlebt hat, finden linkspopulistische Parteien einen fruchtbaren Boden für ihre Botschaften. Diese Parteien könnten vor allem dort an Bedeutung gewinnen, wo die traditionellen sozialdemokratischen Parteien an Zustimmung verloren haben und die Unzufriedenheit mit der Politik groß ist.

Die Linken im Europaparlament sammeln sich derzeit in der GUE/NGL-Fraktion. Wird es nach der Wahl eine eigene linkspopulistische Fraktion geben?
Foto: Wikimedia Commons / GUE/NGL / Copyright

Die Strategie der linkspopulistischen Parteien im Europawahlkampf dürfte darauf abzielen, die Unzufriedenheit mit der EU, insbesondere in Bezug auf ökonomische Fragen und die wahrgenommene Distanz zwischen den Entscheidungen in Brüssel und den Bedürfnissen der Menschen vor Ort, zu kanalisieren. Besonders interessant wird jedoch zu beobachten sein, wie einig sich die linkspopulistischen Parteien sind. Welcher Fraktion wird sich zum Beispiel das BSW im Europaparlament anschließen? Oder wird es eine eigene linkspopulistische Fraktion geben? Es ist davon auszugehen, dass der Linkspopulismus das politische Gefüge Europas 2024 entscheidend prägen wird.

Der Linkspopulismus birgt dabei erhebliche Risiken für die Zukunft Europas. Durch seine herausfordernde Haltung gegenüber etablierten Autoritäten könnte der Linkspopulismus zur Erosion des Vertrauens in die europäischen Institutionen und durch die Verschärfung sozialer Spannungen die politische Stabilität Europas gefährden. Zudem könnte die Befürwortung einer protektionistischen Wirtschaftspolitik die europäische Integration untergraben, indem sie den freien Handel behindert und nationale Alleingänge fördert. Damit unterscheidet sich der Linkspopulismus zwar inhaltlich vom Rechtspopulismus, die Konsequenz ist jedoch dieselbe: Die EU soll geschwächt und der Nationalstaat gestärkt werden.

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