Lukas Martini: Die Zukunft der EU wird durch nationale Wahlen bestimmt
Das Europäische Parlament hat sich bei seiner ersten Direktwahl 1979 einiges an Macht erkämpft. Ursprünglich in untergeordneter Rolle, hat es sich seit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam zum Gesetzgeber gemausert, der in vielen Bereichen auf Augenhöhe mit dem Rat entscheidet. Nichtsdestotrotz bleibt das Schicksal der EU in der Hand der nationalen Parlamente, die die im (Europäischen) Rat sitzenden Regierungen bestellen.
Ausschlaggebend sind also nationale Wahlen, da hierbei jeweils die Regierung und damit die europapolitische Haltung des entsprechenden Landes bestimmt wird. Dies ist insofern relevant, als letztlich der Europäische Rat jene Institution ist, die die politische Richtung der EU vorgibt. In den wirklich kontroversen und damit essentiellen Fragen wird mit Einstimmigkeit entschieden, was wiederum bedeutet, dass eine europaskeptische Regierung Fortschritt im Europäischen Rat und damit indirekt das Parlament blockieren kann.
Wenngleich das Europäische Parlament eine starke Position im Gesetzgebungsprozess hat, kann von einem europäischen demos – einem europäischen Staatsvolk, das es ja schließlich repräsentieren sollte – noch lange nicht die Rede sein.
Der politische Diskurs innerhalb der europäischen Gesellschaften findet fast ausschließlich national statt, wodurch die jeweilige europapolitische Haltung ebenfalls national geprägt wird. Dies erklärt sich daraus, dass es nationale Parteien sind, die Kandidat*innen zur Europawahl nominieren, wodurch nationale Belange wiederum im Vordergrund stehen. Denkt man dies noch einen Schritt weiter, erschließt sich die These, dass Europawahlen gegebenenfalls genutzt werden, um nationale Regierungsparteien für ihre jeweilige Innenpolitik abzustrafen.
Bis eine europäische Öffentlichkeit und damit ein europäischer demos entsteht, werden Europawahlen stets weniger Aufmerksamkeit erhalten und Abgeordnete zum Europäischen Parlament werden nicht als erstrangige demokratische Repräsentant*innen wahrgenommen werden. Damit ein solches europäisches Staatvolk, das sich durch seine Abgeordneten in Brüssel und Straßburg wahrhaft vertreten fühlt, entsteht, muss der EU-Politik ein paneuropäisches „Gesicht“ gegeben werden – durch transnationale Parteien und Medien, die alle 28 Mitgliedsstaaten abdecken.
Europawahlen sind folglich wichtig, aber dennoch bleiben nationale Urnengänge essentiell für die Sicherung der Zukunft unseres europäischen Projekts.
Juuso Järviniemi: Europawahlen sind Grundsatzentscheidungen
Zu Wahlkampfzeiten hören wir oft, dass Wählen ja gar nichts bringe, da ohnehin alle Parteien gleich seien. Bei Europawahlen ist das anders! Hier zeigt sich ein gewaltiger Graben zwischen pro- und antieuropäischen Kräften, der durch zunehmende Polarisation noch weiter aufgerissen werden dürfte. Im Zuge der Europawahl 2019 sahen manche die proeuropäische Mehrheit im Europaparlament zum ersten Mal in dessen Geschichte bedroht.
Tatsächlich ändert eine Wahl in den meisten Länder die Politik nicht in ihren Grundfesten. Bei Europawahlen hingegen entscheiden wir uns zwischen zwei fundamental verschiedenen Visionen.
Daraus ergibt sich auch der zweite Grund, weswegen diese Wahlen so wichtig sind. Ob wir es nun mögen oder nicht, die EU ist und bleibt ein politisches System, dessen Grundwerte und oftmals auch dessen Existenz selbst infrage gestellt werden. Abgesehen von den Beispielen Schottlands und Kataloniens etwa geht es bei nationalen und regionalen Urnengängen nicht um systemische, existenzielle Fragen, wie wir sie bei Europawahlen kennen.
Europapolitik geschieht immer auf zwei Ebenen: einerseits der alltäglichen Dimension, in die die Tagespolitik fällt, und andererseits der Metaebene, wo es darum geht, wie die Union organisiert ist und auf welchem Verwaltungsebene denn nun Entscheidungen getroffen werden sollen. In diesem Sinne sind Europawahlen doch einzigartig.
Drittens wählen wir im Zuge der Europawahlen auch den oder die Kommissionspräsident*in, einen der einflussreichsten Posten der Welt, hat die amtsführende Person doch mehr Macht als die meisten Staats- oder Regierungschefs. Es sind die von uns gewählten Mitglieder des Europäisches Parlaments, die über diese Person entscheiden; ohne eine Mehrheit kann niemand dieses Amt antreten.
Und außerdem werden die Abgeordneten jeden designierten Kommissar bzw. jede designierte Kommissarin einem Hearing unterziehen, schließlich handelt es sich bei der Kommission – immerhin zuständig für etwa 500 Millionen Menschen – um eine der signifikantesten Konzentrationen politischer Macht weltweit. Anwärter*innen werden vom Europäischen Parlament gewiss genauer geprüft als Regierungsmitglieder auf nationaler Ebene!
Bei Europawahlen haben wir die klare und bedeutsame Wahl zwischen zwei verschiedenen Visionen für die Zukunft unseres Kontinents. Es wird nicht nur über einzelne Themenfelder abgestimmt, sondern auch über existenzielle Fragen und unsere Grundwerte. Schlussendlich ist es nicht nur die Wahl des Europäischen Parlaments, sondern auch der Europäischen Kommission, einer der mächtigsten Institutionen der Welt.
Kurzum: Bei der Europawahl zur Urne zu schreiten, ist die Mühe auf alle Fälle wert!
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