Der Abhörskandal und seine Konsequenzen
Als bekannt wurde, dass die USA ihre europäischen Verbündeten seit Jahren umfassend ausspionieren, war die Empörung groß. Laut geheimer Dokumente werden nicht nur riesige Mengen sensibler Daten von EU-Bürgern durch den amerikanischen Geheimdienst NSA gesammelt; allein in Deutschland ist von rund 500 Millionen Verbindungen pro Monat die Rede. Auch Regierungen, diplomatische Vertretungen und interne Computernetzwerke sind betroffen. Erst nach und nach offenbarte sich das erschreckende Ausmaß der amerikanischen Geheimdienstaktivitäten.
Angesichts des lauten Medienechos und der öffentlichen Empörung zahlreicher, hochrangiger Politiker waren die tatsächlich getroffenen Maßnahmen allerdings erstaunlich vorsichtig. Zwar wurden einige US-Diplomaten einbestellt, doch zu nachhaltigen Konsequenzen kam es nicht. Ein EU-Gipfel, auf dem das Thema auf der Tagesordnung stand, förderte ebenfalls kaum Brauchbares zu Tage. Die Forderung des EU-Parlaments, die Verhandlungen um das SWIFT-Abkommen auszusetzen, fand nur wenig Zuspruch auf Seiten der Europäischen Kommission und den Staats- und Regierungschefs. Stattdessen wurde einmütig die Wichtigkeit eines transatlantischen Bündnisses betont. Kritik sieht anders aus.
No-Spy-Abkommen? Nein, danke!
Aufgrund der Spionage fühlte sich besonders Deutschland hintergegangen, schließlich ist das Land einer der bedeutendsten amerikanischen Handelspartner und Verbündeten. Schnell wurden daher Forderungen nach einem „No-Spy-Abkommen“ laut, welches die USA verpflichten sollte, deutsche Bürger und insbesondere die Regierung nicht mehr auszuspähen. Letztendlich erteilten die Vereinigten Staaten dem Vorhaben jedoch eine Absage. Wirkliche Enttäuschung machte sich in Deutschland nicht breit, war ein solcher Ausgang doch bereits erwartet worden. Der deutschen Regierung blieb nichts anderes übrig, als die amerikanische Position zähneknirschend zu akzeptieren.
Die außenpolitische Schwäche der USA könnte der EU nutzen
Den vorerst letzten Tiefpunkt im europäisch-amerikanischen Verhältnis markiert der verbale Ausrutscher der US-Diplomatin Victoria Nuland, die im amerikanischen Außenministerium für Europa zuständig ist. In einem Gespräch mit dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, empörte sie sich über die Einmischung der EU in den Ukraine-Konflikt mit den Worten „Fuck the EU“. Statt einer europäischen Vermittlerrolle forderte sie eine stärkere Beteiligung der Vereinten Nationen an der Lösung des Konflikts. In den Augen der USA agierte die EU in dem Konflikt nicht entschlossen genug.
Die Kritik offenbart die Schwierigkeit des Westens, in außenpolitischen Angelegenheiten eine gemeinsame Position zu vertreten. Während die EU seit Jahren mit ihrer internen Konsensfindung hadert, fällt es auch den Amerikanern zunehmend schwer, international Stellung zu beziehen. Die Vereinigten Staaten nutzen ihre Rolle als globale Supermacht zwar, um Konsequenzen zu fordern oder mit Sanktionen zu drohen, jedoch bleiben sie immer öfter hinter ihren eigenen Ankündigungen zurück. Besonders deutlich wurde dies im Syrien-Konflikt. US-Präsident Barack Obama hatte im Jahr 2012 erklärt, mit dem Einsatz von Chemiewaffen sei für ihn eine rote Linie überschritten. Als von der UN entsandte Inspektoren jedoch im Sommer 2013 den Einsatz des Giftgases Sarin bestätigten, zögerte der Präsident einen angedrohten Militäreinsatz hinaus und begrub die Idee letztendlich komplett.
Angesichts dieser außenpolitischen Schwäche hat die EU deshalb die Chance, ihre Rolle als starker, außenpolitischer Akteur neu zu definieren. Diese wurde bisher vor allem durch die uneinheitliche Meinung der Mitgliedsstaaten geschwächt. Eine Blamage war beispielsweise das Votum über den Beitritt Palästinas zur UNESCO im November 2011, bei dem sich selbst die führenden europäischen Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien nicht einig waren. Zweifellos funktioniert die Abstimmung der unterschiedlichen Interessen also noch nicht reibungslos, zumal Außenpolitik traditionell eine nationalstaatliche Aufgabe ist. Allerdings haben die Verhandlungen in der Ukraine gezeigt, dass die EU ihre Führungsrolle durchaus mit Erfolg wahrnehmen kann. Schließlich waren es die Chefdiplomaten aus Deutschland, Frankreich und Polen, die maßgeblich zu der Einigung zwischen Opposition und Regierung beigetragen hatten. In Zukunft sollten am Verhandlungstisch aber nicht nationale Außenminister sitzen, sondern die Inhaber europäischer Ämter wie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton oder EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle.
Konsequenzen für die Zukunft
Die Vorkommnisse der vergangenen Monate haben die transatlantischen Beziehungen äußerst strapaziert. Gerade jetzt ist es deshalb für die internationale Rolle der EU wichtig, dass jene sich stärker profiliert, um unabhängiger agieren zu können. Bedeutende Signale hierfür wären beispielsweise eine EU-Datenschutzreform sowie die verstärkte Einbringung europäischer Forderungen im geplanten Freihandelsabkommen. Da die europäischen Richtlinien oftmals höher sind als die der Amerikaner, kann so eine mögliche Aufweichung der strengen Lebensmittel- und Verbraucherschutzstandards vermieden werden. Auf diese Weise etabliert sich die EU als gleichberechtigter Partner der USA, der in der Lage ist, seine Interessen erfolgreich durchzusetzen.
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